Sommerausklang

Mit dem Labor-Day am 2. September endet der Börsensommer offiziell. Die Themen für den Herbst sind gesetzt: Wie weiter mit dem AI-Hype, sind niedrige Inflationsraten Vorboten für eine Stagnation oder einfach ein Back to Normal, wie geht es weiter mit unsicheren poltischen Rahmenbedingungen in Deutschland und Frankreich?
Der Konflikt der Regulierungsbehörden mit Sozialen Netzwerken eskaliert. Brasilien stellt sich gegen Elon Musk, Frankreich und die EU gehen das Problem bei Telegram an. Hier kann die EU ihre Innovationskraft zeigen und die Plattform über eine DAO zukunftsgerecht aufstellen.

Wochenbericht 34/24 Stuttgart, 31. Aug. 2024

Am letzten Montag im August prognostizierte Unhedged, der Finanzblog der Financial Times im Vorfeld des Labor Day’s am 2. September zum Ausklang des Sommers 2024 die ruhigste Börsenwoche des Jahres.

Ganz unrecht hatte Unhedged nicht. Der Gesamtmarkt trat auf der Stelle. Einzeltitel brachten zeitweilig ein wenig Leben in den Sommerhandel.
Nvidia veröffentlichte z.B. Quartalszahlen, die für Preisausschläge zur Unterseite sorgten (Marktpreis fiel von 130 auf 120 $). Die Inflation sinkt in der Eurozone weiter und ist in Deutschland unter 2 Prozent gefallen. Der DAX erklimmt daraufhin ein neues AllTimeHigh.
In den USA wurden positive GDP- und Arbeitsmarktdaten veröffentlicht. Auch hier steigen mangels Verkäufern die Marktpreise.

Saisonal öffnet sich gerade ein Zeitfenster für tendenziell sinkende Marktpreise, insbesondere in Jahren, wo der Wahlausgang als offen wahrgenommen wird.

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Abbildung 1: Saisonalität in US-Wahljahren

Die Republikaner sind in der Defensive. Alle Augen richten sich auf das Fernsehduell Harris–Trump am 10. September. Sollte D. Trump keine 180 Grad-Wende hinlegen, müssen wir uns auf eine knappe Niederlage von Trump einrichten und unruhigen Zeiten danach. Es ist kaum vorstellbar, dass Trump und seine MAGA-Gefolgschaft ein solches Ergebnis akzeptiert. Das bedeutet: Unsicherheit – und sinkende Marktpreise. (qed)

Dollar General

Die Veröffentlichung der Quartalszahlen von Dollar General hatte eine profunde Wirkung..

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Abbildung 2: Preisentwicklung der Dollar General Aktie

Das Unternehmen bedient mit etwa 20.000 Filialen den Niedrigpreissektor in den USA und bietet Waren für 1, 2, 5 … Dollar an. Der Aktienkurs ist eine Fieberkurve der Liquidität bei Niedrigverdienern in den USA. Die Kette profitierte von den Corona-Hilfen der Trump- und anschließend der Biden-Administration. Auch in der Anfangsphase der Inflationschübe waren die Produkte gesucht. Seit dem Q4 2022 zehrt die Zielgruppe von Dollar General von den Ersparnissen. Die Konsumneigung geht schrittweise zurück, Quartalsergebnisse werden überwiegend negativ aufgenommen. So auch in der Berichtswoche. Diesmal sank der Marktpreis der Aktie unter sehr hohem Volumen um ein Viertel. Im März und auch im Juni lockte das Management mit einem hoffnungsvollen Ausblick für den Rest des Jahres. Am Donnerstag kassierte das Management abrupt die Jahresprognose, die Quartalsergebnisse überzeugten ebenfalls nicht. Die operative Marge ging bspw. um ein Fünftel zurück.

Nun schauen die Analysten gebannt auf Dollar Tree, die direkte Konkurrenz. Dessen Aktienkursverlauf lässt hier auch nichts Gutes erwarten. Dollar Tree veröffentlicht in der kommenden Woche Quartalsergebnisse.

Walmart und Target, zwei US-Einzelhandelsketten, die das Gesamtsortiment des Lebensmittel-Einzelhandels anbieten, hatten vorher gute Quartalsergebnisse präsentiert. Von Konsumzurückhaltung keine Spur. Jetzt fragen sich alle: Was ist der Ausreisser? Dollar General oder Walmart?

Telegram

Pavel Durov darf Frankreich bis auf weiteres nicht mehr verlassen. Frankreich will den Gründer und Kopf von Telegram zwingen, Nutzerdaten von vermeintlichen Kriminellen offen zu legen. Solange die Plattform diese nicht freigibt, ist Durov als Inhaber der Personengesellschaft persönlich für potenzielle Straftaten der Nutzer des Messaging-Dienstes verantwortlich und haftbar, behauptet die französische Anklagebehörde.

Auch die EU hat Witterung aufgenommen. Im Februar meldete die Plattform, dass von den registrierten, schätzungsweise 1,2 Mrd. Nutzern nur 41 Mio. aus der EU stammen. Damit greift der Digital Services Act nicht. Telegram ist keine »sehr große Online Plattform«, dafür müssten mehr als 45 Mio. Nutzer vorhanden sein. Als Konsequenz findet keine Moderation der Inhalte statt, es gibt keine Löschpflichten für beanstandete Posts und auch keine verantwortlichen Ansprechpartner, denen man den Prozess machen könnte. Gelingt es der EU, gerichtsfest nachzuweisen, dass Telegram eine very large online platform ist, hat Durov ein Problem.

Das Unternehmen mit Sitz in Dubai hat nur 50 Mitarbeiter. Allein die Content-Moderation innerhalb der EU benötigt ein Mehrfaches. Pro Nutzer kalkuliert Telegram aktuell mit Kosten von 70 ct. pro Monat. Dies soll durch Werbung und ein Subscription-Modell eingespielt werden. 2023 betrug der Umsatz von Telegram 342 Mio. $. Nach Steuern wies das Unternehmen trotz seiner schlanken Struktur einen Verlust über 173 Mio. $ aus.

Das Geschäftsmodell trägt sich trotz des Erfolgs der Platform nicht. Falls die EU Telegram zur Content-Moderation zwingt, kann Durov den Landen wohl dicht machen.

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Abbildung 3: Preise für die handelbare Telegram-anleihe (2026/7%)

Die zwischenzeitliche Verhaftung Durov’s schlug massiv auf die einzige handelbare Telegram-Anleihe durch. Der Marktpreis sank von 95,5 auf 82,5 %. Die Liquidität der Anleihe hat sich aber massiv verbessert.

Aktuell erzielt ein Anleiheengagement ein Rendite von etwa 16 Prozent. Das einzige Problem ist die Lot-Größe. Man muss mindestens eine Nominale von 500.000 $ zeichnen, also 435.000 $ zahlen.

Die Anleihe ist trotzdem eines Blickes würdig. Schließlich weisst sie – wie auch der Optionshandel – ein asymmetrisches Chance-Risiko-Profil aus. Die Asymmetrie ist nach der Sperrung von Twitter/X in Brasilien sogar noch stärker geworden. Dort hat der Generalstaatsanwalt den Zugang in Brasilien komplett gesperrt, weil sich Elon Musk geweigert hat, sich den gesetzlichen Anforderungen zu beugen, die eine aktive Moderation der Inhalte und die Benennung eines verantwortlichen Managers mit Wohnsitz und Aufenthalt in Brasilien vorschreiben.

Telegram hat viele Gemeinsamkeiten mit Twitter/X und Threads(Meta) und genausoviele Unterschiede. Bei Twitter/X und Telegram haben die Eigentümer ein direktes Durchgriffsrecht. Elon Musk nutzt dies intensiv für seine libertäre Demagogie. Pavel Durov ist geschickter. Er stellt die Plattform in den Dienst der vermeintlich guten Sache, in diesem Fall «Free Speech«.

Telegram ist ein Zwitter aus Crypto-Unternehmen und Personengesellschaft mit Sitz in Dubai. Es gibt Toncoin, eine Kryptowährung, die in der Anfangszeit die Finanzierung der Plattform sicherstellte. Der Wert von Toncoin korreliert stark mit der Preisentwicklung der Telegram-Anleihen.

Ein Investment in Toncoin ist eine Alternative zu einem Anleihe-Engagement. Leider verzinsen sich Toncoin nicht, sie sind deshalb spekulativer.
Toncoins könnten jedoch in eine DAO (Digital Autonomous Organisation) überführt werden, die zukünftig über die Geschicke von Telegram entscheiden könnte. Eine derartige DAO wäre der Ausweg für die EU, die Plattform effektiv zu regulieren. Man sichert sich eine Sperrminorität und lässt die Coin-Holder ansonsten basisi­demokratisch über die Geschicke der Plattform entscheiden.

Für diesen Fall sind starke Preissprünge beim Toncoin vorprogrammiert.

Zumindest Theoretisch bietet der Versuch, Telegram einzuhegen die Chance, eine zukunftsweisende Organisationsform für einen sicheren Messaging-Dienst zu etablieren. Damit würde die EU die Vorherrschaft der US-Internetgiganten brechen. Gleichzeitig bietet diese Lösung die Chance, die Datenschutzrichtlinien der EU als weltweiten Standard zu etablieren. Die Umwandlung in eine DAO ist in den Augen Hieronymus der Königsweg zur Lösung des Telegram-konflikts.