Zinswende

Die Geldpolitik ist restriktiv. Das ist unisono die zentrale Aussage Notenbänker nach den jüngsten Zinsentscheidungen. Damit prädestiniert sich der Rentenmarkt als »Place to Be« für den Sommerhandel. Auf den Notierungen von Dividendentiteln lastet die Bürde eines absehbaren Government-Shutdowns in den USA.

Stuttgart, 6. Mai 2023.

Am Mittwoch erhöhte die FED die Leitzinsen in den USA trotz eskalierender Bankenkrise auf 5,0 bis 5,25 %. Einen Tag später tat es ihr die EZB nach. Auch in Europa stiegen die Leitzinsen um 0,25 %.

Bereits am Dienstag veröffentlichte die EZB ein Update ihres »Bank Lending Reports«. Dieser gibt Aufschluß über die aktuelle Kreditnachfrage in der Eurozone.

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Abbildung 1: Zusammenfassung des Bank Lending Reports Q1/23

In der Tabelle sind die beiden jüngsten Erhebungen und der langjährige Durchschnitt aufgeführt.

Die Daten für den Bereich »Enterprises« ließen bei der EZB die Warnglocken erklingen. In Frankreich und Italien sind die Banken bei der Kreditvergabe extrem vorsichtig. Überall brach die Nachfrage nach Unternehmenskrediten zusammen. Auf der Ebene der Konsumenten ist die Nachfrage nach Krediten aller Art ebenfalls sehr deutlich zurück gekommen. Der Inflationsschub der letzten beiden Jahre hat paneuropäisch zu erheblichen Kaufkraftverlusten geführt. Wenn die Konsumenten nun zusätzlich von kreditfinanzierten Anschaffungen Abstand nehmen, wirkt das mindestens Disflationär. In dieses Bild passt folgende Notiz vom Freitag:
Die Auftragseingänge in der deutschen Industrie sind im März 2023 deutlich um 10,7% gesunken, weitaus mehr als der erwartete Rückgang von 2,2%.

Auf der Pressekonferenz im Anschluß an den Zinsentscheid betonte Christine Lagarde mehrfach, dass die Geldpolitik in der Eurozone objektiv restriktiv ist, obwohl die Leitzinsen deutlich niedriger sind als die aktuelle Inflationsrate.

Gelänge es, Zweitrundeneffekte in Schach zu halten, wäre der Inflationsschub in Europa jetzt vorbei! Gelingt dies nicht, muss die EZB die Zinsen weiter anheben. Dann ist eine Rezession unabwendbar.

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Abbildung: 2: Preisentwicklung des Bund-Futures (1 Kerze = 1 Woche)
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Abbildung 3: Renditeverlauf von Bundesschatzbriefen (10 Jahre Laufzeit)

Damit ist das große Thema für den Sommerhandel gesetzt: Das Comeback der Renten. Abb. 2 + 3 zeigen den Preis- und Renditeverlauf deutscher Staatsanleihen. Beide Charts zeigen eine Umkehrformation. Der Kontraktwechsel des Bundfutures (8 März) markiert rückblickend das Rendite-Maximum. Der Jahreswechsel begründet, ebenfalls in der Rückschau, die untere Begrenzung des neuen Trendkanals im Bund-Future. Die Zukunft wird zeigen, ob der Kontraktwechsel im März einen steileren Trendkanal begründet. Charttechnisch hat sich sowohl im Preis- wie auch im Rendite-Chart eine Dreiecksformation ausgebildet. Ein Ausbruch zur Preisoberseite komplettiert die Bodenbildung am heimischen Rentenmarkt. Es würde nicht überraschen, wenn dies im Zuge des nächsten Kontraktwechsels Anfang Juni passiert. Idealerweise begleitet (oder besser: katalysiert) ein deutlicher Abverkauf am Aktienmarkt den charttechnischen Ausbruch der Renten.

Aktien: Seitwärtsmärkte mit Schlagseite

Der EuroStoxx 50 Index eröffnete am Montag bei 4.353 Punkten. Der Wochenschlusskurs: 4.340. Die Nasdaq eröffnete bei 13.316 und schloss bei 13.317. Beim S&P 500 ist die Preisdifferenz etwas größer: Eröffnung bei 4155, Schlußkurs bei 4136. Gemein ist den drei Aktienindizes: In den letzten vier Wochen haben sich die Marktpreise nicht von der Stelle bewegt.

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Abbildung 4: Preisverlauf des S&P 500, 1 Kerze = 1 Woche

Beim S&P 500 ist die Korrektur der Abgaben des Jahres 2022 kraftlos ausgelaufen. Die Nasdaq weist noch einen intakten Aufwärtstrend auf. Dieser wird allerdings von nur wenigen Werten getragen. Die Outperformance europäischer Dividendentitel ist beendet.

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Abbildung 4: Intradeaypreisverlauf des Eurostoxx50 (1 Monat)

Wechselt man von einem Wochenchart zu einem Intraday-Chart, zeigt sich in Europa ein typisches Preismuster eines Abwärtstrends.

Die Notierungen haben die Handelsspanne 4.375 bis 4.420 zur Preisunterseite verlassen. Es bildete sich eine Dreiecksformation aus, die am Freitag zur Oberseite aufgelöst wurde.

Die Preisabgaben wurden von einer Vielzahl negativer Meldungen getragen ( US-Bankenkrise, zurückgehende Einzelhandelsumsätze, Manifestation von Zweitrundeneffekten, Gewinnwarnung von Maersk, der größten Reederei Europas, usw. ). Die Erleichterungsrallye am Freitag ist technischer Natur. Anlässe lassen sich allenfalls konstruieren: Bessere Arbeitsmarktdaten aus den USA, Habeck will Strompreise für industrielle Abnehmer subventionieren. Starke, technisch begründete Preisschübe sind typisches Kennzeichen eines Bearmarkets.

Spielwiese Government-Shutdown

Im Juni wird die US-Treasury absehbar zahlungsunfähig. Die USA können dann ihre Zahlungsverpflichtungen gegenüber Gläubigern und Beschäftigten nicht mehr erfüllen. Ausgerechnet unmittelbar vor der Ferienzeit müssen die Staatsbediensteten dann auf unbestimmte Zeit von ihren Ersparnissen leben. Erst wenn das republikanisch geführte Repräsentantenhaus einer Aufstockung der Schuldengrenze zustimmt, können die Staatsbediensteten wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren.

Bisher ist dieses absehbare Ereignis nicht preisrelavant. Doch: Die Vorbereitungen laufen.

Der Barrons untersucht in der Ausgabe vom 1. Mai die Abhängigkeiten der Kompromissbereitschaft der republikanischen Abgeordneten vom Ausmaß eines Preisrutsches an der Wall-Street. 2011 führte der Government-Shutdown zu einem Volatilitäts-Spike. Die Aktienpreise gingen auf Index­ebene um 19 Prozent zurück. Bezogen auf den S&P 500 wäre das aktuell ein Abschlag von 830 Punkten (Zielbereich: 3.300), gleichbedeutend mit einem erneuten Test der Markt-Tiefstände des Jahres 2022. Es ist selten, dass eine seriöse Börsenzeitschrift ihre Leser zu einem Verkauf von Assets auffordert. 2023 lautet die Empfehlung, Bestände im Russell 2000 und S&P 500 zu veräußern, der Nasdaq aber die Treue zu halten.

Die Logik der Redakteure ist einfach: Der Wahlkampf um das Präsidentenamt hat längst begonnen. Der Government-Shutdown ist für die Demokraten eine tolle Gelegenheit, die Inkompetenz der oppositionellen Mehrheitsfraktion der Republikaner im Repräsentantenhaus öffentlich zu machen. In der Öffentlichkeit muss man zunächst den Anschein aufrechterhalten, dass man alles tut, um die Katastrophe abzuwenden. Das macht Präsident Biden gerade, indem er Keven Mc Carty, den angezählten und zahnlosen Mehrheitsführer der Republikaner, zu sinnlosen Gesprächen ins Weisse Haus einlädt. Hauchdünne Mehrheiten begünstigen radikale Kräfte. Es ist absehbar, dass diese ein weiteres Mal öffentlichkeitswirksam ihre Bühne genießen.

Die an der Nasdaq gelisteten, preisrelevanten Titel sind kaum vom Shutdown betroffen, so der Barron. Dabei unterschlägt die Redaktion, dass die großen Technologiewerte längst den S&P 500 dominieren.

Folgt man dieser Logik, dann ist ein Preisrutsch am Aktienmarkt unabdingbar für eine Lösung des politischen Ränkespiels. Der volumenarme Sommerhandel bietet ein ideales Umfeld für einen dynamischen Sell-Off.

Niemand glaubt heute an einen nachhaltigen Preisrutsch. Die Konsensmeinung geht von einem kurzen Abverkauf aus, gefolgt von einer dynamischen Rallye. Was aber, wenn die Notierungen tatsächlich die Tiefstände des Jahres 2022 unterschreiten?

In diesem Fall wäre die kraftlose Erholungsphase der letzten Monate eine Korrektur im Bearmarket. Die aktuelle Bankenkrise weckt bereits genügend Erinnerungen an 2008. Die anhaltende Inversion der US-Zinsstrukturkurve liefert ein weiteres passendes Puzzleteil. Das Beste: Die regierenden Demokraten könnten die Republikaner für das Schlamassel verantwortlich machen und im Wahlkampf mit ihrer Middle of the Road-Finanz- und Wirtschaftspolitik punkten.

Fazit

Die Aktienmärkte erweisen sich im Jahre 2023 einmal mehr als »Tricky«. Das bevorzugte Sommerszenario eines Seitwärtsmarktes steht auf einem schwankendem Fundament. Die Entfaltung eines weiteren Abwärtsimpulses im übergeordneten Trend ist nicht unwahrscheinlich.

An den Rentenmärkten ist die Situation klarer. Sowohl in den USA als auch in Europa ist die Zinswende eingeleitet. Die Preise für Staatsanleihen profitieren von den Unwägbarkeiten des Aktienmarkts. Das Risiko weiter steigender Marktzinsen ist überschaubar. Die Chancen auf stagnierende oder gar fallende Renditen überwiegen. Der Fokus für den entspannten Sommerhandel liegt klar auf der Rentenseite.

Ressourcen

  • A Stock Market Plunge Would Solve the Debt-Ceiling Standoff, Barrons, 1.5.2023, p. 5