Schroedersche Illusion

Es ist Wahlkampf in Deutschland. Ein fazinierendes Schauspiel: Die Welt bricht um uns herum auseinander, und die Spitzenkandidaten schaffen es unisono, die Wäher völlig im Unklaren zu lassen, wie sie mit den neuen Rahmenbedingungen umzugehen gedenken. Fassadentechniken anstatt fiebriger zugespitzter Debatten. Auf der anderen Seite des Globus vollzieht sich der bis dato größte Bankraub im Kryptospace.

Wochenbericht 8/25 Stuttgart, 22. Feb. 2025

Schroedinger Wahlkampf

Lässt man die innenpolitischen Ereignisse der letzten Wochen vor dem inneren Auge Revue passieren und stellt die Fortschritte im laufenden Bundestagswahlkampf daneben, dann ähnelt die Republik der berühmten Katze des Erwin Schroedinger.
Schroedinger postulierte, dass eine Katze problemlos über sehr lange Zeiträume in einem Metazustand gehalten werden kann. In diesem Metazustand ist die Katze weder Tod noch lebendig. Es gibt Beobachter, die munter über den Zustand der Katze spekulieren. Gewissheit erhält man nur, wenn die Klappe geöffnet wird und man nachschaut. Dann ist das Experiment aber abgeschlossen.

Ausgerechnet als klar war, dass sich die USA und deren Verhältnis zur übrigen Welt unter Trump massiv verändern würden, ließ die FDP die Ampel platzen. Reflexartig zogen Parteikader die Ausarbeitungen der Wahlprogramme vor. Ausnahme: die AFD. Deren Ausarbeitung liegt zwar inzwischen auch vor. Die Forderungen sind aber so abwegig, dass es niemand ernst nimmt. Wobei: Die AFD ist die einzige Partei, die im Wahlkampf ihren Wählern reinen Wein einschenkt: Wählt uns, dann bekommt ihr sofort Musk, Putin und Orban in Deutschland. Später machen wir dann dort weiter, wo wir 1945 aufgehört haben.
Alle anderen Parteien haben die Republik gekonnt und in Endlosschleife im schroederschen Metazustand gehalten. In endlos austauschbaren TV-Auftritten wurden gekonnt Themen aus den Wahlprogrammen dahergebetet. Aussagen, wie die Politik ab März tatsächlich aussehen wird, waren tabu. Weder das handselektierte Publikum noch die Redakteure oder Journalisten wagten, das Drehbuch zu umgehen.

Und so wissen die Wähler jetzt wohl alles über die Chemie zwischen einem Robert Habeck und Friedrich Merz, sie haben aber keinen Schimmer, wie die verantwortlichen Politiker auf die aktuelle geopolitische Zäsur zu reagieren gedenken. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, die Wahl als Fest der Demokratie im Umgang mit einer imperialen USA zu inszenieren.

So aber wird das Wahlvolk mit dem Ende der Auszählungen abrupt mit dem realen Zustand der Republik konfrontiert. Fakt ist: Die Katze hat sich im Metazustand deutlicher verändert, als sich die meisten vorstellen konnten. Entsprechend drastisch könnte der Prozess der Erkenntnis werden.

European Excellence

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Abbildung 1: Preisentwicklung europäischen (blau) und des US-Aktienmarkts seit November 2024

Es ist faszinierend, wie sich der Preistrend in Europa trotz aller geopolitischen Gegenwinde seinen Weg bahnt. Der Blick auf den Chart suggeriert ein prosperierendes Europa und eine stagnierende USA. Der Chart ist ferner von der Realität denn je. Es ist vielmehr eine Projektion der Marktteilnehmer auf eine zukünftige Prosperität bzw. Exzellenz Europas.

In der aktuellen Wochenendausgabe schreibt die FT ausführlich über einen massiven Zuzug von Trump-Flüchtlingen ausgerechnet nach Spanien. Demnach müssen immigrierende US-Amerikaner ein Jahreseinkommen von 30 k€ vorweisen. Im Gegenzug bekommen sie problemlos ein Arbeitsvisum. Tja – Spanien wird erfolgreich und lautlos von einer sozialistischen Regierung regiert, die rechtspopulistische VOX ist offenbar auf dem Rückzug.

Ist das der Beginn eines Brain-Drains aus den USA? Auch Japan verzeichnet gerade eine historische Zuzugswelle gut ausgebildeter US-Emmigranten.

Die Situation an der Börse erinnert an das Japan der 1980er. Damals spekulierte die Welt auf eine Outperformance japanischer Aktiengesellschaften. Die Japaner selbst konnten gar nicht glauben, was an den Börsen in Tokio und Osaka vor ihren Augen abging.

Trauen internationale Investoren dem Alten Kontinent viel mehr zu, als wir es in unserer Betriebsblindheit eingestehen können oder wollen?

Am Freitag wagte sich das Urgestein Daniel Cohn-Bendit im Interview mit dem Deutschlandfunk aus der Deckung: Selbst Friedrich Merz kann »über sich hinauswachsen«. Es fällt zwar schwer, sich ausgerechnet den Transatlantiker Merz als Architekten eines Exzellenz-Europas vorzustellen, dass es mit dem Silicon-Valley aufnimmt. Aber wer weiss – progressive US-Fachkräfte scheinen bereit zu stehen, Europa aus der Defensive zu befreien.

Kurzfristig müssen die Finanzmärkte klären, wann und in welchem Ausmaß die Divergenz seit der US-Wahl auskorrigiert wird. Die Volatilität dürfte in den kommenden Wochen also steigen. Mindestens bis die zukünftigen politischen Verhältnisse in Deutschland geklärt sind, käme eine Fortsetzung des Trends sehr überraschend.

Neuer Bankraub im Kryptospace

Theoretisch ist alles einfach. Eine Wallet ist eine Adresse auf einer Blockchain. Dort ist verzeichnet, welche Coins in der Wallet vorhanden sind, in welchen Smart-Contracts Investments getätigt wurden, ob Kredite aufgenommen oder gewährt wurden. Schauen, was unter einer Adresse abgespeichert ist, wann welche Transaktionen erfolgten, kann jede/r. Transaktionen selbst müssen mit einem Private-Key bestätigt werden. Sensible Transaktionen werden mit Multiseg-Accounts durchgeführt. Dafür müssen mehrere Berechtigte eine Transaktion mit ihren Keys genehmigen. Als besondere Vorsichtmaßnahme speichert man den Private-Key auf einem verschlüsselten USB-Device, der passwortgeschüzt im Safe unzerstörbar gelagert wird. Das nennt man dann »Cold Wallet«.

Eigentlich kann ein mit diesen einfachen Sicherheitsmaßnahmen geschützter Account nicht Opfer eines Bankraubs werden. Selbst wenn der Dieb sich den USB-Stick beschafft hat, kommt er mangels Passort (oder falschem Gesicht, ect) an die verschlüsselten Key nicht heran. Und falls diese Hürde genommen wurde, müssen die anderen Signaturen beschafft werden.

Dennoch gelang es Cyber-Dieben, sich bei der Cryptobank Cybit einer Cold-Wallet mit den Sicherheiten der Bank zu bemächtigen und Coins im Wert von 1,5 Mrd. $ zu liquidieren.

Dieser Vorfall reiht sich ein in eine Vielzahl »unglücklicher« Zufälle bei verschiedenen Kryptobanken, die zu großen Vermögensumverteilungen führten. Es ist recht wahrscheinlich, dass gewisse autoritäre Regime diese Art von Bankraub systematisch als Devisen-Einnahmequelle ausbeuten. Das kann mit eigenen Wallets nicht passieren. Die eignen sich auch hervorragend für den Schutz angesammelter Vermögenswerte vor jeglichem staatlichem Zugriff.

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Abbildung 2: Preisentwicklung von Bitcoin und Ethereum in den vergangenen 6 Monaten

Anfang Februar divergierten die Preisentwicklungen von Bitcoin und Ethereum quasi nachrichtenlos signifikant. Der nun bekannt gewordene Großbankraub erklärt den Preisrutsch. Die Cybit-Wallet wurde an einem Wochenende liquidiert. Dann genügen bereits geringe Transfervolumina um größere Trends zu triggern.

Der heutige Wochenbericht fällt wegen eines massiven Virenangriffs auf die Atemwege Hieronymus kürzer aus.

Für den Fall der Fälle: Intellektuelle Nachwahldesastertrostpflaster verteilt am Wahlabend ab 21 Uhr der ikonische Live-Politikpodcast des DLF. Während dessen kann für den Fall einer autoritären Machtentfaltung auch in Deutschland die persönliche Exit-Strategie ausgearbeitet werden.