Die Börsenwoche

Boeing steht das Wasser bis zum Hals. Trotzdem stagniert der Aktienkurs. Too big to fail?, Vorschußlorbeeren? Chancen für Stillhalter?
Bayer wird erneut von Monsanto-Schatten heimgesucht und Tesla blamiert sich mit einer libertären Version eines Robotaxis. Schließlich macht China vor, wie man beherzt mittels Fiskalpolitik die Binnenkonjunktur auf Zielkurs bringt.

Wochenbericht 40/24 Stuttgart, 12. Oct. 2024

Friedrich Merz imitierte in Augsburg D. Trump. Der DAX notiert am Allzeithoch und der Oppositionsführer analysiert messerscharf: Herr Habeck hat das Land an den Rand des wirtschaftlichen Ruins regiert. Fast Zeitgleich prophezeite sein Vorbild in Detroit, dass im Falle eines Wahlsiegs von Frau Harris die gesamte USA aussehen würden, wie Detroit heute. Da würden sich viele Gemeinden wohl sehr freuen. Schließlich ist Detroit Musterbeispiel einer gelungenen Transformation eines Industriestandorts.

Die Negativrhetorik von Trump verfängt immer weniger. Ob Israel deshalb gerade jetzt den Libanon in Schutt und Asche bombt? Nichts demonstriert die Machtlosigkeit und Erschöpftheit der Biden-Administration mehr und schreit geradezu einen Wahlsieg von D.Trump herbei. Glücklicherweise werden US-Wahlen stets innenpolitisch entschieden…

Die US-Börsen sind wieder auf Rekordkurs. Die Berichtssaison hat begonnen. Unternehmen und Marktbeobachter sind positiv gestimmt, die Inflation geht in Europa und den USA zurück. Dies interpretiert der Markt (noch) positiv.

Boeing

Es ist die Schlagzeile des Wochenendes: Boeing entlässt 17.000 Arbeiter, sieben Prozent der Kernbelegschaft. Wegen des aktuellen Arbeitskampfes (33.000 Mitarbeiter streiken für höhere Löhne) werden zudem vertraglich zugesicherte Auslieferungen ausgesetzt, die Produktion des Dreamliners 777X verzögert sich nochmals.
Die Ratingagentur S&P bereitete institutionelle Gläubiger in dieser Woche nochmals auf ein Downgrade vor. Boeing-Anleihen wären dann Junk. Viele Gläubiger müssten ihre Bestände am Zweitmarkt veräußern. Der Druck auf das Management, eine Kapitalerhöhung vorzunehmen, wächst stetig. Um das Maß voll zu machen, veröffentlichte das Unternehmen am Freitag eine Gewinn­warnung.

Boeing »verbrennt« pro Quartal 1,3 Mrd. $. Für das dritte Quartal steht Verlust von 10 $ pro Aktie im Raum.

Was machen die Akteure am Aktienmarkt aus dieser Gemengelage? Am Freitag stieg die Aktie um zwei Prozent. Sie notiert knapp unterhalb von 150 $, deutlich oberhalb der Tiefstände der Jahre 2023 und 2020. Die Situation ist gut mit der bei Volkswagen vergleichbar. Die Unternehmen sind »too big to fail« und werden absehbar von staatlichen Akteuren »gerettet«. In Europa werden hierfür Emissionsziele aufgeweicht; in den USA Handelsbarrieren errichtet.

Für eine Stillhalter-Option (Laufzeit 1 Monat, 80%ige Wahrscheinlichkeit einer wertlosen Aus­buchung) erhält man aktuell 2,6 $. Würde die Option ausgeübt, bekäme man die Aktie mit einem Discount von fast 13 Prozent zu 132,40 $ eingebucht.

Es ist wahrscheinlich, dass das Management eine Kapitalerhöhung durchführt, die den Börsenkurs nach unten zieht. Hiervor sind Stillhalter in gewissem Maße geschützt. Zeitgleich mit der Kapitalerhöhung reduziert sich der Strike aller offenen Optionen. Stillhalter behalten die bereits eingenommenen Prämien. Falls die Kapitalerhöhung neutral aufgenommen wird, ändert sich für den Stillhalter nichts.

Angesichts der (positiven bzw. nicht vorhandenen) Marktreaktion auf die jüngsten negativen Unternehmensmeldungen ist das Chance/Risikoprofil für eine Stillhalterposition akzeptabel.

Bayer

Die Schatten der Vergangenheit sind auferstanden. Zuerst berichtete das Wallstreet Journal (10. Oktober), dass ein Verfahren gegen Monsanto wieder aufgenommen wird. Im Mai diesen Jahres hatte ein Gericht entschieden, dass Monsanto nicht für eine PCB-Verseuchung einer Schule haftbar ist. Bayer/Monsanto waren von einer Vorinstanz zur Zahlung von 185 Mio $ verurteilt worden. Die Revision war erfolgreich, das Verfahren wird fortgesetzt. Monsanto hatte die Produktion des fraglichen Pestizids bereits 1977 eingestellt. Angesichts der sehr langfristigen Wirkungen von PCB’s auf den menschlichen Organismus drohen im Falle einer Verurteilung Bayers in diesem Prozess weitere langwierige Prozesse mit ungewissem Ausgang.

Zeitgleich urteilte ein Gericht in Pennsylvania in einem RoundUp-Prozess zugunsten des Klägers. Bayer muss 78 Mio. $ zahlen.

Diese Meldungen zogen die Bayer-Aktie im Wochenverlauf um 4 Euro in den Keller. Zum Wochenbeginn handelten die Papiere bei 30 €, der Wochenschlußkurs betrug 26,20 €. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Turnaround-Strategie

Abbildung 1: Wertentwicklung bisheriger und offenen Bayer-Stillhalter-Trades (Bezug; 5 Optionskontrakte). Eröffnungs-Trades: 13.03, 22.05, 07.08, 12.11, 15.01, 30.01, 06.03 (2024).
Abbildung 2: Preisentwicklung der Bayer-Aktie

Für Turnaroundspekulationen braucht es neben Fortune viel Geduld und gute Nerven.

Tesla

Bereits am 24. Juli titelte die FT:
Tesla shares tumble as profits slump and Elon Musk delays ‘robotaxi’ launch.
Am 11. Oktober lauteten die Schlagzeilen:
Tesla shares fall after Elon Musk’s glitzy ‘Cybercab’ event disappoints – und – Man shows car; shares fall.

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Abbildung 3: Die libertäre Vision eines Robo-Taxis made by Tesla

Am Freitag fiel der Börsenwert der Tesla-Aktie um 9 Prozent. Zeitgleich stieg der Wert der Uber-Aktie um 8 Prozent. Drastischer können die Finanzmarktakteure ihr Mißtrauen gegenüber Elon Musk kaum ausdrücken. Die Welt benötigt keine hocheleganten Zweisitzer ohne Lenkrad und Gaspedal, auch keine Kleinbusse, die geschoßgleich autonom auch über die Schlachtfelder der Zukunft rauschen können. Das wäre im Falle eines Wahlsiegs von Trump allerdings bedeutungslos. Als »Special Advisor« wird Musk seine Robotaxis gnadenlos in den Markt drücken.

China

Die bedeutendste Meldung wurde erst nach Börsenschluß am Freitag veröffentlicht: China wird sich über 300 Mrd. $ verschulden und damit Fiskalpolitik betreiben. Banken können die Staatsanleihen ohne Sicherheiten erwerben und so ihre Bilanzen aufhübschen. Damit werden Kredite preiswerter und so der Immobilienmarkt gestützt. Regionalverwaltungen können die Staatsanleihen ebenfalls ohne Sicherheiten erwerben. Die Regierung hofft, dass die Liquidität für Rückkäufe und anschließendem Abriss derzeit unverkäuflicher Leerstände verwendet wird. Es handelt sich um die chinesische Version einer Abwarckprämie für Immobilien. Ferner: Die Regierung hat eine Kriegskasse über 300 Mrd. $, mit der punktuell und situativ die Ökonomie gestützt werden kann.

Am Samstag trat der chinesische Finanzminister vor die Weltpresse, um die Maßnahmen zu verkünden. Im Wochenverlauf hatten die chinesischen Aktienmärkte korrigiert. Die Märkte spekulieren, dass das Politbüro die Erholung der Finanzmärkte orchestrieren werden. Zu große Preisschwankungen sind nicht im Interesse der chinesischen Regierung. Die Intervention dient dem Zweck, die Finanzmärkte nach japanischem Vorbild zu managen.

Europa

Vor fast genau einem Jahr beendete der europäische Aktienmarkt die Herbst-Marktkorrektur. Danach kletterten die Marktpreise um 1.000 Punkte bis 5.000.

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Abbildung 4: Preisentwicklung des europäischen Aktienmarkts

Aktuell «kratzen« die Marktpreise an der oberen Begrenzung des aktuellen Trendkanals.

Nun beginnt statistisch die positive Marktphase vor (fast) jeder US-Präsidentschaftswahl. Die Marktteilnehmer haben sich gegen absehbare Preisrisiken abgesichert. Jetzt heißt es. Glaskugel auspacken und ins Jahr 2025 blicken. Wer profitiert ( Boeing? ) und wer sieht sich Gegenwind ausgesetzt ( Microsoft, Google? ). Europa profitiert indirekt über den Bewertungsabschlag. Europäische Titel sind preiswerter, als ihre us-amerikanischen Pendants. Klammert man das isolationistische Risiko aus, sollten positive US-Märkte auf europäische Aktien abfärben.

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Abbildung 5: Preisentwicklung des EuroStoxx (6 Monate)

Der Chart in Abb. 5 zeigt am aktuellen Rand einen konstruktiven Verlauf. Die obere Begrenzung des Trends ist nun eine charttechnische Unterstützung.

Handelsstrategie

Im EuroStoxx-Handelssystem wurde das Preistop zum Monatswechsel für eine Gewinnmitnahme genutzt. Auch danach war das Handelssystem moderat bullisch positioniert. Deshalb sind die offenen Put-Optionen »unter Wasser«. Eine kurzlaufende Call-Option profitierte vom jüngsten Preisrückgang. Diese Option hat 80% ihres Werts abgegeben und steht unmittelbar vor der Schließung.

Sie hat ihren Zeitwert überplanmäßig abgebaut (Theta-Verfallskurve: orange). Ab jetzt dreht das Chance-Risikoprofil.

Abbildung 6: Wertentwicklung der kurzlaufenden Call-Option (4 Kontrakte, Strike: 5300, Fälligkeit: Nov.) im Zuge des (moderaten) Preisrückgangs der vergangenen zwei Wochen. Details im Schaufenster.

Der Call wird durch eine Option mit längerer Laufzeit ersetzt. So bleibt das Handelssystem insgesamt Marktneutral, profitiert dennoch kurzfristig von einem möglichen saisonalen Vorwahleffekt.