Die Großen fressen die Kleinen

Die Dominanz weniger Technologieunternehmen in den USA wird zu einem Problem. Die Marktkapitalisierung von Apple wächst inzwischen auf Kosten des amerikanischen Mittelstands. Außerdem: Zimbabwe lehnt sich gegen den Kohlenstoff-Kolonialismus auf und besteuert Aufforstungen wie Luxusgüter.

Stuttgart, 20. Mai 2023.

Zu Beginn ein Nachtrag zur AI-Ausgabe der Vorwoche. OpenAI ermöglicht inzwischen die Nutzung von ChatGPT als Suchmaschine. Seit drei Monaten unterstützt der Roboter die Microsoft-Suchmaschine Bing bei der Suche. Nun interpretiert ChatGPT die Suchergebnisse auf Wunsch im Kontext des Nutzers und bereitet sie entsprechend den Anweisungen auf. Das war in der Vorwoche noch als Zukunftsszenario eingestuft. Bei allem Hype: So geht Revolution!

Dies bilden auch die Kapitalmärkte ab. Growth is Back.

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Abbildung 1: S&P 500(blau) S&P 500 Growth(rot) und S&P 500 Value(türkis)

Die alten Muster sind zurück. Die großen US-Technologieunternehmen dominieren den S&P 500. Dort lenken Zuflüsse passiven Kapitals Kapital in die hochkapitalisierten Titel. Im Ergebnis werden die Giganten immer gigantischer, egal ob die AI-Phantasie gerechtfertigt ist oder nicht.

Wer also groß ist, bekommt automatisch AI-Vorschusslorbeeren. Das gilt aktuell für Apple. Dessen Marktkapitalisierung übersteigt die aller Unternehmen des kanadischen Aktienmarkts bzw. der im Russell 2000 enthaltenen Firmen zusammen.

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Abbildung 2: Die Dominanz von Apple – ein Schelm, wer hierin ein Problem sieht

Die Abb. 2 zeigt, dass Apple, obwohl kein Growth Werte (mehr) und auch kein AI-Voreiter, inzwischen auf Kosten der Bewertung von Corporate America wächst. Deren Marktkapitalisierung ist auf Jahressicht um eine Billion US-Dollar gefallen, die von Apple gleich geblieben. Der Russell 2000 und die Apple-Aktie haben nun erstmals eine negative Korrelation ausgebildet.

Und nun stellen wir uns vor, Apple steigt sichtbar vehement in das AI-Geschäft ein …

Charttechnischer Ausbruch oder Bullenfalle?

Der Preisverlauf des EuroStoxx 50 ist spannend. Pünktlich zum Verfall der Optionen im Mai erklimmt der Index das Jahreshoch.

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Abbildung 3: EuroStoxx 50 – Jahreshoch zum Optionsverfall

Im März bildete der Index ein klassisches Doppeltop aus, holte einige Wochen »Luft«, um dann das bisherige Hoch aus dem Weg zu räumen. Nimmt man die Saisonalität als Maßstab, spricht einiges für eine Wiederholung dieses Musters.

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Abbildung 4: EuroStoxx 50 – Saisonalität begünstigt Doppeltop-Prognose

Verbreitete Skepsis stützt die Aktienmärkte

Gefährlich sind unerwartete Preisentwicklungen. Dann sind die Marktteilnehmer gezwungen, spekulative Wetten mit Verlust zu beenden, oft um jeden Preis.

Mit Optionen kann man sich bekanntlich vor unliebsamen Marktentwicklungen schützen. Wenn das Bedürfnis nach Absicherungen hoch ist, steigt die Nachfrage nach Put-Optionen und entsprechend auch deren Preis.

Üblicherweise kosten Call- und Put-Optionen für Strikes am aktuellen Marktpreis eines Underlyings das Gleiche. Je größer die Skepsis, desto größer der Preisabstand.

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Abbildung 5: Hochpreisige Put-Optionen als Indikator für die Skepsis der Investoren

Aktuell kosten Puts 35 Prozent mehr als Calls. Das ist ein Aufschlag von 15 % gegenüber dem Mittelwert und zeigt, dass sich sowohl Spekulanten als auch Langfristinvestoren auf sinkende Assetpreise vorbereitet haben.

Das Überraschungspotenziel liegt aktuell also klar auf der Preisoberseite. Das ist das Hauptargument gegen einen starken Preisverfall im Zuge des absehbaren Government-Shutdowns ab Juni.

Auf der anderen Seite stehen die bekannten Argumente, die einer Rallye entgegen stehen: Hohe Marktzinsen triggern den Abfluß von Kundeneinlagen bei Banken, sie verteuern die Refinanzierung und stehen Investitionen im Wege. Die Arbeitslöhne steigen überproportional, was die Ausschüttungen an Investoren begrenzt. Die Nachfrage nach langlebigen Konsumgütern geht wegen stark gestiegener Preise zurück. Außerhalb des AI-Hypes sind vielfach Moll-Töne zu vernehmen. Viele Vorlaufindikatoren deuten auf wenig Zuversicht in den Führungsetagen der Unternehmen hin.

Alles in allem: Chancen und Risiken sind aktuell gut ausbalanciert.

Simbabwe erpresst Kohlendioxid-Emittenten

Dem Handel mit Kohlenstoff-Zertifikaten wird eine glänzende Zukunft vorausgesagt. In dem Maße, in dem sich die Welt zu einer CO2-freien Lebensweise bekennt, steigt der Bedarf, unvermeidliche Emissionen zu kompensieren. Dazu werden aktuell hauptsächlich natürliche Kohlenstoffsenken angeboten. Waldprojekte in Entwicklungsländern beispielsweise.

Westeuropäische Fluggäste können ihre Emissionen (und ihr schlechtes Gewissen) für Geschäfts- und Urlaubsreisen mit einem Aufschlag von 10 Prozent auf den Flugpreis kompensieren. Unternehmen können sich über einen zu entrichtenden Obolus Kohlenstoffneutralität kaufen.

Das ist effizient und ökonomisch sinnvoll, behaupten die Protagonisten und erhalten sogleich Beifall von liberalen und wirtschaftsfreudlichen Politikern. Im Grunde ist das aber nichts weniger als die moderne Form von Kolonialismus.

Warum sonst ist der weitgehend rechtslose afrikanische Staat die Nummer 12 unter den globalen CO2-Abscheidern? 2022 wurden dort gemäß Bloomberg Bäume für 4,2 Millionen CO2-Zertifikate gepflanzt. Die Kosten pro kalkulatorisch abgeschiedenem CO2 waren offenbar konkurrenzlos günstig.

Damit ist nun Schluß. In der vergangenen Woche verfügte Simbabwe, dass ausländische Investments in kohlenstoffabscheidende Aufforstungen künftig mit einer Steuer von 50 Prozent belegt werden.

In Europa wird die Anzahl der verfügbaren CO2-Zertifikate 2023 um 90 Mio. gesenkt. Gleichzeitig wird es deutlich teurer, die Emissionen im Ausland zu kompensieren. Last not Least gibt es keine Planungssicherheit für Emissionen, die über die im europäischen Zertifikatehandel abgebildeten Emissionen hinausgehen. Besonders »schlaue« Unternehmen, wie Gucci, Volkswagen oder Bayer, die maßgeblich auf Zimbabwe gesetzt haben, dürfen sich nun erneut mit der Ökonomie ihrer kohlenstofffreisetzenden Prozesse befassen.