Die positiven Wahlkampfauftritte der Demokraten vertreiben in den USA viele Zukunftsängste. Pünktlich zum Herbstanfang dreht auch die Stimmung an den Finanzmärkten. Die Angst vor einem US-Isolationismus der 1930er Jahre verfliegt, die Marktvolatilitäten normalisieren sich zunehmend. Unklar ist natürlich, wie lange die Zuversicht die Oberhand behält.
Donald goes fringe
Auch US-Wahlen werden in der Mitte entschieden. Nachdem sich die Republikaner mit Trump und Vance zwei Präsidentschaftskandidaten des äußersten rechten Rands leisten, wäre ein moderater, traditioneller, das Mainstream-Publikum umgarnender Wahlkampf folgerichtig. Die Fernsehdebatte am Dienstag wäre eine perfekte Bühne hierfür gewesen. Aber es kam anders.
Anstatt über Sachthemen zu streiten, begab sich D. Trump auf »fringe« Territorium: In einigen demokratisch regierten US-Staaten entscheiden die Ärzte nach der Geburt, ob ein Kind leben darf und in Springfields, einem aufstrebenden Städtchen im Rustbelt, werden Haustiere von (schwarzen) Migranten aus Haiti gestohlen und anschließend verspeist.
D. Trump ist ein Meister des Framings. Tatsächlich bleiben seine Ausfälle, die längst nicht mehr nur »weird« sind, im Gedächtnis. Ob er sich damit in den Augen der US-Bürger für die Rolle als US-Präsident empfiehlt, wird sich zeigen. Vermutlich wäre die Alternative für Trump aber noch schrecklicher gewesen: Gegenüber der agilen, wachen und bestens vorbereiteten demokratischen Vize-Präsidentin wirkte Trump über weite Strecken als verknöchertes Auslaufmodell einer nun abtretenden Politikergeneration. Um diesen Eindruck abzuwenden, waren alle Mittel recht.
Taylor Swift und Good Vibrations
Im August wollte Taylor Swift drei Mal in Wien auftreten. Die Konzerte wurden wegen eines drohenden Terror-Anschlags abgesagt. Spätesten da wurde klar, dass diese Mega-Events viel mehr sind, als harmlose Teenager-Happenings. Obwohl ihre Texte völlig unpolitisch sind, ist die ehemalige Country-Sängerin aus dem republikanischen Nashville eine politische Person mit Einfluß auf ihre Fanbasis.
Unmittelbar nach der unterirdischen Vorstellung von D. Trump während der Fernsehdebatte outete sie sich via Instagram als Unterstützerin von Kamala Harris. Sie unterzeichnete ihr Statement provokant mit »Childless Catlady«. Ihre Message: Wir lassen uns nicht von düsteren Weltuntergangsszenarien einnehmen. Statt dessen tanzen und feiern wir unbeschwert durchs Leben – und wählen die Partei, die dieser Lebensphilosophie am Nächsten kommt. Das erinnert sehr an die erfolgreichen Wahlkampagnen von Clinton und Obama, auf die für die Kapitalanlage interessante Perioden folgten.
Im Jahr 2024 ruft eine Taylor Swift natürlich nicht plump zur Stimmabgabe für die demokratische Partei auf.
Sie ermuntert ihre Fans, sich eine eigene Meinung zu bilden, nicht alles nachzuäffen,
was irgendjemand prominent veröffentlicht hat.
Volatilitäten normalisieren sich
Der Sommer 2024 war an den Finanzmärkten in einer Hinsicht besonders: Die Marktteilnehmer hatten einen ordentlichen Respekt vor dem Wahlausgang in den USA. Viele versuchten die Preisrisiken abzusichern. Optionen, die mögliche Preiskapriolen im November abfedern, waren signifikant teurer als jene, die vorher verfallen.
Im Ergebnis war die implizite Volatilität bei Indexoptionen mit Fälligkeit im November und Dezember höher als in den anderen Monaten.
Das hat sich nach der Fernsehdebatte am Dienstag normalisiert. Die Finanzmärkte preisen die US-Wahl zunehmend als wenig preisrelevant ein und gehen zur Tagesordnung über.
Zinssenkungen und Metall-Preise
Der Zinsentscheid der EZB am Donnerstag war ein Non-Event. Gleiches gilt für die FED in der kommenden Woche. Nachdem die EZB bereits ein zweites Mal die Leitzinsen um 0.25 % gesenkt hat, spekuliert der Markt zunehmend auf einen großen Zinsschritt der FED. Gemäß der Wochenendausgabe der FT preisen die Futures-Märkte eine Wahrscheinlichkeit von 49 Prozent für eine Zinssenkung um 0,5 Prozent ein. Je näher der FED-Zinsentscheid rückt, desto enthusiastischer wetten die Marktteilnehmer hierauf.
Schreitet die FED beherzt zur Tat, argumentieren Spekulanten, sinkt die Wahrscheinlichkeit für eine Rezession. Das ist gut für Rohstoffe und zyklische Aktien. Insbesondere wenn die Zinssenkungen »Mid-Cycle-Events« sind. Normalerweise reagieren Notenbanken mit Zinssenkungen auf Rezessionsfrühindikatoren. Dann ist es allerdings zu spät: Im Jahr 2000 senkte die FED die Leitzinsen, 2001 platzte die Dot.Com-Blase. 2007 war die Arbeitslosigkeit in den USA ebenfalls niedrig, die FED senkte trotzdem die Zinsen: 2008 implodierte Lehman. Aktuell – so die Hoffnung vieler Marktteilnehmer – gleichen die Rahmenbedingungen denen im Jahr 1995. Auch damals senkte die FED die Leitzinsen – und zündete die Aktien- und Rohstoffhausse bis zur Jahrtausendwende.
Trotz der Unwägbarkeiten im Zuge der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in den USA verstärkt sich aktuell gemäß einer repäsentativen Umfrage der FT in den USA die Zuversicht, dass das Land ökonomisch auf dem richtigen Weg ist. Das könnte ein Hinweis sein, dass die isolationistische Propaganda der Republikaner nicht verfängt.
Diese Entwicklung sollte positiv sein für Rohstoffmärkte. Tatsächlich hat der australische ASX über die Sommermonate europäische Aktien und auch US-Midcaps deutlich outperformt.
In Australien ziehen Finanztitel den Index in luftige Höhen. Die Marktpreise für Minenaktien (Rio, BHP oder Fortescue) sind weiterhin auf Jahres- oder sogar Mehrjahrestiefständen. Fortescue und BHP haben allerdings in der Berichtswoche maßgeblich zur Performance des ASX beigetragen. Im Zuge einer »Mid-Cycle-Zinssenkungsphase« dürften die Marktpreise für Metalle (insbesondere Kupfer) deutlich anziehen; Aktienmarktnotierungen der Minenwerte nehmen dies meist vorweg.
Die robuste Performance des ASX macht könnte eine Anpassung der Handelsstrategie auf den ASX erforderlich machen. Sollte der Index ein charttechnisches Kaufsignal generieren, wird die Strategie offensiver ausgerichtet.
Trendfolgende Kaufsignale
GE Vernova, der vielfach belächelte Spinoff der Windkraftsparte von GE im Frühjahr, ist bislang eine Erfolgsstory. Der Aktienkurs ist seitdem um 100 Dollar oder 75 Prozent gestiegen. Allein in der Berichtswoche ist die Aktien um mehr als 20 $ teurer geworden.
Legt man die Preisentwicklung von Siemens Energy über dem Chart der GE Vernova, fällt die starke Korrelation ins Auge. Siemens Energy hat in der Berichtswoche ein beeindruckendes charttechnisches Kaufsignal generiert. Der Ausbruch zur Oberseite erfolgte – anders als bei GE Vernova – unter hohem Volumen. Das ist interessant, weil Mario Draghi in seiner Bestandsaufnahme der ökonomischen Potenziale der Eurozone die Einseitigkeit der anwendungsorientierten Forschungslandschaft bemängelt.
Danach war Siemens zur Jahrtausendwende eine tragende Instanz für den technologischen Fortschritt. Danach fokussierten sich Investitionen in Europa auf die Automobilindustrie.
Sowohl Siemens als auch GE galten lange als träge Finanzinstitute mit angeschlossenen Gemischtwarenläden. Beide Unternehmen entließen die Windkraft-Sparten in die Unabhängigkeit. Im Gegensatz zu großen Teilen der europäischen Industrien, sieht der Kapitalmarkt Siemens Energy gleichauf mit der US-Konkurrenz.
Die starke Performance der GE Vernova ist natürlich auch ein starkes Bekenntnis des Kapitalmarkts zur Fortsetzung der Energiepolitik der Biden-Administration unter einer Harris-Präsidentschaft.
Konsequenzen des Isolationismus
D. Trump verspricht der Welt eine Rückkehr des Isolationismus der USA. Länder, die offen eine andere Währung für ihren Außenhandel nutzen, als den US-Dollar, droht ein Importzoll von 100 Prozent. Chinesische Importe werden unabhängig hiervon pauschal 60 % mit belastet. Auf alle übrigen Importe in die USA wird ein Zoll von 10 Prozent erhoben.
Die folgende Graphik ist einem Report von Barclays entnommen. Sie zeigt, dass die Strafzölle der ersten Trump-Präsidentschaft und die hinzugekommenen Maßnahmen der Biden-Administration protektionistisch aber nicht isolationistisch sind.
Die Trump-Zölle würden die USA in die Vor-GATT-Zeit zurück katapultieren, streng genommen sogar noch weiter, in die Zeit der Großen Depression. Wie damals verlieren laut Barclays alle: Die USA 1,4 % des GDP, China 2 % und die Eurozone 0,7 %.
Trump sieht das bekanntlich anders. In seiner Welt senken die Exporteure die Preise um die erhobenen Zoll-Sätze. Sie verzichten für den exklusiven US-Marktzugang auf ihre Gewinnmargen und mehr. Gemäß dem MAGA-Drehbuch verarmen die Industrienationen außerhalb der USA. Gleichzeitig haben die Konsumenten in den USA die freie Auswahl zwischen hochwertigen US-Produkten und preisgleichen Importen.
Die Ankündigung hoher Einfuhrzölle dient Trump primär zur Machtentfaltung. Regierungen, die sich seinen Vorstellungen beugen, werden mit vorübergehenden Handelserleichterungen belohnt. Hiervor haben nicht nur die Regierungen der bisherigen Handelspartner der USA Angst. Es ist auch für den Kapitalmarkt fast unmöglich, die Auswirkungen der Trump’schen Zollpolitik zu bewerten. Das bedeutet letztlich: Volatilität.
Die Eurozone kann mit einem handelsbedingten Rückgang des GDP um 0,7% umgehen. Wenn aber mit Ungarn spezielle Umgehungsvereinbarungen geschlossen werden, die einzig das Ziel haben, freundliche Regierungen in Berlin und Paris zu installieren, sind sämtliche Szenarienrechner überfordert.