Entkopplung II

Ab April wird die USA Europa mit willkürlichen Handelszöllen überziehen. Transatlantisch aufgestellte Unternehmen passen sich an und reduzieren ihre Geschäftstätigkeiten in den USA. Spanien strebt eine Renationalisierung seiner Rüstungssindustrie an und Kleinanleger entdecken europäische Meme-Stocks.
Die RWE erhöht ihre Dividende und transformiert sich in einen regenerativen Energieversorger. Sie bietet sich als Basiswert für Stillhaltertrades an.

Wochenbericht 12/25 Stuttgart, 22. Mar. 2025

Bayer Turnaround Handelsstrategie

Die Bayer Aktie bietet eine der spannendsten Turnraound Storys in Deutschland. Der Konzern erholt sich zaghaft von epischen Management-Fehlern, die Eingang in Lehrbücher gefunden haben. Eine Restrukturierung allein ist bereits eine Herkulesaufgabe. Für Bayer genügt das nicht: Es handelt sich um einen deutschen Konzern mit signifikantem US-Geschäft, das von einem Texaner geführt wird. Der Konzern will zusätzlich durch die Untiefen der aktuellen transatlantischen Zerwürfnisse manövriert werden.

Das Hieronymus Handelssystem Schaufenster ist nun online. Der höchstwahrscheinlich erfolgreiche Turnaround wird mit einer Stillhalterstrategie begleitet. Langweilig aber (hoffentlich) Lukrativ.

RWE

Am vergangenen Donnerstag stellte die RWE AG ihr Jahresergebnis 2024 vor. Das Zahlenwerk barg kaum Überraschungen; die Dividende wird von 1 € auf 1,10 € pro Aktie erhöht (Aktienpreis: ca. 32 €). Für die Folgejahre stellte das Management höhere Dividenden in Aussicht.

Die Anhebung der Dividende war vom Markt antizipiert und hatte keinerlei Auswirkungen auf den Aktienkurs oder die Preise von Derivaten.

Das Management bekräftigte sein Commitment zum Ausbau regenerativer Energieerzeugungen, in Europa (Schwerpunkte: Deutschland, Großbritannien) und auch den USA. Dort werden Investitionen jedoch deutlich reduziert. Die Botschaft: Die Rahmenbedingungen sind nicht kalkulierbar; bereits begonnene Solar- und Windprojekte werden fortgeführt. Es fließen also planmäßig die für 2025 eingestellten Mittel in US-Projekte. Von weiteren Projektentwicklungen nimmt man aber wegen der unklaren Rahmenbedingungen Abstand. Die hierfür vorgesehenen Mittel werden statt dessen an die Aktionäre (hauptsächlich deutsche Kommunen) ausgeschüttet.

In Europa bleibt die Investitionsplanung unverändert. Insbesondere will RWE in Netzspeicher investieren, die eine zentrale Rolle in der zukünftigen Strominfrastruktur spielen werden.

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Abbildung 1: Preisentwicklung der RWE-Aktie

Die RWE-Aktie ist ein typischer Dividendenwert. Per Saldo ist der Aktienkurs konstant. Unterjährig schwankt der Wert um etwa 20 Prozent. Die Abb. 1 zeigt auch die kontinuierlich angehobenen Dividendenzahlungen. Andererseits ist die Dividendenrendite mit aktuell 3,4 Prozent nicht wirklich berauschend. Die Verzinsung passiv investierten Aktienkapitals entspricht in etwa der aktuellen Inflationsrate. Die Charakterisierung »langweilig« beschreibt die Aktie gut.

  • Die RWE setzt konsequent seine Transformation in einen regenerativen Energieversorger fort.
  • Die Rahmenbedingungen in Europa sind unverändert gut.
  • US-Investments werden zurück gefahren.
  • Der Versuch, Ertragsströme durch Beteiligungen an US-Solar- und Windparks zu diversifizieren, ist offenbar gescheitert.

Stillhalterstrategie

Die RWE erfüllt alle Voraussetzungen für einen veritablen Basiswert für eine Stillhalterstrategie. Stetig steigende Dividendenausschüttungen stützen den Aktienpreis bei insgesamt sinkenden Marktpreisen. In Haussephasen ist der Wert ein Underperformer – welche Preisphantasie kann ein Unternehmen entfachen, dass nichts besseres zu tun weiss, als geplante Investitionen auszuschütten, anstatt sie zu reallokieren? Gleichzeitig ist die implizite Volatilität höher.
Klar: Der Wert trägt die Risiken eines Einzelwerts; der Aktienpreis kann newsbedingt immer um fünf Prozent steigen oder auch 10 Prozent fallen.

Bereits zum Jahreswechsel wurde eine RWE-Handelsstrategie aufgesetzt, die kontinuierlich Optionen auf den Basiswert veräußert. Anders als bei der Bayer-Turnaround Strategie ist die Grundannahme hier ein insgesamt konstanter Marktpreis. Die Stillhalterstrategie hat das Ziel, ein alternativ mögliches Aktienengagement risikolos outzuperformen. Hierfür werden ggf. auch Spreads aufgebaut, also Call- und Put-Optionen mit unterschiedlichen Strikes und gleicher Fälligkeit veräußert. Hierdurch kann der Ertrag z.B. in den schwankungsarmen Sommermonaten verbessert werden.

Abbildung 2: Wertentwicklung bisheriger und offer RWE-Stillhalter-Trades (Bezug; 10 Optionskontrakte). Eröffnungs-Trades: 22.01, 25.02, 23.03. Genaue Order-Konditonen gemäß interaktiver Graphik

Die Ergebnisgraphik ist eine Vorschau auf das geplante Schaufenster für diese Handelsstrategie. Die Trades sind auch in der Stillhalter-Strategie enthalten.

Meme-Stocks 2025

Wer erinnert sich noch an den Zenit der Corona-Epidemie: Um einen vollständigen Kollaps zu vermeiden, legten viele Staaten umfangreiche Hilfspakete auf. Zeitgleich saßen viele in den Wohnungen fest und suchten händeringend nach Zerstreuung. In Reddit-Foren tauschten sie sich über Unternehmen aus, deren Aktien massiv von Hedgefonds geshortet waren. Aus purer Opposition kauften einige öffentlich die sehr preiswerten Titel, andere zogen nach. Innerhalb kurzer Zeit entstand eine Grassroots-Bewegung, die das Ziel hatte, die Hedge-Fonds zu einer Kapitulation zu zwingen.

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Abbildung 3: Preisentwicklung der Renk AG

Der jüngste Preisanstieg der Renk-Aktie wird dem aktuellen Meme-Regime zugeordnet. Die Hedge-Fonds Marshall Wace und Millennium hatten Shortpositionen in dieser Aktie ausgewiesen. In wiedererwachten Reddit-Gruppen (“r/Aktien” und “r/wallstreetbetsGER” ) wird dies eingehend diskutiert bzw. es werden Kaufempfehlungen lanciert. Halbseidene Publikationen (der Aktionär …) und Foren ziehen nach. In Europa müssen Hedge-Funds Shortpositionen ab einer Gewichtugn von 0,5% des FreeFloats offenlegen. Das erleichtert die Identifizierung geshorteter Werte.

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Abbildung 4: Preisentwicklung der Mutares SE & Co KGaA

Retail Investoren fliegen gerade auf alles, was auch nur entfernt mit Rüstung zu tun hat. Die Beteiligungsgesellschaft Mutares nutzt dies geschickt. Mutares ist an Steyr Motors beteiligt und sucht einen Exit. Wie der Zufall es will, können die Motoren auch in Rüstungsprojekten eingesetzt werden. Das Management konnte einen Auftrag aus Brasilien vermelden. Es genügen einige wenige Posts in den sozialen Medien und schon kauft die Meute alles auf, sie Abb. 4.

Eine besondere Story erzählt die spanische Indra Sistemas. Das Unternehmen ist das Pendant zur heimischen Rheinmetall. Einzig: Der US-Rüstungsmogul General Dynamics ist neben dem spanischen Staat der operativ beherrschende Großaktionär. Die wachsende transatlantische Kluft ist auch hier nicht folgenlos. Ohne Absprache hat der spanische Staat das Management angewiesen, ein Übernahmeangebot für Santa Bárbara Sistemas zu erstellen, die ebenfalls von General Dynamics beherrscht wird. Zugleich verschärft sich die Rhetorik gegenüber General Dynamics. Spanien wirft dem US-Unternehmen Misswirtschaft und einen technologischen Ausverkauf der Indra vor. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Spanien seine Rüstungsindustrie renationalisieren will. Nun verfügbare EU-Mittel könnten diesen Prozess beschleunigen. Der Aktienpreis hat sich im Zuge dieser Entwicklungen verdoppelt.

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Abbildung 5: Preisentwicklung der Indra Sistemas SE