Deutschland befindet sich in einer technischen Rezession, in den USA wird in einem Kraftakt ein Default vermieden. Dennoch notieren die Aktienindizes nahe Allzeithöchstständen. All dies passiert unmittelbar vor dem Beginn der saisonal schwachen Börsenperiode.
Stuttgart, 3. Juni 2023.
Historisch ist nicht die Einigung auf die Ausweitung der Schuldenobergrenze in den USA. Historisch ist die überparteiliche Zustimmung zu dem Kompromiss. Nach Jahren erbitterter Grabenkämpfe, von denen die Extremisten in den Parteien profitierten, knüpft der Parlamentatismus in den USA an die 1970er und 1980er an, wo es abseits des Wahlkampfes üblich war, dass sich die Fraktionen in den Parlamentskammern gemeinsam der Verantwortung für das Land stellten. In diesem Sinne hat Joe Biden nun tatsächlich geliefert und erste Gräben zugeschüttet.
Das wurde von den Kapitalmärkten zum Wochenende gebührend gefeiert.
Im Ergebnis gehört die Outperformance europäischer Blue-Chips fürs Erste der Vergangenheit an. Charttechnisch haben der S&P 500 und die US-MidCaps im Russell 2000 ein Kaufsignal generiert. Zeitgleich sank die Volatilität unter 15 Prozent. Spekulanten kaufen bereits seit Mitte Mai mehrheitlich Call-Optionen.
Im Februar leitete dies eine größere Preiskorrektur am US-Aktienmarkt ein.
In Europa handeln die Blue-Chip-Indizes weiterhin in Seitwärtsformationen. Einzig die Korrelation zum US-Markt katapultierte die Aktienpreise in Europa zuletzt an die obere Trendbegrenzung.
Uniper ein Meme-Stock?
Im Frühjahr/Sommer 2020 trieben Retail-Spekulanten die Notierungen von »ausgebombten« Aktien wie Gamestop und Bed Bath & Beyond in ungeahnte Höhen. Wenige profitierten, die Meisten hatten wohl kaum mehr als einen zeitweiligen Nervenkitzel. Bei der verstaatlichten Uniper ist aktuell ähnliches zu beobachten. Unter recht hohen Volumina fährt die Aktie Achterbahn. Intradayschwankungen von 20 Prozent waren in der vergangenen Woche normal.
Theoretisch kann die Aktie vor einer Neubewertung stehen. Schließlich hat das Management ausgeschlossen, dass weitere Kapitalerhöhungen zur Deckung operativer Verluste nötig sind. Statt dessen will man die Staatsbeteiligung zurückfahren.
Das hat die TUI bereits hinter sich: Zur Rückführung stiller Staatsbeteiligungen sammelte die Gesellschaft in drei Kapitalerhöhungen Geld über den Verkauf neuer Aktien ein.
Der Aktienpreis konnte sich von der Verwässerung des Werts bislang nicht erholen. Im Gegenteil: Unter hohem Volumen handelt die Aktie trotz Tourismus-Boom aktuell auf einem historischem Preistief. Die Abb. 4 zeigt auch bei der TUI temporäre spekulative Preistreibereien. Diese waren jedoch nicht von extremen Volumina begleitet. Das aktuell hohe Handelsvolumen deutet eher einen bevorstehenden nochmaligen Ausverkauf des Titels an, als den Beginn einer fulminanten Turnaround-Story.
Im Gegensatz zur TUI ist Uniper systemrelvant. Mit der über die Staatsbeteiligung geerbten Bonität könnte der Wert ein bislang verkannter Gewinner der Energiewende in Deutschland werden. Vor der Zeitenwende handelte der Wert bei 25 €. Im Rahmen der Verstaatlichung wurden neue Aktien zu 1,70 € ausgegeben. Nur ein verschwindend geringer Anteil der Aktien ist öffentlich handelbar: Die staatliche Beteiligungsgesellschaft hält 98,56 % der Geschäftsanteile. Das macht den Wert zu einem idealen Spekulationskandidaten, ein bundesdeutsches Äquivalent zu den Meme-Stocks des Jahres 2020.
Sommerthema Liquidität?
Die folgende Graphik wurde in der vergangenen Woche weitläufig gestreut.
Zur Verzögerung eines Zahlungsausfalls zog das US-Finanzministerium alle Register. In der nächsten Woche wäre die USA zahlungsunfähig geworden. Konsequenz: Das Schatzamt wird in den nächsten Wochen in ungewöhnlich großem Umfang Staatstitel emittieren.
In der Vergangenheit nagte dies an den Preisen am Aktienmarkt:
Da das Thema AI
ausreichend bepreist wurde und es sommerbedingt kaum Unternehmensmeldungen gibt, könnte
das seit längerem vorbereitete Oberthema nun preisrelevant werden.
Unklar ist, ob dies (nur) weiteren Preisavancen im Wege steht oder global zu signifikanten Preisrückgängen führt.
Für die erste Option spricht die Erholung der Kaufkraft in Europa. Gemäß der EZB stabilisiert sich die Konsumentennachfrage gerade. Die hohen Lohnabschlüsse sorgen zwar für Zweitrundeneffekte an der Inflationsfront. Sie stabilisieren auf der anderen Seite aber die Nachfragesituation und stützen die Konjunktur.
Die Graphik ist dem lesenwerten Chartbook von Adam Tooze entnommen, das die verschiedenen Systemantworten auf den Inflationsprozess in Europa und den USA ausführlich darstellt.
Konsequenzen für Handelspositionen
Wikipedia schreibt: Die Lenzing-Gruppe ist ein weltweit agierendes Unternehmen, das aus dem Rohstoff Holz Fasern herstellt. Diese Fasern sind Ausgangsmaterial für eine Vielzahl von Textil- und Vliesstoff-Anwendungen, kommen aber auch in technischen Anwendungen sowie in Schutz- und Arbeitskleidung zum Einsatz.
Als energieintensives Unternehmen ist Lenzing stark von den gestiegenen Gaspreisen betroffen. Konsequenz: Das Unternehmen weist für 2022 Verluste aus. Der Aktienpreis hat sich folgerichtig seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine halbiert. Das Unternehmen ist dennoch im Zellulosebereich ein globaler Innovationsführer. Lenzing ist am Finanzmarkt ein Turnaround-Kandidat.
Ein rascher Preisanstieg der Aktie ist wenig wahrscheinlich. Das Unternehmen ist aktuell keinesfalls überbewertet. Deshalb wurde am 17. März eine Stillhalterposition eröffnet. Bei einem Marktpreis der Aktie von 65 € wurde eine Put-Option mit einem Strike bei 56 € zu 2 € geschrieben.
Seitdem ist der Preis der Aktie kontinuierlich bis 55 € gesunken.
Dies ist ein Preview zur Stillhalter-Handelsstrategie, die noch im Juni veröffentlicht wird.
Der Preis der veräußerten Option hat sich zwischenzeitlich verdoppelt. Trotz des scharfen Preisrückgangs der Aktie ist die Stillhalterposition aktuell profitabel, hat das Ertragsziel aber nicht erreicht.
Angesichts der kurzen Restlaufzeit und der geringen Preisdifferenz des Basiswerts zum Ausübungspreis der Option macht es Sinn, die Option mit einem kleinen Ertrag zu schließen und wiederum mit einem Abstand von 8 € zum Marktpreis mit drei Monaten Laufzeit neu zu eröffnen.