Mantrenhaft fordern konservative Wirtschaftsexperten eine Wiederbelebung
der heimischen Exportkultur. Die Finanzmärkte sind einen Schritt weiter.
Der DAX funktioniert auch ohne die Flagschiffe der deutschen Nachkriegsindustrie.
Auch das ist Transformation – völlig anders als es sich Industriepolitiker
jeder Coleur vorstellen. Ergebnis: Der hiesige Kapitalmarkt ist wenig abhängig
von der Handelspolitik einer zukünftigen US-Administration.
Der politische FED-Zinsentscheid
Die FED hat entschieden: Der Leitzins wird um 0,5 Prozent gesenkt.
Die FED hat gesprochen: Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, damit der Arbeitsmarkt robust bleibt.
Die große Leitzinssenkung durch die FED ist definitiv ein politisches Statement, ein letztes Geschenk an die Biden-Administration und deren Handling der Post-Corona-Zeit, die auf den letzten Metern vor dem Ziel einen Sieg über die Inflation in den USA verbuchen kann.
Die erste Reaktion der Finanzmärkte: Powell schlüpft in die Fußstapfen von Alan Greenspan, der 1995 mit einem ähnlichen Manöver eine Phase der Prosperität in den USA einleitete. Angesichts dieser vorherrschenden Interpretation hat die republikanische Wahlkampfkamagne ein Problem, den US-Wählern zu erklären, warum das Land derzeit so schlecht dasteht, dass es unbedingt von Selfmade-Milliardären angeführt werden muss.
Trump & Friends
Das Trump-Lager spielt die Trumpfkarte Elon Musk immer offensiver. Er wird als »Special Advisor« geführt. Nach einem Wahlsieg von Trump würden die Geschicke des Landes im Grunde von Peter Thiel und Elon Musk bestimmt. Thiel installierte mit JD Vance geschickt seinen Vasallen als Vice-President, Musk profiliert sich mit guten Verbindungen zu Javier Milei(Argentinien) und Giorgia Meloni(Italien).
Wahrscheinliche Akzentverschiebungen einer Präsidentschaft Trump 2 kristallisieren sich immer mehr heraus. Die Welt wird wieder in Gewinner und Verlierer eingeteilt. Ungarn, ggf. Holland, Argentinien, Italien, Israel und Russland gehören zu den Gewinnern. Die übrigen EU-Staaten, Brasilien und China werden ausgegrenzt und gegeneinander ausgespielt. Libertarismus ersetzt den Spätkapitalismus.
Exkurs: Mecklenburg County
Die Trump Kampagne hat derweil alle Mühe, immer wieder plötzlich aufflammende Skandal-Meldungen herunter zu spielen. Jetzt hat es ausgerechnet den wichtigen Swing-State North-Carolina getroffen. Dort tritt mit Mark Robinson ein schwarzer Trump-Unterstützer der ersten Stunde für das Repäsentantenhaus an. CNN deckte auf, dass er zwischen 2008 und 2012 auf Nude-Afrika (ein Porno-Forum) aktiv war, sich dort einen Namen als »Black NAZI« gemacht hat und offen für die Wiedereinführung der Sklaverei eintrat.
CNN zitierte Robinson: slavery is not bad. Some people need to be slaves. I wish they would bring it (slavery) back. I would certainly buy a few.
Das mag in einem Porno-Forum den
gewünschten Erfolg haben, ist im aktuellen Wahlkampf insbesondere vor dem Hintergrund des
Sex-Skandals um den Medien-Mogul Sean Diddy Combs toxisch.
Sein Vorgehen im Porno-Forum steht in einem krassen Widerspruch zum öffentlichem Profil. Auf einer gemeinsamen Wahlkampfveranstaltung bezeichnete Trump ihn als »Martin Luther King on steroids«, also jemand der sich beispielhaft für die Rechte Schwarzer einsetzt.
North-Carolina ist ein kritischer Swing-State, der als essentiell für den Einzug ins weiße Haus gilt. Traditionell wählt der Staat republikanisch; ein Kippen des Bundesstaates könnte Frau Harris den Wahlsieg sichern. Kleine Anekdote am Rande: Ausgerechnet Mecklenburg County (Bezirkshauptstadt Charlotte) könnte letztendlich wahlentscheidend sein.
DAX
In der vergangenen Woche wurde der IFO-Geschäftsklima-Index für August veröffentlicht. Sowohl die Lage-Komponente als auch die Gechäftserwartung gingen zurück. Brisant: Die Beurteilung der Geschäftslage geht stetig zurück. Im Frühsommer schien es, als ob sich die Erwartungskomponente aufhellen würde. Das war nur eine Eintagsfliege.
Der Draghi-Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas benennt prominent im Kapitel 2 den zunehmenden Abstand der Effizienz in US-Unternehmen und deren europäischen Konkurrenten. Das erklärt die latente Unzufriedenheit der Führungsetagen. Jeder spürt, wie die US-Konkurrenz auf der Überholspur unterwegs ist, niemand hat einen Motor, mit dem man gleichziehen könnte.
Obwohl die Unternehmen quasi permanent ein düsteres Zukunftsbild zeichneten und die Lage bis auf eine kurze Periode nach der Pandemie niemals rosig war, konnte sich der DAX in den letzten 10 Jahren beinah verdoppeln. (Indexstand 2015: 10.800, aktuell: 19.100)
Seit dem Frühjahr – damals signalisierten die Ifo Geschäftserwartungen eine Verbesserung – pendelt der deutsche Leitindex zwischen 18.300 und 19.500, mit einem Ausreißer bis 17.500.
Die Finanzmärkte ignorieren rezessive Daten. Positive Entwicklungen, mögen sie auch zaghaft sein, werden mit Preisaufschlägen honoriert.
Der deutsche Aktienmarkt reflektiert ganz grob die wirtschaftliche Stagnation in Deutschland. Schlechte Konjunkturdaten bedeuten aber keinesfalls sinkende Aktienmarktnotierungen. Nur stark sinkende IFO-Geschäftserwartungen, wie zuletzt 2022, triggern Preisrückgänge am Aktienmarkt. 2022 gingen die Notierungen in der Spitze um 3.500 Punkt zurück.
Nachdem EZB und FED die Leitzinsen gesenkt haben, testet der DAX die obere Begrenzung der Tradingrange seit dem Frühjahr aus. Angesichts der Unsicherheiten bezüglich des Wahlausgangs in den USA und wieder rückläufigen IFO-Geschäftserwartungen ist es unwahrscheinlich, dass sich die jüngste Rallye fortsetzt.
Das liegt auch an großen Arbeitgebern im Land, die vielfach SOS-Signale senden.
- Alle Automobilhersteller (Mercedes, BMW, VW, Porsche) notieren in intakten Abwärtstrends, teilweise auf Mehrjahrestiefständen. Die Absatzzahlen sind rückläufig, die Konkurrenz aus den USA, Japan, Korea und China übermächtig.
- Automobilzulieferer sind hiervon direkt betroffen.
- BasisIndustrien (BASF, ThyssenKrupp, Salzgitter, Covestro) haben entweder toxische Abhängigkeiten zu China aufgebaut oder sind gerade inmitten einer Transformation mit ungewissem Ausgang.
- Die Finanzmärkte zeigen der deutschen Industriepolitik eine rotgelbe Karte. Infineon, RWE und ThyssenKrupp werden abgestraft.
Der deutsche Aktienmarkt »lebt» derzeit von MTU, Siemens-Energy, den Versicherungen und SAP. Positiv ist, dass diese Unternehmen wenige geopolitische Risiken aufweisen. Ob das den Gesamtmarkt angesichts steigender geopolitischer Risiken stützt, ist zweifelhaft. Der bisherige starke Preisverfall der traditionellen deutschen Industrieunternehmen hat deren Gewicht im DAX deutlich reduziert. Dafür ist der Leitindex nun anfällig für eine weitere Erosion der Binnenkonjunktur.
Zukünftig erwartet
Kapitalerhöhung bei Boeing
Die aktuelle Marktkapitalisierung von Boeing ist zuletzt unter 100 Mrd. $ gesunken. Die Aktie hat YTD fast ein Viertel des Marktwerts verloren. Vor der Corona-Epidemie notierte die Aktie bei 400 $, aktuell wird sie mit 153 $ gehandelt. Airbus-Aktien kosten aktuell 130 €, genausoviel, wie 2020.
Boeing sitzt auf einem »Schatz« eines übervollen Orderbuchs: Darin stehen 5.400 Bestellungen im Gesamtwert von 437 Milliarden Dollar. Wegen Qualitätsmängel im Fertigungsprozess ist das Unternehmen derzeit nicht fähig, die Bestellungen planmäßig abzuarbeiten.
Die niedrige Marktkapitalisierung in Kombination mit der verzögerten Auslieferung und steigenden Fixkosten sind Grund genug, das Kreditrating des Unternehmens auf Yunk zu senken. Aktuell sind Anleihen gerade noch Investment-Grade.
Sollte eine Rating-Agentur den Daumen senken, greifen bei diversen Anleihen Zinsklauseln. Das Unternehmen müsste 400 Mio. $ mehr für die Tilgung aufwenden. Ferner wären Institutionelle Anleger gezwungen, die risikoreichen Anleihen am Sekundärmarkt anzubieten. Stark anziehende Renditen am Anleihemarkt sind Gift die Bewertung des Unternehmens; das Management ist gut beraten, dies mit allen Mitteln zu verhindern.
Bisher preist der Anleihemarkt keine Herabstufung des Ratings ein. Ein Boeing-Gläubiger wird mit einer Rendite von 5,5 % (in USD) entlohnt. Das ist wenig interessant.
Eine Möglichkeit, die Rating-Agenturen von einer Herabstufung abzuhalten, ist die Aufstockung des Eigenkapitals. Seit die Marktkapitalisierung unter 100 Mrd. $ gesunken ist, bereitet das Boeing-Management den Kapitalmarkt vorsichtig auf genau diese Option vor.
Aktuell »verbrennt« das Unternehmen pro Jahr 10 Mrd.$. Falls die Maßnahmen zum Qualitätsmanagement greifen, wäre eine Kapitalerhöhung um diesen Betrag geeignet, die Rating-Agenturen zu beruhigen. Boeing hat zwar einen too big to fail-Bonus. Seit der Staatsrettung von General Motors, die sowohl Gläubiger als auch Aktionäre im Regen stehen ließ, ist trotziges Festhalten an Investments keine Option mehr. Das Boeing-Management muss folglich aktiv die Kapitalseite adressieren.
Die Kapitalmaßnahme kann unmöglich vor den US-Wahlen erfolgen. Das Unternehmen stände unmittelbar im Kreuzfeuer der Opponenten. Anderseits bietet die Kapitalmaßnahme eine Gelegenheit, der Kapitalseite zu signalisieren, das Boeing seine Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen hat und sich nun zu neuen Ufern aufmacht. Gleichzeitig zerreisst der aktuelle Arbeitskampf der erstarkten Gewerkschaften das Unternehmen. Mit welcher Strategie das Boeing-Management diese Krise angeht, ist bereits jetzt ein Thema für MBA-Studiengänge.
Bei Boeing öffnet sich ein Opportunitätsfenster. Die Aktie hat seit Jahresbeginn etwa
ein Viertel seines Marktwerts eingebüßt.