Nicolausrallye

Für viele Menschen aus Syrien wird ein Traum wahr: Frieden in der Heimat. Spekulanten feiern zum zweiten Advent runde Preismarken: 20.000 beim DAX und 100.000 beim Bitcoin. Partystimmung auch im »Wilden Westen« des 21. Jahrhunders: Im Defi-Space. Die Geschäftsmodelle könnten sich mit Unterstützung der SEC unter neuer Leitung im traditionellen Finanzsystem breit machen. Bereits heute bieten Krypto-ETF’s im Optionshandel attraktive Renditequellen.

Wochenbericht 48/24 Stuttgart, 07. Dec. 2024

Das ging nun ganz schnell. Auch Hieronymus rieb sich verwundert die Augen, dass die syrische Armee vor etwa einer Woche kampflos Aleppo (im Titelbild ist die 2015 zerstörte Altstadt gut zu erkennen) räumte. Danach marschierten die Rebellen ungehindert auf Damaskus zu und zum zweiten Advent ist das Assat-Regime in Syrien Geschichte.
Der Nahe Osten steuert auf einen neuen metastabilen Zustand zu.
Zeit für die Welt, Lehren aus dem 13 jährigen Krieg in Syrien zu ziehen.

Die Entwicklung ist ein Sieg für die Türkei, die alles daran setzt, mehrere Millionen syrische Flüchtlinge zurück zu führen. Die Kurden stehen einmal mehr vor einem Scherbenhaufen. Größter Verlierer ist aber Zar Putin höchstpersönlich. Die Schwächung der russischen Armee durch den Krieg in der Ukraine ist offensichtlich. Der Einsatz nordkoreanischer Söldner in den Schlachtfeldern der Ost-Ukraine erscheint in einem neuen Licht. Fällt nun auch das Marionetten-Regime in Georgien, kann Putin einpacken und alle könnten in den kommenden Jahren die gigantische Friedensdividende für einen globalen Kraftakt zum Schutz des Klimas nutzen. Aber das bleibt wohl ein Weihnachtsmärchen.

Radreisen nach Damaskus, der ehemaligen Perle des Orients, werden 2025 aber wieder möglich! Bis Aleppo wieder im alten Glanz erstrahlt, braucht es leider einige Jahre.

Shortsqueeze in Europa

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Abbildung 1: Preisentwicklung des heimischen DAX

Was haben die Spekulanten nur geraucht, fragt sich der geneigte Beobachter. Dem Exportmarktführer brechen die Hauptabsatzmärkte – China und die USA – weg, die Binnenwirtschaft stagniert, das politische System ist paralysiert, das Land ist überaltert, zunehmend xenophop, chronisch unterfinanziert und technologisch maximal zweitklassig.

In der Berichtswoche schaffte es der DAX sogar in die Hauptnachrichten. Je nach Sender wurde zuerst über die Streiks bei VW und dann über den boomenden Aktienmarkt oder andersherum berichtet. Aufhänger war das Überwinden der Marke von 20.000.

Im Dreimonatschart (Abb. 1) zeigt sich das Besondere an dieser »Nikolaus Rallye«: Nach der Überwindung der oberen Begrenzung der bisherigen Tradingrange gibt es scheinbar kein Halten: Sieben grüne Tageskerzen in Folge.

Hat sich fundamental etwas grundlegend verändert, dass diese Neubewertung rechtfertigt?

Wenn die Antwort »nein« ist, ist die Rallye spekulationsgetriggert – und wohl wenig nachhaltig.

Die Spekulanten haben die Saisonalität auf ihrer Seite. Im Dezember ziehen die Notierungen üblicherweise an. Die klassische »Santa Claus Rallye« läuft jedoch über die handelsschwachen Festtage. Um den Nikolaustag herum korrigieren die Märkte dagegen meist. Dies mag aktuell ein Trendverstärker sein. Einige wurden wegen dieser ansonst starken Dezember-Anomalie wohl auf dem falschen Fuß erwischt. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich viele wegen der kaum absehbaren Trends nach der Staffelübergabe an D.Trump vermutlich defensiv aufgestellt haben. Einige haben sich sicherlich von den hohen Marktpreisen zu neuen Engagement überzeugen lassen.

Die Kursentwicklung beim DAX im Speziellen und in Europa im Allgemeinen zeigt alle Anzeichen einer spekulativ getriggerten Shortsqueeze. Im Vorfeld wurden in einer längeren Seitwärtsphase viele Risiken eingepreist. Wer verkaufen wollte, fand fundamental und charttechnisch viele Gründe.
Danach genügte ein starkes charttechnisches Kaufsignal, um eine Rallye zu zünden.

In den letzten Handelstagen des Jahres bestimmen technische Faktoren die Preisentwicklung. Nächste Woche tagt die EZB letztmalig. Es wird fleißig spekuliert, ob ein großer Zinsschritt (0,5%) ein Krisensignal wäre oder ein Commitment der EZB für hohe Marktpreise. Eine Zinssenkung von 0,25% ist trotz leicht steigender Inflationsdaten gesetzt. Es würde Hieronymus überraschen, wenn die EZB mit einem großen Zinsschritt eine weitere Abwertung des Euro einleitete. Vermutlich wird sie aber in ihrem Statement ein entsprechendes Signal in Richtung USA senden, getreu dem Motto: Wenn ihr Handelsbarrieren hochzieht, verteidigen wir unsere Wettbewerbsfähigkeit auch über den Währungsmarkt.

Eine Woche später werden letztmalig Optionen und Futures abgerechnet.
Hier lohnt sich ein Blick auf den Jahreschart.

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Abbildung 2: Preisentwicklung des EuroStoxx 50

Die jüngste Rallye hat die Marktpreise beim Eurostoxx wieder in die Tradingrange seit April zurück geführt. Auf dem aktuellen Preisniveau dürften bei längerfristigen Derivaten kaum Schieflagen vorhanden sein.
Bis zum Hexensabbat am 20. Dezember könnte deshalb an der Preisfront vorweihnachtliche Ruhe einkehren.

Handelssysteme

Die Stillhalterhandelssysteme reagieren empfindlich auf dynamische Marktphasen. Vorhandene Call-Position liefen ins Risiko und wurden zeitnah geschlossen. Auf dem aktuellen Preisniveau sind die Preisrisiken an der Oberseite wieder überschaubar. Am Freitag wurde das Estx-Handelssystem mit dem Wiederaufbau einer Call-Position (Februar-Fälligkeit) wieder in den Normalmodus überführt.

Wegen des aktuell ungünstigen Chance-Risikoverhältnisses wird die Positionsgröße dieses Systems 2025 reduziert. Die Volatilität ist weiterhin sehr niedrig. Ab Februar ist mit größeren Bewegungen zu rechnen. Dafür werden Stillhalter aktuell unzureichend entlohnt.

Das gilt auch für das ASX-Handelssystem. Hier sind die Preisrisiken für 2025 zwar geringer. Die Volatilität dort ist zuletzt unter 10 Prozent gesunken. Das allein verschiebt das Chance-Risikoprofil auf die Risikoseite.

Das Kapital ist in anderen Märkten besser allokiert. Zwei Märkte stechen heraus: Japan und Bitcoin. Japan bietet bei ähnlichen Preisamplituden doppelt so hohe Volatilitäten. Beim Bitcoin ist das Sentiment dermaßen Bullisch, dass sich defensive Stillhalter förmlich aufdrängen (siehe Wochenbericht 47 und das letzte Kapitel heute).

Decentralized Finance

Der globale Finanzmarkt ist fest in den Händen der USA. US-Aktien- und -Anleihemärkte binden 75 Prozent des global investierten Kapitals. Wenn die Trump-Administration ankündigt, die Regeln zu verändern, betrifft das die ganze Welt. Mit der Amtsübernahme bekommt die US-Finanzmarktaufsicht SEC einen neuen Vorsitzenden. Dann übernimmt Paul Atkins den Stab. Atkins ist einer der wenigen fachlich vertretbaren Berufungen, er war von 2002 bis 2008 bei der SEC beschäftigt und war danach als Risk-Management-Consultant tätig.

Er gilt als aufgeschlossen für neue Geschäftsmodelle insbesondere für Decentralized Finance.

Decentralized finance (DeFi) is a new and innovative way to handle money online without the need for traditional financial institutions like banks.  It utilizes blockchain technology to enable direct peer-to-peer transactions, cutting out intermediaries and making financial services more accessible, efficient, and transparent.(Gemini)

DeFi bietet beispielsweise die Chance, eine eigene Wechselstube zu betreiben oder als Partner irgendwo einzusteigen, Privatkredite zu vergeben oder mit einer verzinsten Einlage den sicheren Betrieb einer Blockchain zu gewährleisten. Seit der Nominierung von Atkins explodieren die Marktpreise für DeFi-Blockchains.

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Abbildung 3: Preisentwicklung (in USD) der DeFi-Blockchains Algorand (blau) und Avalanche(grün)

DeFi-Projekte haben die Baisse der letzten drei Jahre intensiv für die Professionalisierung genutzt. Das grundlegende Problem von Decentralized Finance ist die Offenheit der Quellcodes der SmartContracts, die für den operativen Betrieb benutzt werden. Diese waren in der Vergangenheit oft buggy. Immer wieder konnten Hacker Sicherheitslücken für Raubzüge nutzen. Davon war insbesondere die Algorand Blockchain betroffen, weil sie sich für extrem schnelle Projektumsetzungen anbietet und im universitären Bereich weit verbreitet ist. Diese Probleme scheinen behoben zu sein. DeFi-Anwendungen haben ihre Kinderkrankheiten überwunden und bieten einen stabilen Rahmen für dezentrale Handelsmodelle. Aktuell bietet beispielsweise ein Investment in einen USDC-ALGO-Pool eine Seitwärtsrendite von etwa 100 % pa. (Das Betreiben von Wechselstuben ist ein sehr lukratives Business …). Man kauft Algorand, transferiert diese in eine Wallet, wechselt die Hälfte in den StableCoin USDC und schiebt beide Währungen in den Pool. Die Seitwärtsrendite wird aus anteiligen Wechselgebühren gespeist. Die aktuell hohe Rendite reflektiert zum einen die Preisdynamik der Krypto-Währung und zum anderen die Nachfrage nach dem StableCoin USDC, mit dem man sich im Kryptospace gegen Preisrisiken absichert.

Der bisherige SEC-Vorsitzende (Gary Gensler) bezeichnete den DeFi-Space nicht unbegründet als »Wilder Westen«. Die SEC förderte die Evolution in den Krypto-Spaces nicht, an Zulassungen im Regelbetrieb der Finanzindustrie war nicht zu denken.

Das könnte sich nun ändern. Atkins hat zumindest ein offenes Ohr und dürfte Pilotanwendungen durchwinken. Das erklärt die derzeitige Goldgräberstimmung.

Etherium

Avalanche und Algorand sind kleine Blockchains. Die kombinierte Marktkapitalisierung betragt 25 Mrd. $. Etherium ist deutlich größer (600 Mrd. $).

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Abbildung 4: Preisentwicklung von Etherium (5 Jahre)

Auch der Preis für Etherium explodiert. Die Preisdynamik stellt den derzeit gehypten Bitcoin deutlich in den Schatten. Bitcoin ist heute allerdings deutlich teurer, als 2022 (Abb. 5).

Etherium unterscheidet sich in einem weiteren Punkt von Avalanche und Algorand: Es gibt Futures und ETF’s. Etherium ist ein normales, spekulatives Asset, das auch für institutionelle Marktteilnehmer zugänglich ist. Die Blockchain ist die Basis für große DeFi-Plattformen mit etablierten, profitablen Geschäftsmodellen. Kurzum: Die Blockchain ist bereits heute ökonomisch relevant. Die neue Offenheit der SEC eröffnet den dortigen Platzhirschen erstmals langfristige Wachstumspektiven außerhalb der Krypto-Spaces. Kurzum: Etherium könnte in den USA einen realen Wachstumsbeitrag leisten. Welcher Marktpreis der Blockchain für diese Perspektiven angemessen ist, ist aktuell Gegenstand der Spekulation.

Bitcoin

Bitcoin, der Dinosaurier der Kryptowährungen, spielt auf einem anderen Feld. Dort buhlt man um die Gunst von Zeitgenossen, die der Auffassung sind, dass Währungen, Rohstoffe oder Dinge als Wertspeicher taugen. Bitcoin ist schlicht virtuelles Gold. Es lebt von der Vorstellung, dass etwas so viel Wert ist, wie der Nachbar dafür zu zahlen bereit ist. DeFi-Blockchains auf der anderen Seite sind mit Börsenplätzen, wie Eurex, Nasdaq oder CBOE vergleichbar, haben ein Geschäftsmodell, Ertragsquellen, Zahlungsströme: alles, was eine »normale« Fundamentalbewertung ermöglicht.
Interessanterweise dreht die BitcoinCommunity die Argumentation um: Dort teilt man die Meinung, Bitcoin sei – weil dessen Menge per Design endlich ist – ein sicheres Asset. Genausowenig wie man Gold essen oder trinken kann, ist Bitcoin mehr als eine fixe Idee einer fanatischen Community. Vermutlich setzen die ersten leistungsstarken Quantenrechner dieser Manie ein Ende. DeFi-Blockchains sind aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Ihnen gehört die Zukunft.

Stillhalterstrategie Bitcoin ETF

Die Überwindung der 100.000 $ Marke für einen Bitcoin war ein mediales Großereignis.

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Abbildung 5: Preisentwicklung von Bitcoin (5 Jahre)

Die Preisentwicklung für Bitcoin hat sich substanziell von der des DeFi-Marktes (Etherium) abgekoppelt. In welchem Asset mehr Spekulation enthalten ist, Bitcoin oder Etherium, ist Gegenstand der Debatte und für unsere Zwecke nicht wichtig.

Bitcoin ist tiefer in das traditionelle Finanzsystem integriert, als die übrigen Kryptowährungen. Das ist vermutlich der Grund für die völlig andere Preisentwicklung. Es gibt Futures, ETF’s und einen aktiven Optionshandel. Letzterer bietet die Chance, die gegenwärtige Spekulationslust mit defensiven Handelsstrategien profitabel zu begleiten. Die Erreichung der 100.000 $ Marke bietet einen guten Einstiegszeitpunkt. Die Marktpreise sind spekulativ sehr stark gestiegen. Runde Preismarken ziehen den Markt gerade im spekulativen Handel magisch an.

Der Bitcoin-ETF (IBIT) kostet aktuell 55 $. Die Volatilität ist mit fast 60 Prozent sehr hoch, entsprechend teuer sind Optionen. Wer mit Optionen auf steigende Bitcoin-Preise spekulieren möchte, muss tief in die Tasche greifen. Für Stillhalter bietet dies Chancen.

Die erste Position im Bitcoin-Stillhalter-Handelssystem besteht aus zwei veräußerten Optionen: Eine Put-Option mit einem Strike von 44 $ und eine Call-Option mit einem Strike bei 80 $. Die Position setzt darauf, dass der Bitcoin-Preis bis März unter 140.000 $ bleibt und auch nicht unter 70.000 $ fällt. Dann fließen dem Stillhalter 400 $ pro 100 ETF zu, bezogen auf ein ETF-Investment entspricht das einer Rendite von sieben Prozent in drei Monaten bzw. fast 30 Prozent pro Jahr. Ob die Bitcoin Rallye weiter geht, ob es eine Korrektur gibt – Hieronymus hat keine Glaskugel hierfür. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Notierungen innerhalb der weit gesetzten Preisgrenzen verharren, erscheint hoch.

Die hohe Preisdynamik eröffnet jenseits des reinen Stillhalterhandels Potenziale für eine Diversifizierung mit anderen Handelsstrategien. Das ist Gegenstand des diesjährigen Hieronymus Weihnachtsprojekts und wird Gegenstand eines weiteren Schaufensters.