Short first, Ask Questions later

Eine Schwalbe macht keinen Sommer, die Pleite der Silicon Vallay Bank aber vielleicht eine Baisse. Erinnerungen an 2007 werden wach. Sind die scharfen Reaktionen gerechtfertigt?

Stuttgart, 11. März 2023.

Im Wochenverlauf sank der Preis des 2.000 Werte umfassenden Russell 2000 um acht Prozent. Die USA erleben eine Krise ihrer Regionalbanken. Zieht dies die übrigen Sektoren in eine Rezession wie in der Savings & Loans Krise der 1980er? Die Breite der Abgaben insbesondere bei Unternehmen der zweiten Reihe, die das Rückgrat der US-Ökonomie sind, ist jedenfalls bemerkenswert.

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Abbildung 1: Preisverlauf der US-Midcaps(Russell 2000)

Aber Gemach: Der Russell 2000 Index ist übergeordnet ein Seitwärtsmarkt. Die Notierungen pendeln seit 2022 in der Tradingrange 1.700 bis 2.000. 2021 notierte der Index zwischen 2.100 und 2.300 Punkten und vor 2020 zwischen 1.500 und 1.700. Das Problem: Verletzt der Index die großen Preismarken, markiert dies einen Regimewechsel. Solche Preisbewegungen sind dann irreversibel.

Genau darum geht es in dieser Ausgabe. Erwartet uns ein solcher Regimewechsel oder ist das Preisgeschehen der Berichtswoche einfach eine spekulative Übertreibung?

Silvergate: Das Risiko eines Nischenplayers

Am Weltfrauentag gab das Management der kalifornischen Silvergate Bank die Banklizenz zurück. Seitdem wird das Kreditinstitut abgewickelt. Wobei: der Name »Kreditinstitut« passt eigentlich nicht. Silvergate war das Gateway des Kryptomarkts zur Realität. 2013 spezialisierte sich die Regionalbank auf den Wechsel von US-Dollar in Krypto-Coins und umgekehrt. 2021 wickelte die Bank über das hauseigene »Silvergate Exchange Network« Transaktionen über 750 Mrd. $ ab. Die Wechselstube war mit Eigenkapital (Kundeneinlagen) von 15 Milliarden Dollar gesichert.

Weil das Wechselgeschäft so profitabel war, gab man das klassische Bankgeschäft mehr und mehr auf. Konsequenz: Die Bank hatte einen steten Cash-Überschuß. Anstatt das Geld gegen eine Gebühr zu verleihen oder es in Tagesgeldfonds zu stecken, erwarb man langlaufende US-Staatsanleihen. Die schlauen Finanzjongleure dachten, ein Prozent Zinsen: Welches Risiko gehen wir da schon ein.

Ein gewaltiges, wenn die Leitzinsen binnen Kurzem von null auf jetzt fast fünf Prozent steigen. Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit sind seit 2021 um ein Viertel preiswerter geworden. Sicher: wenn man bis zur Fälligkeit wartet, lösen sich die Buchverluste wieder auf. Was aber, wenn die Kunden ihre Einlagen vorher abheben?

Nachdem bekannt geworden war, wie die Bank die Barmittel angelegt hatte, passierte genau das. Die Kunden lösten ihre Guthaben auf. Die Bank war gezwungen, die Staatstitel zum Marktpreis abzugeben. Die Verluste konnten nicht weitergegeben werden. Es dauerte immerhin einige Monate, bis das Eigenkapital aufgezehrt war.

Sämtliche in den USA tätigen Krypto-Broker waren Kunden bei Silvergate. USD-Krypto-Transaktionen laufen nun fast ausschließlich über Signiture, bisher die große Konkurrenz von Silvergate, und dem hauseigenen, wenig transparenten Signeat-Gateway. Anhängende Verfahren, die der Bank mindestens die Tolerierung von Geldwäsche vorwerfen und Gerüchte, dass Sanktionen gegen Russland aktiv umgangen wurden, sind nicht Vertrauensstiftend. Noch problematischer: Signiture hat ähnliche Probleme wie Silvergate. Auch bei dem Geldinstitut ist ein substanziellen Anteil der Cash-Reserven in langlaufenden US-Staatstiteln gebunden.

Silicon Valley Bank – der Name ist Programm

Am Freitag übernahm die US-Finanzaufsicht die Kontrolle über die Silicon Valley Bank_(SVG). Das Vermögen ist eingefroren. Kunden können ab Montag bis zu 250.000 $ abheben.

Auch die SVG war ein Nischenplayer. Allerdings ein ungleich größerer. Gemessen an der Bilanzsumme war die Bank die Nummer 15 in den USA. Sie spielte in einer Liga mit State Street, Bank of NY Mellon und Morgan Stanley. Gekannt hat sie trotzdem kaum jemand.

Die Bank hatte sich auf die Finanzierung und das Management von Venture Capital, SPACS und Silicon-Valley-Startups spezialisiert. Wie Silvergate hatte auch _SVG kein nennenswertes Kreditgeschäft. Wofür auch? »Kunden« waren vermögende Einzelpersonen und Venture-Capital-Fonds, die die Bank exklusiv für die Verwaltung von ihrer Investments aufgebaut haben und deren Kunden, also Startup’s, SPAC’s und andere, schnellwachsende Firmen. Die Bank ist eher mit einer MBG oder KFW für das Valley vergleichbar als mit einer klassischen Sparkasse. Trotzdem: Die Kernrisiken der SVG sind klassische Bankrisiken. Das Management stand vor der Herausforderung, kurzfristig fällige Einlagen profitabel zu managen. Das ist gründlich schief gegangen (wohl auch, weil das Risikomanagement über acht Monate unbesetzt war [Quelle: Fortune]).

Das Zinsrisiko tragen aktuell Gläubiger von Staatstiteln

Es ist bizarr: Hochverschuldete Kreditoren stecken die scharf angestiegenen Marktzinsen gut weg, während die Gläubiger unter Buchverlusten zusammenbrechen. Gemäß Lehrbuch sollte die Rollenverteilung genau umgekehrt sein.

Die Lehrbücher gingen allerdings nicht davon aus, dass das Management einer Bank auf die Idee verfällt, kurzfristig abrufbare Cashbestände allumfänglich mit zinslosen, langlaufenden Staatstiteln abzusichern. SVG hatte im Sommer 2021 Einlagen über 91 Mrd. Dollar in US-Treasuries angelegt. Als den Kunden und Marktteilnehmer das Ausmaß des Managementfehlers bewußt wurde, dauerte es nur wenige Stunden, bis ein vollumfassender Bankrun seinen Lauf nahm. Das Ergebnis: die zweitgrößte Bankenpleite in den USA (Die Insolvenz von Lehman fehlt hier, weil die Einzelgesellschaften separat abgewickelt wurden).

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Abbildung 1: Größte Bankpleiten der USA (Quelle: WSJ)

Die aktuelle Pleitenserie ist ohne Vorbild. Üblicherweise gehen Banken pleite, weil Sparer ihr Geld zurück wollen, dass in fragwürdigen Ausleihungen gebunden ist. Das war z.B. in der _Savings % Loan Krise so, auch 2007/8. Das von der US-Finanzaufsicht eingezogene Vermögen der Bank ist aber zur Hälfte in absolut sicheren Anleihen geparkt. Es könnte mit einem Federstrich in die Bilanz der US-FED integriert werden, alle Probleme wären dann behoben.

Die eigentliche Achillesferse der Bank sind aber die übrigen Assets. Die fallen nämlich in die Kategorie »fragwürdige Ausleihungen«. Das Gegengeschäft der Übernahme einer Beteiligung ist der Transfer von Aktien an den Investor. Diese Hochrisikopapiere sind das übrige Eigenkapital der SVB. Die geförderten Unternehmen hatten ihre Konten ebenfalls bei der SVB. Der Ausfall der Cashposition verursacht nun eine negative Rückkopplung: Die Barmittel der Startups sind eingefroren, damit sinken deren Marktperspektiven, die Bewertung sinkt und damit auch das Eigenkapital der SVB. Passiert nichts, löst sich die Startup-Szene des Valley in der nächsten Woche in Luft auf. Hieronymus erwartet, dass hier hinter den Kulissen eine Lösung vorbereitet wird. Dafür ist dieser Sektor zu relevant.

Fallout und Irrationalität

Im Wochenverlauf wurden Aktienmärkte weltweit abverkauft

Markt Wochenergebnis Markt Wochenergebnis
S&P 500 -4,55% Nasdaq -3,75 %
China -4,96 % Russell 2000 -8,6 %
Hongkong -6,07 % Kanada -3,92 %
Griechenland -5,24 % Italien -3,18 %

Neben den USA waren Griechenland und Italien besonders betroffen. Das sieht nach einem Reflex aus: Wenn es irgendwo Probleme gibt, verkauft man erstmal die üblichen Verdächtigen. Worin die Beziehung zu der Bankpleite in den USA oder den eingetrübten Aussichten in China besteht, erschließt sich selbst bei angestrengtem Nachdenken nicht. Irrationalität ist aber nunmal fester Bestandteil volatiler Marktphasen.

Auch in Europa wurden Nebenwerte stärker abverkauft als Blue-Chips. Der Stoxx 600-Index gab 2,2 Prozent nach, der Eurostoxx 50 gerade mal 1,5 %.

Überall besonders im Fokus: Banken. Obwohl die Geldinstitute unisono vom Zinsumfeld profitieren, sind deren Aktienpreise auf das Dezember-Niveau zurückgekommen.

Dahinter steckt die Spekulation auf vergleichbare Bilanzstrukturen, auf eine Kettenreaktion wie 2008. Eine nähere Betrachtung zeigt: SVB war einzigartig. Nur 3% aller Kundeneinlagen unterschritten die Marke von 250.000 $. 55% aller Kundeneinlagen waren in festverzinsten US-Treasuries gebunden, branchenüblich sind 20 bis 30 Prozent. SVB hatte kein profitables Kreditgeschäft, das die Verluste aus der Rentenposition kompensieren könnte. Statt dessen ergänzte ein Aktiendepot die Bilanz. Die Aktien bezog die Bank für die eingegangenen Beteiligungen. Schließendlich war die SVG keine richtige Bank, sondern ein auf das Management von Beteiligungen spezialisierter Dienstleister mit einer Banklizenz.

Preisverfälle von 14% bei der Deutschen Bank oder 11% bei der Societe Generale sind dem allgemeinen Herdentrieb geschuldet, wie auch der Preisabschlag über 18 % bei Goldman Sachs oder 20 % bei der Bank of America. Dieser Titel steht unmittelbar vor einem chart- und markttechnischen Verkaufssignal (und ist nun der Banktitel mit dem größten Bestand an US-Treasuries und korrespondierenden, ausgewiesenen Buchverlusten):

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Abbildung 2: Preisverlauf der Bank of America

Dieses Beispiel zeigt, dass der Markt die negativen Auswirkungen der festverzinst angelegten Einlagen bereits seit dem Jahreswechsel einpreist. Die Chance ist hoch, dass der Sell-Off sich nächste Woche nicht fortsetzt. Am Freitag hat die Aktie unter sehr großen Umsätzen (150 Mio Stück, normal sind 30 - 50 Mio.) einen Intraday-Reversal vollzogen; der Schlußkurs lag höher, als der Eröffnungskurs. Eine Intradayanalyse zeigt, dass sowohl am Donnerstag, wie auch am Freitag etwa zwei Stunden vor dem Handelsschluß umfangreiche Käufe erfolgten. Das wird gemeinhin als institutionelles Interesse interpretiert.

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Abbildung 3: IntradayPreisverlauf der Bank of America mit Intraday-Volumen

Neben den sehr volatilen Aktien der US-Regionalbanken ist die Bank of America der wichtigste Gradmesser für den weiteren Verlauf. Gelingt in der nächsten Woche eine Preisstabilisierung, könnte sich der Seitwärtsmarkt fortsetzen.

Kreditmärke signalisieren (noch) Normalität

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Das gilt, solange die Kreditmärkte sich der Marktpanik entziehen. Derzeit ist die Liquiditätsversorgung der Unternehmen trotz der inzwischen restriktiven Geldpolitik gewährleistet. Die Unternehmen können sich zu den Konditionen der US-Treasury am Markt Geld leihen. So gering, wie aktuell, war die Preisdifferenz zwischen US-Staatstiteln und Firmenkrediten zuletzt im Frühsommer 2007.

Allein dies lässt aufhorchen. Schließlich markiert dieser historische Tiefpunkt den Beginn der Subprime-Krise.

Die Aussagekraft der Graphik ist wegen der aktuell starken Inversion der Zinsstrukturkurve allerdings begrenzt. Das kurzlaufende Staatsanleihen höhere Zinsen abwerfen als Langläufer, könnte rückblickend aber genau das Einlagenrisiko der Banken reflektieren, das den beiden Spezialbanken das Genick gebrochen hat.

Fazit

Die stark gestiegenen Marktzinsen fordern ihren Tribut. Dies war lange erwartet worden. Wo sich die Risse zeigen würden, war bislang unbekannt. Nun ist die Katze aus dem Sack. Anstatt auf hoch verschuldete Staaten und Unternehmen zu schauen, brechen Cash-lastige Strukturen zusammen.

2008 mussten die Banken beweisen, dass ihre Kreditbestände frei waren, von Subprime-Risiken und auch keine gehebelten Kreditderivate enthielten. Heute muss der Bestand an langlaufenden Staatstiteln begründet werden. Das ist ein No-Brainer, weil klar in den Bankbilanzen ausgewiesen. Die Entwicklung der Einlagen in Geldmarktfonds zeigt zudem, dass das Risikomanagement seine Arbeit getan hat: Der Finanzsektor hat bereits vor dem Beginn der Leitzinsanhebungen substanziell Durationsrisiken abgebaut und langlaufende Staatstitel in flexible Geldmarktprodukte getauscht.

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Abbildung 5: Geldanlage in Geldmarktprodukten boomt

Die aktuelle Vertrauenskrise in die US-Regionalbanken gibt der FED auf der anderen Seite eine Gelegenheit, ohne Gesichtsverlust Zinanhebungen auszusetzen. Denn: Wenn in der Berichtswoche eines klar geworden ist, dann die Tatsache, dass die Marktzinsen in den USA zu schnell zu weit gestiegen sind. Der Währungsmarkt hat dies in der vergangenen Woche teilweise eingepreist: Der USD wertete nicht auf, wie in Krisenmomenten üblich.

Ressourcen

  • Datenbank mit US-Banken Federal Reserve
  • With the collapse of Silicon Valley Bank, tech may lose a vital organ , FT, 10.3.2023 *