Die US-Administration zerschmettert mit Verve die Nachkriegsordnung. Europa steht vor epochalen Herausforderungen. Positiv ist, dass sich sehr rasch neue Allianzen herausbilden, dass sich Kerneuropa neu formiert. Populistisch unterwanderte Staaten bleiben außen vor. Tranditionelle Finanzierungsmethoden kommen vermutlich rasch an ihre Grenzen. Stablecoins könnten die Transformation beschleunigen und gleichzeitig neue demokratische Strukturen etablieren.
Trutzburg Kanada
Kaum in Amt und Würden, verkündete Dagoberg Duck Strafzölle auf US-Importe aus China, Kanada und Mexiko. Der Aufschrei war gewaltig; für Kanada und Mexiko wurden die Maßnahmen aufgeschoben. Nun ist die Karenzzeit vorbei. Ab nächste Woche (4. März) wird auf den grenzüberschreitenden Transport von Waren in die USA ein Zoll von 25 Prozent fällig.
Oberflächlich scheinen sich die Wogen geglättet zu haben. Im Untergrund brodelt es aber gewaltig. So erlebt die derzeit regierende liberale Partei Kanadas eine Turbo-Renaissance. Die konservative Partei Kanadas mit dem charismatischen Pierre Poilievreauf als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten wandelt auf rechtspopulistischen Pfaden. Die Partei zog mit prominenter Unterstützung der üblichen Verdächtigen aus den USA mit dem Schlachtruf “Canada is broken” in den Wahlkampf und trieb die Liberalen vor sich her.
Negativschlagzeilen ziehen nicht mehr. Mit Grausen schauen die Bürger Kanadas auf die Entwicklung in den USA. Kanada geht einen anderen Weg. Die Zustimmungswerte für die »langweilige« Liberale Partei steigen von Woche zu Woche. Das liegt sicher auch an dem Wettkampf von Christia Freeland (ehemalige Außenministerin ) und Mark Carney (ex. Notenbankchef) um den Parteivorsitz. Da bewirbt sich die erste Garde um den Top-Posten. Hier entsteht eine demokratische Trutzburg gegen eine ins autoritäre abdriftende USA.
Dank des Freihandelsabkommens ist der Handel mit Europa für kanadische Unternehmen attraktiver, als der grenzüberschreitende Handel mit den USA. Gleiches gilt auch für Mexiko, mit dem die EU bekanntlich unmittelbar vor dem Machtwechsel in Washington ebenfalls ein Freihandelsabkommen vereinbart hat.
Bottomline. Druck erzeugt Gegendruck. Die überwiegend als willkürlich und unfair empfundenen Strafmaßnahmen des ehemals besten Verbündeten stellen als unverrückbar geltende Prozesse und Präferenzen in Frage. Von der Neuausrichtung der Handelsbeziehungen profitieren die neuen Partner. Das ist negativ für gewachsene Lieferketten und Exporteure in den USA.
Der kanadische Aktienmarkt notiert ungeachtet der Einführung der Strafzölle nahe seines Alltime-Hochs. Die eigentliche Anpassungslast trägt der Währungsmarkt. Der kanadische Dollar wertet seit 2022 ab und notiert gegenüber dem US-Dollar nahe des 22-Jahres-Tiefs. Gegenüber dem Euro ist die Währung interessanterweise auf Jahressicht erstaunlich stabil.
Strafzölle auf Holzimporte
Quasi nach Redaktionsschluß leitete die USA eine (erneute) Untersuchung der Holzimporte ein. Kanada, größter Lieferant von Bauholz, wird vorgeworfen, die Rohware zu Dumpingpreisen in die USA zu exportieren. Die kanadische Holzindustrie ist – ähnlich der in Europa – halbstaatlich. Vielfach wird der Einschlag aus Staatsforsten vermarktet. Dies eröffnet den Lobbyverbänden in den USA viele Möglichkeiten, vermeintliche Wettbewerbsnachteile zu konstruieren. Der Holzexport steht für 1,2 Prozent des kanadischen Außenhandels (2022: 45,6 Mrd. $). Die Maßnahme soll den Druck erhöhen, dass die USA Kanada ohne militärische Gewalt als 51. Bundesstaat annektieren können.
Europa: Inflation in Frankreich
Zum Monatswechsel veröffentlichte das französische Statistikamt aktuelle Inflationsdaten. Die Inflation (CPI) ist erstmals seit Februar 2021 unter ein Prozent gesunken, sie betrug im Februar 0,8 %. Treiber des Trends ist ein Rückgang der (regulierten) Energiepreise (-15% yoy). Lebensmittel sind hingegen nochmals leicht (0,3% yoy) gestiegen, genauso wie Dienstleistungen (+2,1% yoy).
Insgesamt ist der Rückgang der Inflation von schwächeren Einzelhandelsumsätzen und einem schwächeren Arbeitsmarkt begleitet. Konjunkturell folgt Frankreich dem Trend in Deutschland.
Für den März ist wegen der schwachen konjunkturellen Entwicklungen in den Kernländern der Eurozone von einer weiteren Zinssenkung der EZB auszugehen.
Stablecoins bedrohen die Finanzstabilität Nigerias
Zwischen Juli 2023 und Juni 2024 wurden insgesamt 59 Milliarden USD über das Krypto-Space an Firmen und Einzelpersonen in Nigeria überweisen, das meiste über USDC- und Tether-Stablecoins. Das entspricht etwa 25 % des GDP des Landes. In dem westafrikanischen Land verdrängen Stablecoins die lokale Währung (Naira). Die Situation ähnelt der in Argentinien, wo der Peso für die Begleichung von Steuerschulden und den täglichen Einkauf genutzt wird, der über den Schwarzmarkt verfügbare US-Dollar für alles andere.
Was hierzulande nur über die regulierte Infrastruktur von Moneygram erlaubt ist, wird in Nigeria offenbar in jedem Dorfladen praktiziert: Das Einzahlen von Bargeld auf eine Wallet und der automatische Wechsel in einen Stablecoin. Das geschieht in Nigeria über die Infrastruktur von Binance und hat nicht mehr tolerierbare Ausmaße angenommen: Der Staat Nigeria hat Binance nun auf Schadensersatz über 81,5 Mrd. $ verklagt.
Die weitverbreitete Nutzung von Stablecoins zur Vermeidung der Geldentwertung in der lokalen Währung entzieht dem Staat die Möglichkeit, sich im Inland zu verschulden. Die Geldmenge kann nicht mehr kontrolliert werden, Zinsen verlieren ihre Steuerungsfunktion. Statt dessen bestimmen die Finanzierungkonditionen im Krypto-Space den Zugang lokaler Wirtschaftssubjekte zu Fremdkapital.
Szenario: Stablecoins ersetzen die lokale Währung
- Welche Funktion hat die Wirtschaftspolitik in diesem Umfeld noch?
- Welchen Einfluss kann ein Staat auf die Konjunktur nehmen?
- Wozu braucht es überhaupt einen Staat, wenn die Bürger sich global mit Kapital versorgen und Firmen ihre (immateriellen) Produkte ebenfalls global vertreiben können?
Stablecoins öffnen Finanzierungskanäle
Stablecoins eröffnen Staaten auf der anderen Seite ganz neue Finanzierungskanäle. Sie müssen allerdings auf das Geldschöpfungsmonopol verzichten.
Stablecoins existieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind “stable” weil sie mit Sicherheiten hinterlegt sind. Ein Staat kann seriös finanzierte Stablecoins fördern. Die Stablecoins müssten als Gegenleistung staatliche Kriterien für die Zusammensetzung vorgehaltener Sicherheiten erfüllen. Das könnte z.B. die Verpflichtung enthalten, die Coins mit Staatsanleihen zu hinterlegen.
In den USA arbeiten die beiden Parlamentskammern an unterschiedlichen Regulierungsentwürfen. Der Senat diskutiert einen »Genius Act«, das Repräsentantenhaus werkelt an dem »Stable Act«. Zeitgleich untersucht die SEC, ob die großen USD-Stablecoins genehmigungspflichtige Securities sind (und damit in der gegenwärtigen Form illegal) oder schlicht wertlose digitale Assets. Die beiden Gesetzesentwürfe fordern von den Emittenten Mindestquoten an US-Staatsanleihen als Collateral (66 % beim Stable Act, 83 % beim Genius Act). USDC wird von einem US-Unternehmen herausgegeben, Tether hat seinen Sitz in El Salvador.
Im finalen Wochenbericht 2024 ging
Stablecoins vs. digitale Währungen
Seit Jahren untersuchen Zentralbanken den Nutzen digitaler Währungen. Die Idee dahinter: Eine Notenbank gibt eine digitale Variante der lokalen Währung heraus und tritt in direkte Konkurrenz zu den Geschäftsbanken. Dies würde den Instrumentenkasten der Notenbank zur Steuerung von Geldmenge und Zins erweitern. Der Staat könnte Steuern über diesen Kanal eintreiben und staatliche Leistungen sehr effektiv ausrollen. Hier setzt die Kritik an digitalen Währungen an: Mit der Einführung einer digitalen Währung hätte jeder Bürger ein Konto bei der Zentralbank. Der Staat hätte auch die Möglichkeit, Zuwendungen zu verteilen. Dies ist andererseits auch ein mächtiges Instrument der Kontrolle der Zahlungsströme. Steuerzahler und Zuwendungsempfänger sind plötzlich gläsern. Zur Erinnerung: Transaktionen auf Blockchains sind transparent und unveränderlich. Es gibt keine Möglichkeit, Transaktionen zu verschleiern, die Zahlungen sind für die Ewigkeit auf der Blockchain dokumentiert.
Stablecoins bieten viele Vorteile einer digitalen Währung ohne den Nachteil eines kompletten Verzichts auf Privacy. Sie sind digital, aber nicht staatlich. Sie bieten jedermann (also auch dem Staat) günstige Finanzierungsoptionen, gleichzeitig gelten weiterhin die üblichen Marktgesetze. Innerhalb der Eurozone haben die Staaten das Geldschöpfungsmonopol an die EZB abgetreten. Diese Institution ist prädestiniert, Stablecoins wirksam zu regulieren.
Transnationale Verteidigungsetats als Katalysator?
Der in der letzten Woche von der EU vorgestellte “Clean Industrial Act” wird konventionell finanziert. EU-Staaten finanzieren gemeinsam zehn bis zwanzig Prozent der benötigten Investitionen. Dies dient als Collateral für die Emission von Krediten der Europäischen Entwicklungsbank. In der kommenden Woche treffen sich viele Repräsentanten direkt von Russland bedrohter Staaten, um die Sicherheitsarchitektur für Europa in den kommenden Jahren zu diskutieren. In der Vergangenheit wurden zur Finanzierung von Kriegen Volksanleihen ausgegeben. Die Emission solide gesicherter Euro-Stablecoins wäre die direkte Entsprechung im 21. Jahrhundert.
Szenario: Stablecoins als Zahlungsmittel und Finanzierungsinstrumente
- Die EZB als supranationale Notenbank bietet einen regulatorischen Rahmen für Stablecoins.
- Bürger können die Stablecoins wie Bargeld nutzen.
- Je mehr Stablecoins im Umlauf sind, desto mehr transnationale Projekte können zu marktgerechten Konditionen finanziert werden.
- Die notwendigen Verteidigungsmaßnahmen können ohne zusätzlich nationale Schuldenaufnahmen und auch ohne Steuererhöhungen finanziert werden, solange die Bürger Vertrauen in die Sicherheiten der Stablecoins haben. Hier ist die Politik gefragt.