Das große Rad

Aktuell sind die Finanzierungskonditionen vorteilhaft, dachte sich das Management von BHP. Man will die sudafrikanische Anglo American übernehmen. An den Rentenmärkten braut sich jedoch bereits wieder ein Sturm zusammen. Weitere Großfusionen sind wohl nicht zu erwarten.

Wochenbericht 17/24 Stuttgart, 27. Apr. 2024

Elephantenhochzeit im Minensektor

Die Nachricht der Woche: BHP kündigt eine feindliche Übernahme von Anglo American an. Der australische Kupfer- und Eisenkonzern bietet 31 Mrd. £. Anglo American ist ein Indexschwergewicht im FTSE 100. BHP hat sein Doppellisting (London, Sidney) kürzlich aufgegeben und ist nun nur im ASX 200 enthalten. Eine erfolgreiche Übernahme würde den Finanzplatz London entwerten.

Reflexartig lehnte Anglo American das Übernahmeangebot ab. Dort erinnert man sich gern an das Jahr 2022. Damals betrug die Marktkapitalisierung fast 55 Mrd. £. Nach der Übernahmeofferte sprang der Aktienkurs von 2.100 auf 2.600 Pence. Das sagt viel über die Perspektiven des Unternehmens im Mantel der BHP-Group aus und die Erfolgschancen der Übernahme. Die Aktien von BHP gab nur marginal nach. Offenbar sehen auch die Aktionäre der BHP viele Synergien.

Am Freitag legte der Hedge-Fund Elliot eine Beteiligung über 1 Mrd. £ an Anglo American offen. Elliot ist das Zünglein an der Waage. Gelingt es dem Management von Anglo American, den Fonds von den Perspektiven eines eigenständigen Wegs zu überzeugen, muss sich BHP zurück ziehen. Höchstwahrscheinlich ist Elliot aber dessen strategischer Verbündeter.

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Abbildung 1: Die komplexe Konzernstruktur von Anglo American

Im Sommer 2022 übernahm Ducan Wanblad das Ruder bei Anglo American. Sein Vorgänger hatte den Konzern gegen viele Widerstände neu aufgestellt und dessen Marktwert maximiert. Wanblad erbte ein hoch bewertetes Unternehmen mit vielen strukturellen Baustellen und einer vergifteten Unternehmenskultur. Tatsächlich endeten die Umstrukturierungen nach dem Wechsel an der Spitze. Anglo American zeigt sehr deutlich, wie schwer es ist, gewachsene Strukturen nachhaltig zu modernisieren.

Das Unternehmen wurde 1917 von Ernst Oppenheimer in Johannesburg als Goldproduzent gegründet. Im Apartheitsstaat prosperierte es. Bei der Machtübergabe an Nelson Mandela war Anglo American das Rückgrad der südafrikanischen Wirtschaft – etwa 40 Prozent der Wirtschaftskraft des damaligen Südafrikas konzentrierte sich dort.

Seitdem versucht das Management den Konzern geographisch zu diversifizieren und die Struktur zu straffen. Der Erfolg lässt sich in Abb. 1 betrachten: Weingüter und Papiermühlen fehlen ebenso wie der Einzelhandel oder Bauunternehmen. Aber auch das Goldgeschäft wurde abgestoßen.

Die Haben-Seite: Anglo American ist aktuell der größte Platin Produzent außerhalb Russlands. Der Konzern betreibt die profitabelsten Kupferminen in Chile und Peru und ist mit De Beer der größte Diamantenproduzent außerhalb von Russland.

Leider sind Platin- und Diamantenpreise stark gesunken. Beim profitablen Kupfer- und Eisengeschäft ist man einer unter Vielen.

Woodsmith

2023 verkündete Ducan Wanblad an, für 9 Mrd. £ eine Polyhalid-(K₂Ca₂Mg(SO₄)₄·2H₂O)-Mine in North Yorkshire zu bauen, 340 Meter unterhalb des North York Moors National Parks. Das Produkt soll die Eintrittskarte in das Düngergeschäft sein. Es stellt eine alternative Kalium-Quelle bereit. Derzeit wird Kalium in Form von Pottasche in Kanada und Belarus abgebaut. Anglo American hofft, mit dem Kalium, Calcium und Magnesium-Gemisch einen umwletfreundlichen Dünger bereit zu stellen und das Oligopol der Düngemittelhersteller zu knacken.

Woodsmith ist das einzige kommerziell ausgebeutete Polyhalid-Vorkommen überhaupt. Der Kaliumgehalt ist deutlich geringer, als bei Pottasche. Außerdem benötigen Bauern weiterhin eine Stickstoff- und eine Phosphor-Quelle. Trotzdem rechnet der britische Staat mit Steuereinnahmen von 100 Mrd. £ bis 2125.

Nicht wenige Investoren fragten sich, ob Wanblad zu sehr an der Brexit-Flache gerochen hatte und schickten den Aktienkurs in den Keller. Zudem wies Anglo American wegen dieses Engagements einen negativen Cash-Flow aus.

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Abbildung 2: Preisentwicklung der Anglo American im Sektor-Vergleich

Den untergehenden Stern von Wanblad nutzt BHP für seine Übernahmeofferte. Anstatt einen weiteren CEO zu verheizen, bietet man den Shareholdern seine eigene Expertise als Alternative,

Im Hieronymus Stillhalter-Handelssystem lief eine Position am 19. April wertlos aus (Datenblatt). Sie wurde glücklicherweise nicht ersetzt. Dies ersparte uns sinnlosen Nervenkitzel. Kurz- und mittelfristig sind Engagements in direkte Konkurrenten zielführender, als eine Fortsetzung des Stillhalter-Engagements. Rio Tinto und Fortescue bieten sich geradezu an. Fortescue ist allein aufgrund seiner langfristigen Wasserstoff-Lieferverträge hochinteressant, Rio Tinto fehlen bei einem ähnlichen Geschäftsmodell die Übernahmerisiken. Problematisch ist allerdings, dass Rio Tinto sich für eine 3-Grad wärmere Welt einsetzt und darauf seine Emissionsziele ausrichtet. Dann würden viele küstennahe Großstädte im Wasser versinken und weite Teile Afrikas und Südamerikas wären unbewohnbar …

Staatsanleihen wackeln

In der abgelaufenen Woche erholten sich die Aktienmärkte von den Preissenkungen seit dem Monatsbeginn. Besonders ausgeprägt ist die Erholung in Europa. Hier hält sich die Zuversicht, dass die EZB die Geldpolitik bereits im Sommer lockern kann. In Japan, den USA und weiten Teilen Asiens wächst die Erkenntnis, dass eine neue Welle von Zinsanhebungen bevor steht.

Ende März war die Wahrscheinlichkeit für weitere Zinserhöhungen in den USA null. Inzwischen preisen die Futuresmärkte bis zum Dezember eine Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent ein. Nachdem die Bank of Japan in dieser Woche eine Fortsetzung der Zinspolitik (Leitzins: 0,1 %) verkündete, wertete der Yen nochmals ab. Der starke US-Dollar zwang die indonesische Notenbank zu einer ungeplanten Zinsanhebung. Zu dominant ist die Rolle des USD im Außenhandel. Der Druck auf die Bank of Japan steigt, diesem Beispiel zu folgen.

Der starke US-Dollar spielt China und Russland in die Hände. Erstens befeuert er die Wettbewerbs­fähigkeit der Exportindustrie und zweitens stärkt er die Position der Protektionisten und Isolationisten in den USA. Die Biden-Administration sitzt in der Zwickmühle: höhere Zinsen (= schwächerer Dollar) in den USA begrenzen über den Anstieg der Zinslast des US-Haushalts den Handlungsspielraum der Regierung und bremsen die Konjunktur aus. Ein starker Dollar nutzt sowohl dem politischen Gegner als auch den Systemfeinden im Osten, könnte aber wahlentscheident sein.

Zinsdifferrenziale

Im Herbst 2023 stiegen die Renditen an den Rentenmärkten diesseits und jenseits des Atlantiks. Dies schickte die Preise an den Aktienmärkten in den Keller. Erst die Aussicht auf sinkende Leitzinsen beruhigte die Märkte.

Aktuell kündigt sich eine Wiederholung dieses Szenarios an.

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Abbildung 3: Preisentwicklung des TLT-EFT (US-Staatsanleihen, 20 Y) und der dt. Staatsanleihen (10 Y, blau) im Vergleich
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Abbildung 4: Preisentwicklung der amerikanischen(blau) und deutschen Zinsfutures ( Kerzen, jeweils 10 Y) im Vergleich

Abb. 3 zeigt die Preisentwicklung der längerlaufenden US-Staatsanleihen. Diese sind seit März deutlich zurück gekommen. Die Entwicklung gleicht der ab August 2023. Auch damals blieben die Anleihepreise in Europa vergleichsweise konstant. Die Abb. 4 vergleicht die Preise der Zinsfutures mit gleicher Laufzeit. Im Verlauf eines Jahres hat sich eine Differenz von 7 Basispunkten herausgebildet.

Die Volkswirtschaften in den USA und Europa divergieren immer stärker. Die USA wandelt sich zu einem Hochzinsland. Noch trägt das Narrativ, dass die US-Unternehmen konjunkturbedingt gut mit höheren Zinssätzen leben können. Die Renditeentwicklung an den Rentenmärkten stellt dies immer deutlicher in Frage. Die Preise für US-Staatsanleihen nähern sich den Tiefpunkten des Jahres 2023. Zwar geht die Inversion der Zinsstrukturkurve in Zuge dieses Prozesses zurück. Diese Auflösung der Abnormalität ist aber genau der rezessive Treibsatz, der bisher überhaupt nicht eingepreist ist.