Laissez Faire

Nach der ersten Fernsehdebatte zur US-Wahl ist die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Trump-Administration deutlich gestiegen. Die Aktienmarktrallye in den USA wird aktuell von gerade noch vier Titeln getragen. In der Hoffnung auf eine Wiederholung des Trump-Effekts des Jahres 2016 passen die Analysten ihre Jahresendprognosen zur Preis­ober­seite an. Ob das gut geht?

Wochenbericht 25/24 Stuttgart, 29. Jun. 2024

Die erste Fernsehdebatte der US-Wahlkämpfer versprach interessant zu werden. Das sie zu einem Desaster für die Demokratische Partei und die amerikanische Demokratie werden würde, ist allerdings eine faustdicke Überraschung.

Theoretisch ist es zwar möglich, Joe Biden als Präsidentschaftskandidaten auszutauschen. Ob sich dadurch die Chancen verbessern, Donald Trump zu schlagen, ist aber zweifelhaft. Es gibt schlicht keine/n Kandidaten/in, den/die man jetzt ins Rennen schicken könnte. Hinzu kommt: D. Trump kündigte in der Fernsehdebatte am Donnerstag offen an, nur ein Wahlergebnis zu akzeptieren, dass ihn höchstpersönlich ins Präsidentenamt hievt. Der Mann hat eine Mission: Die USA zurück zu führen auf den Markenkern der Nation: Vorbild zu sein für die Welt. (Eine gute Zusammenfassung der großen Linien der US-Außenpolitik gibt es hier: Die USA zwischen Internationalismus und Isolationismus).

Im vergangenen Wochenbericht konkludierte Hieronymus: Expect the unexpected!
Der vergangene Donnerstag lieferte den ersten »Schuss«. Der Politiksommer in den USA verspricht interessant zu werden.

Laissez Faire Kapitalismus

Laissez Faire Kapitalismus ist eine Wirtschaftsphilosophie des freien Marktkapitalismus, die sich gegen staatliche Interventionen richtet. Die Theorie des Laissez-faire wurde im 18. Jahrhundert von den französischen Physiokraten entwickelt. Sie besagt, dass wirtschaftlicher Erfolg gehemmt wird, wenn die Regierung in Geschäfte und Märkte eingreift. Laissez-faire bedeutet wörtlich übersetzt “lasst uns in Ruhe” und besagt, dass die Regierung sich aus der Wirtschaft heraushalten sollte. (Quelle: Bing)

Dieser Philosophie folgte die USA bis in die 1930er Jahre. Isolationismus war die natürliche Konsequenz. Erst mit dem erstarkendem Faschismus in Europa und nach dem Angriff Japans auf Perl Harbour begann der Staat seine Interessen selbst zu verfolgen.

In der vergangenen Woche zeigten mehrere Gerichtsentscheidungen, dass immer mehr Weichen für ein Renaissance des Laissez Faire Kapitalismus umgelegt werden.

So hat der US-Supreme Court der US-Börsenaufsicht SEC untersagt, Verstöße gegen die Finanzmarktregulation intern zu verhandeln und Strafen zu verhängen. Die Begründung: Die SEC verstößt mit ihrer Praxis gegen den 7. Verfassungszusatz, der allen US-Bürgern ein faires Verfahren vor einem ordentlichen Gericht verspricht. Die SEC-Gerichte waren vor 200 Jahren eingerichtet worden, um den Anlegerschutz außergerichtlich durchsetzen zu können. In Wahrheit waren Richter und Schöffen mit der Materie hoffnungslos überfordert; die SEC Gerichte setzten Recht effektiv durch.

Im konkreten Fall hatte ein HedgeFondsManager eine RadioShow für eine Betrugsmasche genutzt. Er wurde 2013 von einem SEC-Gericht für den Anlagebetrug verurteilt. Dieser verlangte daraufhin, dass das Verfahren vor einem ordentlichen Gericht zu wiederholen sei. Das Recht sprach ihm das oberste US-Gericht nun zu. Fox-News spricht in seiner Bewertung vom “Entrepreneur George Jarkesy” anstatt eines verurteilten Anlagebetrügers. Das ist Laissez Faire Kapitalismus in Reinstform.

In einem zweiten, verwandten Urteil begrenzt der Supreme Court die automatische Anerkennung der Verwaltungspraxis in Streitfällen. Das war 1984 grundlegend als Meßlatte eingeführt worden, weil die Richter es als unmöglich ansahen, dass der Gesetzgeber alle Einzelfälle behandeln könne und die Gerichte mit der Berufung von immer mehr Gutachtern überfordert waren. Seither gilt die Verwaltungspraxis als gültige Auslegung von Gesetzen.

Den nun amtierenden Richtern geht die Macht der Bürokraten zu weit. Zukünftig kann jedermann/frau die Gesetze nach eigenem Gusto interpretieren und loslegen. Der Staat muss mühsam beweisen, dass die Auslegung nicht den Intentionen des Gesetzgebers entspricht. Die Beweisumkehr wird von den MAGA-Anhängern als Sieg gegenüber dem Establishment und seinen Institutionen gefeiert.

Unabhängig von dem Ausgang der Wahlen im November zieht sich der US-Staat bereits aus der Verantwortung zurück. Im Falle einer zweiten Präsidentschaft D. Trump’s könnte die Legislative der USA damit zum willfälligen Helfershelfer des Umbaus der USA in Richtung eines Laissez Faire Kapitalismus werden.

Aktien USA: nichts darf mehr schief gehen

Am Montag beginnt das zweite Halbjahr 2024. Für einige Sellside-Abteilungen von Banken und Vermögens­verwaltern ein Anlass, ihre Jahresendprognosen zu aktualisieren. Dank des AI-Hypes und der hohen Gewichtung von Nvidia, Micosoft, Meta, etc ist der S&P 500 seit Jahresbeginn um 15 Prozent gestiegen. Damit hatten die wenigsten Analysten gerechnet. Die bisherigen Jahresend-Preisziele sind längst überschritten; Argumente, die diese Preismarken begründeten, sind hinfällig. Niemand wagt es, sich im Wahljahr gegen den Trend zu stellen. Folglich werden die Preisziele zum Teil deutlich nach oben korrigiert. Citi beispielsweise setzte sein Jahresendpreisziel von 5.100 auf 5.600 hoch.

Einige vormals pessimistisch eingestelle Analysten werfen das Handtuch. Der Vermögensverwalter Evercore ISI prognostizierte im November eine Jahresendnotierung des S&P 500 von 4750. In der Juni-Prognose wurde dies auf 6000 angehoben, nun geht der Analyst von einen weiteren Preisanstieg um 10 Prozent bis zum Jahresende aus.

Das liegt weniger daran, dass sich die Einschätzung des Analysten geändert hätte. Die Fondsgesellschaft hat schlicht mit Mittelabflüssen zu kämpfen. Die Kunden kaufen dem Management die baerische Sichtweise nicht mehr ab und investieren statt dessen trendfolgend. Die Analysten werden von den Kunden zur Kapitulation gezwungen.

Konträre Preiseinschätzungen werden über diesen Mechanismus aus dem Markt gedrängt. Übrig bleiben Permabullen, Trendfolger und geläuterte ehemalige Contrarians. Alle profitieren von weiter steigenden Marktpreisen, alle sind glücklich.

Sobald die letzten barisch eingestellten Analysten aufgeben, ist ein Aktienmarkt rückblickend reif für eine größere Korrektur oder gar einen Bearmarket. Kurz vor dem Platzen der Dot.Com-Blase wurde beispielsweise Tony Dye entlassen, der immer wieder auf die Überbewertung des Aktienmarkts hingewiesen hatte, von seinen Arbeitgeber, Phillips & Drew, aber für erhebliche Kundenabgänge verantwortlich gemacht wurde.

So weit ist es aktuell noch nicht. Marko Koanovic arbeite immer noch für Margan Stanley und steht zu seiner Prognose, dass der S%P 500 in der zweiten Jahreshälfte um 25 Prozent einbrechen wird.

Die Rallye im S&P 500 wird aktuell von drei Werten getragen: die Preisentwicklung von Nvidia, Apple und Microsoft ist für 90 Prozent der Indexgewinne verantwortlich. Der S&P 500 equalweight notiert aktuell knapp vier Prozent oberhalb des Stands zum Jahreswechsel. Die Differenz von 10 Prozent ist der Anteil des AI-Hypes an der Performance des US-Markts.

nothing
Abbildung 1: Preisverlauf des SPX-Index in der vergangenen Woche

Im Wochenverlauf trat der US-Aktienmarkt auf der Stelle. Bemerkenswert ist allenfalls der kontinuierliche Abverkauf der Aufschläge nach der Fernsehdebatte der beiden Bewerber um die Präsidentschaft.

nothing
Abbildung 2: Preisverlauf des ASX in den letzten drei Monaten

Der australische Leitindex ist banken- und rohstofflastig. Der AI-Hype spielt keine Rolle. Zum Jahreswechsel notierte dieser Index bei 7650 A$, aktuell steht er gerade 100 A$ höher. Der ASX ist nicht in der Korrelation mit den US-Indizes gefangen, die die europäischen Indizes in den vergangenen Monaten zu immer neuen Höhen getragen hat. Er ist damit geeignet, das Preisrisiko in Europa auszumessen.

nothing
Abbildung 3: Preisverlauf des EuroStoxx Index im Vergleich zum ASX (blau) seit Jahresbeginn

Das versucht die Abb. 3. Im Falle eines politischen Stillstands in Frankreich nach den Parlamentswahlen und einer isolationistischen US-Administration ab 2025 würde die transatlantische Korrelation wohl zusammenbrechen.