Dünnes Eis

Die Ehrfurcht vor Auswirkungen von Handelszöllen weicht einer entspannten Laissez Faire Mentalität. In Washington brüllt man gerade ganz laut, zum Beißen bleibt da keine Zeit, heißt es. Die Absage der Handelzölle gegen Kanada und Mexiko wurde mit Kopfnicken zur Kenntnis genommen.
Aber Vorsicht: Die Rentenmärkte grummeln. Die chaotischen Ankündigungen befeuerten die Ausbildung eines Renditeaufschlags in den USA, der – anders als Preisrückgänge bei Aktien – bleibt.

Wochenbericht 6/25 Stuttgart, 08. Feb. 2025

Woche der Kleinaktionäre

Kaum waren die Handelszölle der USA mit Kanada und Mexiko vom Tisch, kamen US-Kleinanleger aus der Defensive.

US single-stock buying by retail investors is hitting new records, and the Magnificent Seven is accounting for more than 70 per cent of net purchases, according to JPMorgan data.

Quelle: FT Alphaville

Das Besondere: Einzeltitel waren gefragt (Dienstag allein: 4 Mrd. $). Vieles erinnert an die Aktienmanie des Jahres 2021. ETF’s standen in der Berichtswoche im Abseits. Dies ist ein Hinweis auf die kurzfristige bzw. spekulative Natur der Neuengagements.

Institutionelle Kunden nutzten dies, um Bestände abzubauen (Dienstag: -4 Mrd. $) und Stillhalterpositionen (Dienstag: 8 Mrd. $) einzugehen. Diese Gruppe ist sehr defensiv unterwegs.

Der US-Aktienmarkt trat letztlich auf der Stelle.

Ankündigung reziproker Handelzölle

Nach dem Treffen mit dem japanischen Ministerpräsidenten Ishiba kündigte Dagobert Duck an, im Verlauf der nächsten Woche reziproke Handelszölle mit seinen größten Handelspartnern einzuführen.

“I’ll be announcing that next week, reciprocal trade, so that we’re treated evenly with other countries,”

Im Klartext bedeutet dies: Je größer das Handelsbilanzdefizit, desto höher die Strafzölle (auf alle Importe).

Wir dürfen gespannt sein, ob die Finanzmärkte darauf ebenfalls entspannt reagieren.

Handelskrieg ohne Folgen?

Die zum vergangenen Wochenende beabsichtigen Zölle auf US-Importe aus Kanada und Mexiko wurden bereits am Montag abgesagt – genauer: vertagt. Immer noch steht die Ankündigung im Raum, Anfang März zu beginnen. Die Finanzmärkte haben sich danach wieder stabilisiert, in Europa wurden sogar neue Höchstkurse erreicht.

Hat sich die Rhetorik aus dem Weißen Haus abgenutzt, sind die vollmundigen Ankündigungen nichts als heiße Luft und deshalb keinen Preisanpassungen würdig? Auf den ersten Blick scheint es so.

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Abbildung 1: Preisentwicklung amerikanischer(Kerzen) und deutscher (Linie) Rentenfutures seit der USA-Wahl

Die Rentenmärkte zeichnen ein differenzierteres Bild. Nach den US-Wahlen sanken die Marktpreise von US-Treasuries zunächst weiter. In Europa stiegen die Preise für Rentenfutures, die Renditen gingen hier also zurück. Es öffnete sich ein Spread zwischen US- und europäischen Renten.
Der baute sich bis zur Inauguration in der dritten Januarwoche fast vollständig ab – nur um sich mit im Zuge der Flut von »Executive Orders« wieder aufzubauen. Interessant auch: Die Preisentwicklung an den Rentenmärkten hat sich weitgehend von der Geldpolitik der Notenbanken abgekoppelt.

Was treibt die Preise an den Rentenmärkten dann an? Die FT vermutet eine strategische Abkehr ausländischer Adressen. In einem Meinungsbeitrag zitiert Katie Martin eine Statistik der NewYork FED, nachdem ausländische Großinvestoren im Zeitraum US-Wahl bis zur Inauguration ihre Bestände an US-Treasuries um 78 Mrd. $ reduziert haben. Das ist relativ zum Gesamtmarkt (3,3 Billionen USD) ein bescheidener Anteil. Aber:

… we don’t need a nightmare (and highly unlikely) scenario of global reserve managers dumping their Treasuries to make life more difficult for the US. Instead, it takes only a small reduction in the dollar slice of global reserves to hit prices and keep borrowing costs unusually high.

FT, The Long View, Katie Martin – Trump should not take bond investors for granted, 8.2.2025

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Abbildung 2: Preisentwicklung amerikanischer(Kerzen) und deutscher (Linie) Rentenfutures in den vergangenen 12 Monaten
  • Auf Jahressicht hat sich das Chance-Risikoverhältnis am Rentenmarkt zugunsten Europas verbessert. In den USA wird mehr und mehr ein Risikoaufschlag gefordert (und gezahlt).
  • Nach der Wahl im November haben sich die Finanzierungskonditionen in den USA verschlechtert.

Ein weiteres Puzzleteil kommt aus dem republikanischen Kernstaaten, z.b. Iowa. Dort werden großflächig Getreide, Mais und Sojabohnen für den Export angebaut. Im Jahr 2018 verpflichtete sich China im Gegenzug zum Abbau von Strafzöllen, mehr Agrargüter aus den USA zu importieren. Im Ergebnis wurden tatsächlich Kontingente verabredet. China schloss danach aber weitere Handelsabkommen mit südamerikanischen Staaten ab. Der Handel mit den USA wurde nicht ausgeweitet.

Ein ähnlicher Prozess vollzieht sich gerade mit Kanada. Ein Farmer bringt die Entwicklung wie folgt auf den Punkt: Bisher waren wir bevorzugte Lieferanten – nun sind wir zum Lückenfüller degradiert. Die Handelsströme passen sich in Echtzeit an die neue Situation an.

Fazit: Auch wenn die Aktienmärkte scheinbar unbeeindruckt von die Eskapaden der neuen US-Administration auf der Stelle treten, »brodelt« es unter der Oberfläche. In diesen Kontext ordnet Hieronymus die schwachen US-Arbeitsmarktdaten vom Freitag ein.

Unterfüttert wird diese Einschätzung mit der Wirkung der Drohung, zeitnah zwei Millionen Staatsbedienstete zu entlassen. Man stelle sich einmal vor, in Deutschland würden in den nächsten Monaten 500.000 Arbeitsplätze wegfallen. Die Konjunkturprognose wäre verheerend. In den USA rechnet (bisher) niemand nicht einmal mit einer Delle in der Konsumentenstimmung.

Unternehmen warnen vor schwächeren Ergebnissen in 2025

Die laufende Berichtssaison gibt Unternehmenslenkern die Chance, ihren Share- und Stakeholdern die Abhängigkeiten vom US-Protektionismus zu kommunizieren. Hier eine kleine, subjektive Liste mit prominenten Meldungen der vergangenen Woche:

  • Bombardier (Kanada): man rechnet mit verzögerten Auslieferungen, weil die Lieferkette durch die US-Handelspolitik geschwächt wird.
  • Suntory Holdings (Japan): rechnet bei Jim Beam Whiskey mit einem deutlichen Exportrückgang und sogar mit dem Boykott regionaler Märkte. Die Tequila Herstellung (in Mexiko) ist bisher größter Wachstumsmarkt; es ist völlig ungewiss, wohin die Reise geht. Daran hat auch der Besuch des japanischen Ministerpräsidenten in Washington nichts geändert.
  • Pernot Ricard (Frankreich: Absolut Vodka, Havanna Club) geht wegen absehbarer Handelszölle nun von einem Umsatzrückgang für 2025 aus. Bisher hatte man eine Rückkehr in die Gewinnzone kommuniziert.

Die Hauptversammlungs-Saison hat gerade begonnen. Absehbar werden viele Unternehmen die Handelshemmnisse zum Anlass nehmen, schwächere Ergebnisse zu rechtfertigen. Dann haben die Analysten die Aufgaben trotzdem weiter steigende Marktpreise zu rechtfertigen.

Im Hintergrund vollzieht sich ein Strukturwandel

Es ist an der Zeit, auf den aktuellen Politikpodcast des DLF hinzuweisen. Schwerpunkt diesmal: Wirtschaftspolitik, bzw. warum diese im aktuellen Wahlkampf untergeht.

Kurze Antwort: Politik adressiert den kurzfristigen Zeithorizont. Wir wohnen aber gerade einem Strukturwandel bei. Dieser hat einen deutlich längeren Zeithorizont, als eine Legislaturperiode. Die DLF-Reporter erzählen aus dem Nähkästchen. Es sind gerade die kleinen Nuancen und Anekdoten, die ein rundes Gesamtbild vermitteln und zeigen, wie verletzlich Europa gegenüber Handelsbarrieren ist. Europa ist gegenüber der USA Netto-Exporteur von Waren. Umgekehrt importiert es fast gleichviele Dienstleistungen. Der hiesige Strukturwandel verschiebt die Volkswirtschaft in Richtung Dienstleistungen. Das gefällt der US-Administration nicht, folglich setzt sie alles daran, diesen Prozess zu verlangsamen. Da gerade Wahlkampf ist: Mit Friedrich Merz als Kanzler dürfte die Strategie aufgehen. Die Merz-CDU steht zusammen mit der Lindner-FDP für eine Umkehr des zaghaft eingeleiteten Strukturwandels, zurück in die alte Bundesrepublik mit viel Qualm, Dreck und Maschinen »Made in Germany«, die China inzwischen viel besser baut. Also ein »weiter so« bei Mini-Margen und Lohn-Dumping.

Die Marktteilnehmer sehen das freilich anders. Deutsche Aktien sind angesichts der Aussichten auf einen »Politikwechsel« kurzfristige Highflyer. Auch hier ist die Euphorie mit Händen zu greifen.