Populismus

In Europa setzen die Wähler:innen ihre Hoffnungen auf populistische Parteien. Im demokratischen Diskurs erzielen deren Themen in immer größen Maße Deutungshoheit. Das hat auch Konsequenzen für die Kapitalanlage. Bayer profitiert hiervon.

Wochenbericht 35/24 Stuttgart, 07. Sep. 2024

Die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen sind gerade eine Woche vorbei. Der Ausgang selbst ist wenig überraschend. Trotzdem hat sich das Land verändert. Deutschland reiht sich nun nahtlos ein in die wachsende Gruppe populistisch geprägter EU-Staten: Österreich, Italien, Niederlande, Belgien, Kroatien und Frankreich.

Auf Bundesebene ist die »Fortschrittskoalition« bereits Geschichte: Sie war rückblickend ein verzweifelter Versuch progressiver Kräfte, dem Land nach Jahrzehnten politischer, sozialer und gesellschaftlicher Stagnation einen Ruck zu geben. Anders als nach der Rot-Grünen Koalition unter Schröder, gelang es den Protagonisten der Ampel nicht, der Gesellschaft außerhalb massenhaft aus China importierter Solaranlagen eine Perspektive aufzuzeigen. Statt dessen bestimmen Autokraten (Trump + Putin), Rechtspopulisten aus dem In- und Ausland sowie konservative Medien den Diskurs.

Auf eine gescheiterte Reform folgt üblicherweise eine Repression. Der Zulauf der Wagenknechtpartei gibt einen Vorgeschmack auf zukünftige Themen.

Die Verweigerung der Mehrheitsgesellschaft, Zukunftsthemen aufzunehmen und hieraus eine positive gesellschaftliche Vision zu entwickeln, steht in einem unguten Kontrast zu aktuellen Trends in den USA. Der innerdeutsch abgehängte und in weiten Teilen inzwischen disfunktionale Osten könnte die Blaupause bilden für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Hieronymus hat unmittelbar vor den Wahlen eine deprimierende Stippvisite in einige östliche Landesteile unternommen. Mit Ausnahme der Speckgürtel um die Oberzentren ist nach unserem Augenschein eine weitere Abwanderungswelle vorprogrammiert. Die innerdeutsche Grenze empfanden wir als präsenter denn je. Die Ankündigung Intels, den Bau der Chipfabrik in Magdeburg nochmals prüfen zu wollen, ist nur folgerichtig.

Die Causa Volkswagen

In diese Gemengelage hinein kündigt VW, der hiesige halbstaatliche Automobilkonzern, aus blanker ökonomischer Notwendigkeit die ausgehandelten Formelkompromisse mit den Stakeholdern auf. Volkswagen setzt damit die Axt am bundesdeutschen Wohlstandsmodell an. 684.000 (zumeist gut entlohnte) Mitarbeiter (davon 300.000 in Deutschland) lebten trotz andauerndem Verfall der Marktkapitalisierung (Abb. 1) bis zuletzt in der Illusion der Stabilität eines üppig auswattierten Großkonzerns des niemals endenden fossilen Zeitalters. Das Land Niedersachsen plante mit immer weiter ansteigenden Dividenden (und stützte damit zuletzt entgegen seiner klimapolitischen Versprechungen das extrem CO2-intensive Kreuzfahrtgeschäft der Meyer-Werft). Um den Exportmarkt zu sichern, legte die dt. Außenpolitik gegenüber China immer dickere Samthandschuhe auf.

Im Ergebnis wurde der Konzern von Innen zerfressen. Dies konnte der Vorstand nun nicht mehr leugnen. Pro Mitarbeiter setzt VW 0,5 Mio $ um. Das ist wenig. Toyota erzielt 0,75 Mio $ / MA, Ford und GM schaffen gar 1 bzw. 1,1 Mio $, ebenso wie Mercedes und BMW. Zuletzt hat VW die Dividende auf 9,3 % angehoben. Die operative Marge bewegt sich mit 5 Prozent im Bereich des Lebensmitteleinzelhandels.

Geld verdient der Konzern allenfalls mit fossilen Auslaufmodellen. Für die zukunftsweisende Elektromobilität gibt es auch im Jahr 2024 keine Konzepte. Woher auch, fragt sich Hieronymus. Der Hauptfokus des Führungspersonals liegt schließlich auf dem Management des Fixkostenblocks (Mitarbeiter, Dividenden, Betriebsmittel). Immer noch geht ein Viertel des F+E-Budgets in die Pflege der Motortechnologie. Die Rufe, der Konzern möge sich bitte an seine Wurzeln erinnern, werden zwar lauter. Was aber fängt man mit einer halben Millionen Mitarbeiter an, die benzingetriebene Luxuskarossen herstellen können, aber keine Elektro-Volkswagen? Die logische Antwort: Man baut auf den Populismus und drückt die Fahrzeuge mit Unterstützung der Politik (AFD + CDU + FDP + SPD) niedrigmargig in den Markt. Das funktioniert um so besser, desto alternativloser man sich selbst präsentiert und sein Führungspersonal aus ausgemusterten Staatsbeamten rekrutiert.

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Abbildung 1: Der Niedergang des Aktienkurses der VW-Aktie

Der Aktienkurs von VW ist von 300 € im Jahr 2021 auf jetzt unter 100 € zurückgegangen. Die Dividendenzahlungen pro Aktie haben sich im gleichen Zeitraum nahezu verdoppelt.

Eine zukünftige AFD-CDU-Regierung würde als erste Maßnahme wohl eine Neuauflage der Abwrackprämie beschließen. Vielleicht finden sich ja genügend Spekulanten, die wegen dieser Perspektive aktuell VW-Aktien kaufen mögen. Dass rechtspopulistische Regierungen für Aktionäre interessante Perspektiven bereithalten, zeigt auch ein Blick nach Italien (Das wird ein Thema einer Folgeausgabe dieser Wochenberichte).

Referenz Bayer

Eine AFD-Regierung im Bund ist glücklicherweise eine ferne Zukunftsvision. Wie schwierig es ohne staatliche Subventionen ist, fatale Managementfehler zu korrigieren, zeigt Bayer. Die Übernahme von Monsanto war die größte Zäsur im Unternehmen.
Allerdings ist der Fall nur bedingt vergleichbar. Bayer hatte nur das Problem, für finanzielle Folgeschäden des Geschäftsbetriebes von Monsanto haften zu müssen. Darüberhinaus war und ist die Unternehmensstrategie zielführend. Bei VW ist es umgekehrt. Der Konzern hat den Dieselskandal finanziell gut verkraftet und steht nun ohne eine tragfähige Unternehmensstrategie da.

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Abbildung 2: Preisentwicklung der Bayer-Aktie

Die Bayer-Aktie zeigt, welche Ausdauer bei Turnaround-Spekulationen nötig ist. Der Aktienkurs ist von 140 € im Jahr 2015 auf fast 25 € zurückgekommen und dümpelt nun knapp unterhalb von 30 € pro Aktie herum. Immerhin hat die Entscheidung, die Dividende auszusetzen, den weiteren Preisverfall gestoppt. Das zeigt ein Blick auf die kurzfristige Preisentwicklung. Zuletzt ist die Korrelation mit dem Gesamtmarkt gebrochen. Die Preisentfaltung der Aktie hat sich in den letzten Wochen vom Leitindex abgekoppelt. Es sind nicht mehr die Fluktuationen passiver Anlageinstrumente, die auf den Einzelwert durchschlagen; vielmehr prägt langfristiges (institutionelles?) Kaufinteresse das Geschehen.

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Abbildung 3: Preisentwicklung der Bayer-Aktie in den letzten 9 Monaten und Entwicklung des EuroStoxx-Index als Vergleich(blau)

Turnaroundspekulation

Die Bayer-Aktie ist derzeit eine der interessantesten Papiere am hiesigen Kapitalmarkt. Die Metamorphose des Konzerns scheint abgeschlossen, Monsanto ist in den Konzern integriert. Der Kapitalmarkt hat in den vergangenen Jahren immerfort neue Risiken eingepreist.

Man kann nun mit einem Aktienkauf auf steigende Marktpreise hoffen. Das Chance-Risiko-Profil ist asymmetrisch. Deshalb bietet sich alternativ eine modifizierte Stillhalter-Optionsstrategie an. Dazu schreibt man kontinuierlich Stillhalter-Optionen und erzielt eine Basisrendite von etwa 10 Prozent pro Jahr. Die Einnahmen aus einigen Stillhaltergeschäften investiert man in langlaufende Call-Optionen.

Sollte die Aktie noch eine Weile auf dem aktuellen Niveau stagnieren, behält man die Basisverzinsung. Sollte die Aktie aus einem noch unbekannten Grund plötzlich anspringen, verhalten sich die Call-Optionen wie die Aktie selbst. Schließendlich kann man sich die Aktien zum Ende der Laufzeit (ca. 2028) auch einbuchen lassen. Vorher spiegelt das Chance-Risiko-Profil der Anlagestrategie die Kapitalmarktrealitäten. Zusätzlich glänzt dieser Ansatz durch eine deutlich reduzierte Kapitalbindung.

Moral muss hinten anstehen

Die Perspektiven eines integrierten Agrochemie- und Pharmaunternehmens sind unter aktuellen und vermutlich auch zukünftigen poltischen Rahmenbedingungen ausgezeichnet. Selbst ein grünes Agrarministerium kam 2024 nicht umhin, den Klagen der industriellen Apfellobby nachzugeben. Wegen vermeintlichem Pilzbefall liess man das in der EU verbotene, potenziell karzinogene Fungizid Folplan in Apfelplantagen zu. Die geernteten, makellosen aber giftigen Äpfel können nur in Deutschland verkauft werden, vermutlich auch nur mit einem Preisabschlag.

Die Episode zeigt, wie geschickt Pharmakonzerne Ministerien mit schwacher politischer Leitung für ihre Interessen einspannen.

In den Niederlanden schießt die Landwirtschaftsministerin (Bauernpartei) mühsam erzielte Kompromisse für eine klimaneutrale Landwirtschaft mit Verve in den Papierkorb. Auch dort frohlocken die Agrochemie-Konzerne.

Auch ein Blick nach Japan zeigt Potenziale. Dort hamstern die Massen gerade Reis. Vieles erinnert an die Klopapier-Mania des Jahres 2020 in Deutschland. Weil die Reisernte 2024 um ein Drittel niedriger ausfällt (Stichwort Klimawandel), sind die Reispreise um 60 Prozent gestiegen. Die Regierung hält am Importverbot für Reis fest. Also legen sich die Familien Mehrjahresvorräte des knappen Guts an. Plötzlich sind die Regale in den Geschäften leer; Onlinehändler veranstalten Auktionen und losen Gewinner für die Lieferungen aus.

Der nächste Schritt ist vorhersehbar: Die Auflagen für den Reisanbau werden gelockert, damit die Ernte im kommenden Jahr üppiger ausfällt, inklusive einer Ausweitung der chemischen Keule.

Der Klimawandel spielt der Agrochemie in die Hände. Den Kapitalisten freut es, Biodiversität und eine lebenswerte Umwelt bleiben auf der Strecke; die CO2-Intensität der Landwirtschaft steigt eher noch. Auf der anderen Seite hält sich die Empathie Hieronymus’s in engen Grenzen. Schließlich sind es ja gerade die jüngeren Wählern, die mehrheitlich den Populisten nachlaufen und ihre Augen vor der Realität verschließen.

USA: Vor der Fernsehdebatte

Das Wahlvolk fiebert auf die Fernsehdebatte Harris–Trump am Dienstag auf ABC hin. Frau Harris muss den Wählern zeigen, dass sie sich gegenüber Bad Guy’s wie D. Trump durchsetzen kann. Dahinter steht die Logik, nur wer D. Trump argumentativ in die Ecke zu stellen vermag, kann die Interessen der USA zuhause und in der Welt adäquat vertreten. Das Frau Harris plant, D.Trump offensiv zu konfrontieren, zeigt ihr Versuch, während der gesamten Sendung offene Mikrophone für die Diskutanten durchzusetzen.

In der vergangenen Woche wurden weitere Details über die geplante Wirtschaftspolitik der Demokraten bekannt. Die Unternehmenssteuern sollen auf 28 Prozent steigen. Der Staat schöpft auf diese Weise etwa 5 Prozent der operativen Gewinnmargen ab. Die Marktbewertungen von Aktiengesellschaften müssen angepasst werden. Die aktuellen Preisrückgänge sind ein Hinweis auf einen Adaptionsprozess der Wallstreet an eine mögliche Harris-Präsidentschaft. Im wesentlichen werden aktuell aber Preisübertreibungen bei Unternehmen abgebaut, die in der zurückliegenden Hochzinsphase mit geringen oder gar keinen Fremdkapialeinsatz glänzen konnten. Zinssenkungen spielen höher verschuldeten Unternehmen in die Hände. Größter (numerischer) Verlierer war am Freitag Microsoft, dass überproportional von den Steuerplänen betroffen wäre.

Nachtrag zum letzten Wochenberocht: In der Berichtswoche lies sich auch der Einzelhändler Dollar Tree in die Bücher schauen. Der Aktienkurs brach nach der Veröffentlichung des Zahlenwerks ein. Auf Jahressicht hat sich der Wert von Dollar Tree halbiert.

Die Discounter schreiben ihre Malaise der nachlassenden Kaufkraft ihrer Zielgruppe zu. Die Realität ist höchstwahrscheinlich komplexer. Zur Wahrheit gehört auch die Tatsache, dass es Walmart offenbar gelingt, auch wenig betuchte Käuferschichten anzulocken. Hinzu kommt der Erfolg des Online-Billigheimes Temu, der in den USA sehr stark wächst.

Die Preisabschläge bei Dollar General und Dollar Tree sind weniger Zeichen einer mangelnden Kaufkraft in Teilen der US-Gesellschaft. Das Geschäftsmodell vermag sich schlicht nicht gegen die Online-Konkurrenz zu behaupten. Ganz nebenbei bedienen auch die deutschen Discounterketten in den USA erfolgreich die Käuferschichten von Dollar General und Dollar Tree. In diesem Segment funktioniert der Kapitalismus offenbar einwandfrei.