Japanifizierung der USA

Nach dem »Inflation Reduction Act« nun also die »Big Beautiful Bill«: Meta-Gesetzespakete als Embleme einer disfunktionalen, ultrapolarisierten Legislative. Mehrheiten für Schlüsselelemente müssen sehr, sehr teuer erkauft werden. Exponentiell steigenden Staatsausgaben steht eine ansonsten statische Gesellschaft gegenüber. Die Ausgangsbedingungen gleichen denen Japans nach der Jahrtausendwende. Die Regierung legte ein Konjunkturprogramm nach dem anderen auf, die Notenbank erzwang deren Finanzierung. Gelingt eine Japanifizierung und wenn ja – um welchen Preis?

Wochenbericht 27/25 Stuttgart, 05. Jul. 2025

Japanifizierung der USA

Das Land der aufgehenden Sonne war ab den frühen 1970ern bis 2010 die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Das Platzen der Immobilienblase im Jahr 1990 war die eigentliche Zäsur. Die Ökonomie stagniert seither.

Jede konjunkturelle Delle, jeder geopolitische Gegenwind wurde von der japanischen Regierung mit einem neuen Konjunkturprogramm beantwortet.

Finanzmarktakteure wurden niemals müde, die Fiskalpolitik in Japan als nicht nachhaltig zu brandmarken. Ein epischer Kampf entbrannte: Potenzielle Gläubiger japanischer Staatsanleihen verlangten höhere Zinsen, Währungshändler verkauften Yen. Das Anleihethema räumte die Regierung regulatorisch ab: Lebensversicherungen und Banken wurden gezwungen, hohe Quoten an japanischen Staatstiteln zu halten. Gegen einen schwachen Yen hatte die Exportnation Japan nichts einzuwenden.

Die japanische Notenbank ist Weltmeister für Niedrigzinspolitik. Ab der Jahrtausendwende drohten trotzdem fiskalische Spielräume zu verschwinden. Schlau wie sie sind, »erfanden« japanische Notenbänker daraufhin »Quantitative Easing« – Die Notenbank kauft zu festgesetzten Zinssätzen Staatsanleihen auf und senkt gleichzeitig die Zinsen. Die Anleihenkäufe geben der Notenbank Kontrolle über die Marktzinsen für langlaufende Anleihen und Kredite. Der Leitzins bestimmt die Zinsen für Tagesgeld und kurzfristige Ausleihungen. Theoretisch können so unbegrenzt hohe Staatsdefizite finanziert werden.

Tatsächlich bedurfte es der Abfolge »Corona Epidemie« + »Ukrainefeldzug Russlands« um dieses System aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Seit zwei Jahren steigt in Japan die Inflationsrate. Die japanische Notenbank hat die Kontrolle über den Zinssatz für japanische Staatsanleihen gelockert. Deren Preise steigen seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die Leitzinsen sind auf 0,5 % angehoben worden – immerhin.

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Abbildung 1: Renditeentwicklung japanischer Staatsanleihen (10 Jahre)

Die Zinssätze für japanische Staatsanleihen sind trotzdem nur etwa halb so hoch, wie die in Deutschland. Die USA spielen in einer anderen Liga.

Interessant ist ein Blick in die Vorkriegs- und Vorcorona-Zeit: Die Kontrolle der Notenbank über die Zinssätze war total.

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Abbildung 2: Renditeentwicklungen in Japan, Deutschland und der USA im Vergleich

Die »Big Beautiful Bill« legt die Grundlagen für die Adaption der Repressionen der japanischen Geldpolitik. In der »Section 899« präsentiert die US-Administration die Folterinstrumente: Für Auslandsüberweisungen werden 3,5 % Steuern erhoben (Krypto-Überweisungen sind hiervon ausgenommen). Zukünftig könnten auch US-Dollarverkäufe als Auslandsüberweisung eingestuft werden. Falls eine ausländische Regierung Maßnahmen ergreift, die MAGA-Interessen entgegenstehen oder bestehende Maßnahmen nicht unverzüglich aussetzt, kann die Administration willfährig ausländische Investments mit einer Quellensteuer bis zu 15 % belegen. Alle Zins- und Dividendeneinnahmen wären betroffen. Die Einführung derartiger Kapitalkontrollen ist ein einfacher Verwaltungsakt. Was MAGA-Interessen sind, ist Gegenstand des Zeitgeistes.

Falls die Marktteilnehmer auf die Idee kommen sollten, gegen die USA zu wetten, also USD und/oder US-Staatsanleihen zu veräußern, hat die US-Administration auch ohne Einbeziehung einer möglicherweise rebellischen Notenbank Instrumente, ihre Fiskalpolitik zu verteidigen.

Im Frühjahr 2026 wird ein neuer FED-Vorsitzender bestimmt. Dann besteht die Gelegenheit, die FED nach dem Vorbild der Bank of Japan zu formen. Die japanische Notenbank ist ein willfähriger Erfüllungsgehilfe der Fiskalpolitik in Japan. An ihren Entscheidungen haben sich Generationen von Bond-Tradern die Zähne ausgebissen. Egal wie bizarr die Geldpolitik in Japan schien – jede Opposition erstickte die BOJ mit Marktinterventionen aller Art. Das beinhaltet auch direkte Aktienkäufe.

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Abbildung 3: Aktienmarktentwicklung in Japan und Deutschland im Vergleich

Der Erfolg gibt dem Tandem Regierung + Notenbank recht. Die Preisentwicklungen des japanischen und deutschen Aktienmarkts sind mittelfristig vergleichbar. Die Preisentwicklung am Aktienmarkt in Tokio war seit der Jahrtausendwende liquiditätsgetrieben. Fundamentale Aspekte sind nachrangig.

In einem Beitrag auf LinkedIn ging Hieronymus auf den Zusammenhang zwischen der Duration der Staatsschulden und dem Risiko eines Staatsbankrotts ein. Tatsächlich gelingt es der USA bereits vor dem Inkrafttreten des »Big Beautiful Bill« nicht mehr, am Kapitalmarkt Durationen von sieben Jahren und mehr durchzusetzen. Aktuell beträgt die Duration etwa 5,5 Jahre. Ab 5,2 Jahre wird es kritisch, wenn man Griechenland als Vorlage nutzt. Als die Duration 2010 diese Marke unterschritt, sprang die Rendite für Anleihen mit 10 Jahren Laufzeit auf 8 %. Danach war der Zug in den Default nicht mehr zu stoppen.

Diese Entwicklung konnte die japanische Notenbank mit finanziellen Repressionen vermeiden. Sie ließ den Yen abwerten und kaufte solange Anleihen auf, bis die Marktzinsen ein unkritisches Niveau erreicht hatten.

Der US-Dollar wertet seit der Amtsübernahme der Trump-Administration ab. Die Duration der Verschuldung des US Staatshaushalts ist wegen dessen Volumens eine träge Größe. Dennoch erzeugt jede nicht vollständig prolongierbare Staatsanleihe einen »Durationsdip«. Da Steuersenkungen und Wahlgeschenke sofort finanziert werden müssen, die teilweise Refinanzierung durch reduzierte Sozialausgaben aber erst 2026 wirksam wird, könnte die Trump-Administration bereits sehr kurzfristig auf eine gefügige FED angewiesen sein. Es wird spekuliert, dass bereits im Spätsommer ein »Schatten-FED-Vorsitzender« (nur Männer sind im Gespräch) benannt wird. Dessen einzige Aufgabe besteht darin, die derzeitige FED mit maximalem Druck gefügig zu machen und die »Japanifizierung« ein paar Monate vorzuziehen, ohne einen Markttumult auszulösen.

Fazit

Durchschnittlichen Ertragsperspektiven von Investments in den USA stehen repressionsbedingte Risiken gegenüber.

US-Assets sind für Privatanleger abdinglich!

Die Staatsverschuldung in den USA wird sich absehbar deutlich ausweiten. Japan zeigt seit der Jahrtausendwende, wie eine offensichtlich nicht nachhaltige Verschuldung dennoch nachhaltig gemanagt wird. Das Geheimnis ist eine enge Abstimmung zwischen Regierung und (formal unabhängiger) Notenbank. Die Regierung gibt die fiskalischen Ziele aus, die Notenbank sorgt für eine volkswirtschaftlich tragbare Finanzierung. Der Instrumentenkasten der japanischen Notenbank entwickelte immer weiter. Sie war kritischen Geistern in den Reihen potenzieller Gläubiger stets einen Schritt voraus.

Für die USA erwartet Hieronymus ähnliche Prozesse. Das Finanzministerium gibt die fiskalischen Ziele vor, die FED sorgt für die notwendige finanzielle Repression. Im »Big Beautiful Bill« werden erste Instrumente für die Sicherstellung eines stabilen Marktumfelds ausgerollt. Vermutlich wird der Rest per Executive Order des US-Präsidenten erlassen. Diese haben ja seit Jüngstem Gesetzeskraft, solange sie nicht erfolgreich angefochten wurden.

Das Vorbild Japan zeigt, dass die Rahmenbedingungen für die Kapitalanlage grundsätzlich kaum verändert. Die Zinssätze am Anleihemarkt sind repressionsbedingt geringer, als die Geldentwertung. Das macht Aktien, zumindest für die private Kapitalanlage, erneut »Alternativlos«. Je größer die Gefahr von Kapitalverkehrskontrollen wird, desto alternativloser wird der US-Aktienmarkt für US-Bürger. Für ausländische Investoren gilt das Gegenteil – es sei denn, sie erwirken Ausnahmegenehmigungen. So werden bereits jetzt Staatsfonds ausdrücklich von der Quellensteuerregelung ausgenommen. Zu groß ist die Angst vor umfangreichen Kapitalabflüssen aus den USA.

Ausländische Kleinanleger tragen den Schwarzen Peter. Sie werden den Empfängern von Sozialleistungen in den USA gleichgestellt, die bekanntlich die Maßnahmen der Trump-Administration finanzieren müssen. Spannend wird es, wenn die Besteuerung von ETFs verhandelt wird. Diese werden maßgeblich von Privatanlegern gehalten und investieren im großen Stil in die US-Kapitalmärkte. Unterliegen auch sie einer zukünftigen Besteuerung – oder ist der projektierte Kapitalabfluß zu schmerzhaft?