Wintersonnenwende

Zum Ausklang des Jahres 2024 stellt sich die Frage neu, welchen Stellenwert Macht an den Finanzmärkten hat. Besondere Nähe zur Politik ist in Schwellenländern üblicherweise eine ökonomische Erfolgsgarantie. Das Duo Trump/Musk verändert auch in diesem Punkt die USA. Die Bewertung von Unternehmen hängt stärker von ihrer ideologischen Nähe zur neuen Administration ab, als von ihrem Geschäftsmodell.
Nimmt man die Trends bei Industriegasen als Maßstab, steht die globale Industriekonjunktur auf tönernden Fundamenten. Die Branche ist ein Frühindikator Par Exellence. Die Marktführer bilden gerade charttechnische Verkaufssignale aus.

Wochenbericht 50/24 Stuttgart, 21. Dec. 2024

Die Ereignisse in Magdeburg vertrieben die letzten weihnachtlichen Gefühle. So kommt im letzten vorweihnachtlichen Wochenbericht leider keine Festtags-Stimmung auf. Die Wintersonnenwende sendet aber zumindest ein Zeichen für hellere Zeiten.

USA: the full Trump

Top True Social + Ex-Twitter-Tweets aus dem Hause Trump/Musk:

  • Die USA wird die Ukraine weiter unterstützen, wenn die Nato-Staaten für militärische Zwecke fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts verwenden (und für diesen Betrag Waffen und Geräte aus US-Fertigung erwerben).

  • Wenn die Staaten Europas ihr aktuelles Handelsdefizit mit den USA nicht über die Ausweitung ihrer Öl- und Gasimporte ausgleichen, werden massive Strafzölle erhoben.

  • Mit Alice Weidel als Kanzlerin wäre der Weihnachtsmarkt in Magdeburg sicher gewesen.

Trump/Musk nehmen Europa ins Vizier.

Im Wochenbericht 44/24 ordnete Hieronymus die US-Wahl in den Kontext der Machtergreifung in Deutschland ein. Die Ereignisse der Berichtswoche in den USA bestätigen die Einschätzung. Bereits vor der eigentlichen Amtsübergabe ergreift das Duo Trump/Musk die Macht . Die Tatsache, dass Mr. Musk den Wahlkampf für D.Trump geschmissen hat, berechtigt ihn, einen fertigen Entwurf für einen Übergangs­haushalt in letzter Minute zu kippen. Der Mann hat keinerlei Legitimation, er ist weder gewählt noch irgendwo institutionell eingebunden. Trotzdem geht gefühlt alles über seinen Schreibtisch, bevor D. Trump als Lautsprecher tätig wird. Die USA wandelt sich mit Lichtgeschwindigkeit zu einen autokratischen Staat mit rechtsradikalem Sendungsbewußtsein.

An dieser Stelle sei auf die Freitagsausgabe von »Der TAG«, hingewiesen, die ausführlich auf die politischen Ambitionen von Elon Musk und dessen Einflußnahme auf andere Staaten eingeht:
X-Faktor: wieviel politische Macht hat Elon Musk.

Der Preis der Macht

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Abbildung 1: Preisentwicklung des Russel 2000 ETF (1 Jahr)

Der JahresChart des Russell 2000-ETF (Abb. 1) zeigt für die US-Midcaps zwei Phasen der Euphorie: Im Sommer kündigten sich erste Zinssenkungen an, von denen Corporate America besonders profitieren sollte. Nach dem Wahlsieg von D.Trump wiederholte sich das Muster. Wieder hieß es, die Aktien im Index sind niedrig bewertet, im Vergleich zu den Blue-Chip-Indizes sind die Preisperspektiven ausgezeichnet.

Zweimal wurde die Euphorie binnen kurzem krachend abverkauft. Im Ergebnis steht der Index zwar 7,5 Prozent über dem Preis zum Jahreswechsel. Auch hat der Index deutlich erkennbar einen Aufwärtstrend etabliert. Dennoch versalzen die periodischen, sehr dynamischen Abverkäufe dem gepflegten Investor die Lust an seinem Investment. Dies gilt insbesondere unter Beachtung der aktuellen Dividendenrendite von 1,13 %.

Die großen Amplituden und wenig stabile Trends in den USA sind der Grund, weshalb Hieronymus marktneutrale Optionshandelsmodelle auf Indizes außerhalb der USA aufsetzt: Europa, Australien und zukünftig Japan.

Die Volatilität des Russell 2000 ist signifikant höher, als die des S&P 500 oder der Nasdaq. Der Chart in Abb. 1 zeigt deutlich, welchen »Preis« ein Optionshändler auf Indexebene für diesen Volatilitätsaufschlag zahlen muss: Im hektischen Hin und Her der letzten 6 Monate konnte man nur mit spekulativen, kurzfristigen und diskretionären Handelsansätzen ein (zufälliges) positives Ergebnis erzielen.

Dennoch: Die Preisrückgänge der letzten Woche werden überwiegend als gesunde Marktkorrektur interpretiert. Danach sind die aktuellen Preise gute Einstiegsgelegenheiten. Das zukünftige Milliardärs-Kabinett wird keine Erodierung der Marktbewertungen in den USA zulassen, hoffen investierte Kleinaktionäre. Sie schauen besser in das Jahr 1981 zurück, als ein gewisser Mr. Reagan US-Präsident wurde. Auch damals waren die Versprechungen groß, es folgten auch tatsächlich gesellschaftliche Umbrüche. Aktionäre schauten aber in die Röhre – die Finanzmärkte hatten im Vorfeld zuviel eingepreist.

Zum Ende des regulären Handels des Jahres 2024 haben die US-Indizes unisono die Preisaufschläge nach der Präsidentschaftswahl abgebaut. Tatsächlich verkauft haben die Anhänger der Demokraten, die trübe Zukunftserwartungen haben. MAGA-Anhänger sitzen wohl auf Buchverlusten. Sie hoffen auf ein »Machtwort« ihrer Idole.

Die Bewertung der US-Aktienmärkte ist zukünftig von drei Faktoren abhängig: Fundamentaldaten, Spekulation und Zugang zur Macht.

Australien: Gegenwind aus Peking

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Abbildung 2: Preisentwicklung des ASX 200 (1 Jahr, in AUD)

Auch der australische Leitindex hat über das Jahr 2024 einen Aufwärtstrend etabliert. Das Chartmuster unterscheidet sich sehr von dem des Russell 2000. Der Trend ist wenig volatil. Seit Jahresbeginn stieg der Indexpreis um ca. 4 Prozent, etwas mehr als die Hälfte der Performance des Russell 2000. In der Spitze erreichte die Performance über 14 Prozent, was angesichts der geringen Schwankungen genial erschien. Wie im August (Aufwertungssschock des Yen) gab der Index im Verlauf des Dezembers fast ein Zehntel seines Buchwerts ab.
Die aktuellen Preissenkungen haben vermutlich mehr mit den ökonomischen Perspektiven in China zu tun, als mit einer isolationistischen US-Handelspolitik. In der Vorwoche wurde in Australien die Steuerschätzung für die nächsten Jahre veröffentlicht. Das Finanzministerium rechnet mit sinkenden Steuerzahlungen der Bergbauunternehmen. Die Ursache: geringere Exporte nach China.

Das ASX-Handelssystem geht wegen des starken Abwärtstrends (und einem Wochenschlußkurs unterhalb der Trendunterstützung) ohne aktive Positionen in die Weihnachtswoche. Ein erneuter Positionsaufbau ist aber geplant.

Nicht nur Aktienpreise aus Down-Under sind gesunken. Auch der Australdollar wertet gerade dynamisch ab und testet zum US-Dollar gerade die untere Post-Corona-Unterstützung aus. Seit der US-Wahl durchmaß der Australdollar die gesamte Tradingrange des vergangenen Jahres.

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Abbildung 3: Entwicklung des Währungspaares AUD/USD

Eine Abwertung der Landeswährung stärkt die Wettbewerbssituation der Exportwirtschaft. Am Aktienmarkt wirkt dies preisstabilisierend. Andererseits erhöht dies die Wahrscheinlichkeit für eine Intervention aus den USA. Dort setzt man alles daran, den US-Dollar zu schwächen.

Frühzyklische Preissignale

Ursprünglich war dieser Platz des Wochenberichts für eine Diskussion des Preisgeschehens im Marktsegment für gewichtsreduzierende Medikamente vorgesehen. Die Platzhirsche, Eli Lilly und Novo Nordisk dominierten die Nachrichten im Pharmasektor, beim Ersteren hob die Zulassung einer Abnehmpille zur Behandlung von Schlafstörungen den Aktienpreis, beim Anderen ging der Marktpreis nach enttäuschenden Testergebnissen eines neuen Wirkstoffs in der Spitze um ein Viertel zurück.

Ein anderer Sektor schob sich in den Fokus: Industriegase. Während der Pharmasektor defensiv und spätyklisch ist, und speziell die Diätpillenhersteller gehypt werden, ist der Sektor Industriegase frühzyklisch und fristet aktuell in der Berichterstattung ein Nischendasein.

Konkreter Anlass ist der Verkauf der Industriegassparte von Westfarmers an Nippon Sanso. Westfarmers erzielte einen Verkaufspreis von 770 Mio. A$ und verbucht einen Veräußerungsertrag über ca. 250 Mio. A$. Der Verkaufspreis entspricht den 21-fachen Jahresergebnis der Gassparte. Trotzdem sank der Aktienpreis von Westfarmers am Folgetrag der Bekanntgabe der Transaktion bei hohen Volumina um 5 Prozent. Das mag dem schwachen Marktumfeld geschuldet sein, ist aber erklärungsbedürftig. Hat Westfarmers die Gassparte zur Unzeit abgestoßen?

Schauen wir auf die Konjunktur im Gassegment, in Form der Aktienpreise der globalen Marktführer.

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Abbildung 4: Preisentwicklung der Linde PLC (USD)
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Abbildung 5: Preisentwicklung der Air Liquide (EUR)
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Abbildung 6: Preisentwicklung von Nippon Sanso (JPY)

Die »goldenen Zeiten« der Branche sind definitiv vorbei. Die Marktpreise der globalen Marktführer haben im März (Air Liquide) oder im Oktober 2024 ihren vorläufigen Zenit durchlaufen. Seitdem sinken die Notierungen unisono. Die Unternehmen sind zwischen 20 % (Air Liquide), 16 % (Linde) und 12,5 % (Nippon Sanso) preiswerter geworden. Die drei Branchenvertreter notieren jeweils an der untersten Trendunterstützung. Für eine Bestätigung der Trendbrüche reichen zwei schwache Handelstage. Die Titel würden dann kollektiv in intakten strategischen Abwärtstrends handeln.

Hersteller und Distributoren von Industriegasen bedienen eine elementare Schaltstelle der industriellen Produktion. Drei Unternehmen teilen sich den globalen Markt. Die Kundenbeziehungen sind stabil und belastbar, Preiswettbewerb ist nur rudimentär vorhanden.

Die Marktführer bilden lange Trends, die industriellen Zyklen folgen. Der aktuelle Trend ist gebrochen und steht akut zur Disposition. Die Chartbilder sind unisono Aufforderungen zur Glattstellung bestehender strategischer Positionen.

Um die Eingangsfrage zu beantworten: Westfarmers hat nicht zur Unzeit verkauft. Der aktuelle Preisverfall der Aktie hat mit dem Kerngeschäft zu tun. Das Unternehmen ist ein Spiegelbild der australischen Binnenkonjuktur. Die Aktie notiert in der Nähe des Allzeithochs. Der Preisverfall ist kein Hinweis auf eine (bevorstehende) Konjuntureintrübung in Australien!

Um die globale Industrie-Konjunktur steht es nicht so gut.