Vor der Jahrtausendwende wurden neueste Trends auf der CeBit in Hannover vorgestellt. Das passiert heute in Taipei. Andere Location, gleiche Muster: Technologie verändert die Welt. An den Kapitalmärkten gleichen einige Strukturen der Spätphase der Dot.Com-Übertreibung.
Die Sellside schlachtet den AI-Trend (aus)
In der Vorwoche schaute die Welt nach Taipei. Dort fand die größte Computermesse der Welt statt, die
Computex 24. Nvidia stellte die neueste Generation seiner AI-Chips vor, Microsoft und Apple
überboten sich mit AI-Werkzeugen für ihre Betriebssysteme und Hardwareunternehmen riefen nichts
weniger, als eine Revolution für Desktop-Computer aus. Zukünftig gehören neben CPU
und GPU
selbstverständlich auch NPU's
in die Geräte.
Es ist sonnenklar, dass die Hardware in AI-tauglichen Computern viel leistungsfähiger werden muss, dass heutige Geräte den Anforderungen überhaupt nicht mehr gewachsen sind, ist die Message vieler Sellside-Analysten. Unmittelbar vor der Sommerpause liefert das zyklische Halbleitersegment ein vorzügliches Narrativ, um Retail-Investoren Aktien von Nvidia, Qualcom und Co. schmackhaft zu machen. Geht es nach den Protagonisten auf der Computex, dann ist bereits ausgemacht, dass neue, leistungsstarke AI-enhanced Desktop-Computer der Trend des Weihnachtsgeschäfts schlechthin sein werden. Nach zwei Jahrzehnten mit infinitesimalen Veränderungen verbreitet die Branche plötzlich Aufbruchstimmung.
Aufbruch – aber wohin?
Die Hardware-Industrie schwenkt auf den Trend der Automobilindustrie der letzten Jahrzehnte ein: Bis zur Jahrtausendwende war ein Auto, grob betrachtet: 4 Räder, Steuer, Bremse und Motor. Heute ist ein Auto ohne Fahrassistent und Entertainment-Center nicht marktfähig.
AI-enhanced PC’s binden die Nutzer langfristig an das Betriebssystem (Windows oder MacOs) und ihren hybriden AI-Features. Diese PC’s sind ohne Anbindung an AI-Rechenzentren nutzlos und gleichen damit Chromebook-PC’s. Mit diesen versucht Google seit Jahren erfolglos die Dominanz von Microsoft und Apple zu brechen. Ob die Zeit nun reif ist, für eine allumfassende Integration von lokaler Hard- und Software in weltumspannende Cloudanwendungen und deren Bezahlmodellen? Ob die Käufer von AI-Desktrop-Rechnern langfristig bereit sind, sich an Abo-Modelle zu binden, um die Features ihrer Geräte nutzen zu können?
Im Zentrum des neuen Megatrends thront Nvidia, das auch diese Woche die Schlagzeilen dominierte. Am Donnerstag überschritt dessen Marktkapitalisierung erstmals die 3 Billionen Dollar Marke. Der Chiphersteller war kurzzeitig wertvoller als Apple. (Top3: 1. Microsoft: 3.150 Mrd. $ 2. Apple: 3.019 Mrd. $ , 3. Nvidia: 2.973 Mrd. $ ).
Zum Handelsschluß am Freitag führte Nvidia einen Aktiensplit (1: 10) durch. Eine Aktie kostet nun 120 $.
Bereits vorher tauchte Nvidia stets unter den meistgehandelten Optionen am US-Markt auf. Vor den Aktiensplit
waren insbesondere Call-Optionen gesucht.
Die Spekulation auf steigende Marktpreise war trotz der hohen »Wetteinsätze« (pro Call-Option: 120.000 $)
sehr populär. Nach dem Aktiensplit sind Wetten auf steigende Preise viel preiswerter. Das öffnet den
Wert für komplexe Optionsstrategien und könnte die Entwicklung zu einer Phase der Normalisierung in diesem Titel stützen.
Die Wette auf steigende Nvidia-Notierungen selbst hat die Marktpreise in den letzten Wochen
mit großer Wahrscheinlichkeit zusätzlich befeuert.
Nachdem Nvidia auf der Computex bereits die nächste Generation seiner Chips (zur Auslieferung ab November)
vorgestellt hat und nun auch der Aktiensplit vollzogen ist, wird es schwieriger, den optimistischen
News-Flow aufrecht zu halten. Der Aktie steht eine Periode stagnierender bzw. leicht fallender
Preise ins Haus.
Das Ziel dieser Periode: Bereinigung der heißgelaufenen Spekulation in dem Einzeltitel.
Die Gamestop Saga
Am Freitag gab das Management von Gamestop bekannt, im Rahmen einer Kapitalerhöhung nochmals 76 Mio. Aktien zu emittieren. Bereits im Mai hatte man 45 Mio. Aktien verkauft und 933 Mio. $ eingenommen. Am Freitag sank der Aktienpreis um 40 Prozent.
Dabei hatte die Woche gut begonnen. Am Montag veröffentlichte Roaring Kitty
aka Kieth Gill, ein Daytrader,
auf den maßgeblich der Trend der Meme-Stocks während der Corora-Pandemie zurück geht, ein Reddit-Post
(Username dort: DeepFuckingValue). Darin
zeigte er einen Screenshot seines aktuellen Depots. Demnach besaß er am Sonntag 5 Millionen Gamestop-Aktien
und 120.00 Call-Optionen mit einem Strike von 20 $. Das überzeugte die Fans: Am Montag stieg die Aktie kurzzeitig auf 40 $ um bei
28 $ zu schließen.
Am Donnerstag kündigte Roaring Kitty
eine Life-Session auf Youtube an. Das Thema: Gamestop natürlich.
Die Aktie stieg im Vorfeld auf fast 70 $. Währnd des Live-Events kündigte Gamestop die Kapitalerhöhung an.
Trotz der »neuen Informationen« über das Unternehmen sank der Aktienpreis über die gesamte Sendung ….
Das Kerngeschäft des Unternehmens ist defizitär, wer geht auch in einen Laden, um sich ein Video-Spiel zu kaufen. Gamestop ist kaum verschuldet und erwirtschaftet dank der Kapitalmarktkapriolen einen Ertrag. Das KGV beträgt allerdings 2.300.
Der Börsenwert wird maßgeblich von Roaring Kitty
gesetzt. Er veröffentlicht unregelmäßig »Insider-News«
über die Aktie und befeuert damit die Spekulation um die Aktie. Das Handelsvolumen bricht regelmäßig zusammen,
wenn der Newsstrom abebbt.
Im Jahr 2021 gelang es, die Aktie über diesen Weg fast 12 Monate im Bereich 40 bis 60 $ zu halten. Danach sank der Aktienpreis mit dem allgemeinen Markttrend des Jahres 2022. Ob sich dies 2024 wiederholt?
Preisdivergenz vor dem Quartalsverfall
Die 2.000 im Russell 2000 enthaltenen Aktien haben kollektiv seit Mitte Mai einen Abwärtstrend ausgebildet. Am Freitag wurde dies durch eine große rote Kerze nochmals bestätigt.
Der Blue-Chip-Index S&P 500 verhält sich vollkommen anders. Am Freitag bildete der Index intraday ein neues Alltime-High aus. Die Divergenz seit dem 31. Mai wird wesentlich durch positive Preisentwicklungen bei Apple und Nvidia getragen.
Spannend ist der zeitgleiche Rückgang der Volatilität im S&P 500.
- Obwohl die Mehrzahl der Aktientitel in den USA keine weiteren Preisanstiege ausbilden, geht die Volatilität im VIX deutlich zurück.
- Es besteht eine Korrelation zwischen sinkender Volatilität und steigenden Marktpreisen. Diese bricht jedoch bei einer Volatilität von 12 Prozent. Dann stagnierem die Marktpreise.
Eine Volatilität von 12 Prozent signalisiert Sorglosigkeit der Marktteilnehmer. Es besteht kein Anlass, Absicherungen aufzubauen. Gleichzeitig werden die Marktpreise als teuer empfunden. Hohe Preise werden zu Gewinnmitnahmen genutzt.
Preisdivergenzen bei Aktienindizes sind kurz vor dem Quartalsverfall für Optionen und Futures nicht ungewöhnlich. Am 21. Juni werden die Derivate abgerechnet. Bis dahin »ziehen« Wetten auf bestimmte Preismarken die Marktpreise. Allein große Wetten auf die Preisentwicklung bei Nvidia können den Index wegen dessen hoher Marktkapitalisierung verzerren.
Diese Effekte laufen allerdings aus.
Angesichts des hohen Spekulationsgrades in kleinen wie auch in großen Werten ist eine Sommerkorrektur wahrscheinlich. Der S&P 500 dürfte sich dem Preistrend des Russell 2000 anschließen, nicht umgekehrt.
Aberglaube als Renditequelle
Der Versuch, mittels Astrologie die Zukunft zu erforschen, ist so alt, wie die Menschheit. Genauso lange versuchen Spekulanten, Korrelationen zwischen Sternbildern und Chartverläufen herzustellen.
Chinesischen Studenten ist es nun mittels statistischer Methoden gelungen, eine stabile Korrelation zwischen der Himmelsbahn des Merkurs und dem Verlauf des chinesischen Aktienmarktes zu ermitteln.
Als Planet vollzieht Merkur einen Zickzack-Kurs am Himmel: Phasen in denen der Planet rückläufig ist, werden traditionell mit einem bösen Ohmen verknüpft. Abergläubige Menschen meiden in diesen Phasen z.B. Aktienmarktinvestments.
Mercury, Mood, and Mispricing: A Natural Experiment in the Chinese Stock Market
This paper examines the effects of superstitious psychology on investors’ decision making in the contextof Mercury retrograde, a special astronomical phenomenon meaning “everything going wrong”. Usingnatural experiments in the Chinese stock market, we find a significant decline in stock prices, approximately -3.14% in the vicinity of Mercury retrogrades, with a subsequent reversal following these periods. The Mercury effect is robust after considering seasonality, the calendar effect, and well-known firm-level characteristics. Our mechanism tests are consistent with model-implied conjectures that stocks covered by higher investor attention are more influenced by superstitious psychology in the extensive and intensive channels. A superstitious hedge strategy motivated by our findings can generate an average annualized market-adjusted return of 8.73%.
Shubo Ko, Xiyuan Ma Tsinghua University, PBC School of Finance, 2023
In China ist der Aberglaube offenbar so weit verbreitet, dass Aktienpreise die Himmelsbahn des Merkur nachzeichnen. Die Studenten behaupten, allein durch die Himmelsbeobachtung systematisch einen Jahresertrag von fast 9 Prozent generieren zu können – im Jahr 2024.