Toll: Die Zinsen steigen!

Ibiza-Party am europäischen Aktienmarkt. Die Zinsen steigen munter weiter, Aktien sind gefragt, wie selten. Das Ergebnis: Ein charttechnisches Kaufsignal. Davon profitiert die Stillhalterstrategie.

Stuttgart, 29. Juli 2023.

Surprise: Am Mittwoch, Donnerstag und Freitag gaben die Notenbanken der USA, Europas und Japans Updates ihrer Geldpolitik bekannt. Es gab keine Überraschungen. FED und EZB erhöhten die Leitzinsen und die BoJ blieb bei ihrer Nullzinspolitik, Die Reaktion des europäischen Aktienmarkts war prägnant.

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Abbildung 1: Preisentwicklung des EuroStoxx50 Index mit Volatilität (blau) und Handelsvolumen des futures

Trotz Sommerhandel gelang es, unter hohem Volumen einen Ausbruch aus der Tradingrange seit Mai zu orchestrieren. Zum Wochenschluß wurde dieses Handelssignal mit einem Handelsschluß auf Tageshöchstkurs bestätigt.

Ist dies der Beginn einer profunden Sommerrallye oder eine weitere Bullenfalle?

Anders ausgedrückt: Muss die neutrale bis skeptische Haltung zum Aktienmarkt angesichts der entfachten Dynamik zur Preisoberseite aufgegeben werden?

Die unmittelbare Vorgeschichte des Handelssignals ist aufschlußreich. Am 6. Juli sank der Index bei unterdurchschnittlichem Volumen (aber mit steigender Volatilität) auf 4.200. Am Folgetag stabilisierten sich die Preise unter hohem Volumen (Pfeil in der Abb. 1). Mit steigendem Volumen durchmaß der Index danach rasch die gesamte Tradingrange. Im Folgenden handelte der Eurostoxx-Index oberhalb der oberen Grenze der Tradingrange bis Anfang Juni. Der Ausbruch aus der ausgeweiteten Tradingrange wurde quasi durch den Ausbruch aus der alten Tradingrange vorbereitet. Charttechnisch ist dies ein sauberes Kaufsignal, das allerdings zur Unzeit generiert wird.

Dax mit neuem Allzeithoch

Zeitgleich zum Kaufsignal des EuroStoxx markierte der heimische DAX ein neues Allzeithoch. Deutsche Unternehmen waren noch nie so wertvoll, wie aktuell. Vorher war bekannt geworden, dass die deutsche Wirtschaft im letzten Quartal ein Nullwachstum hingelegt hatte, nach zwei Quartalen mit rückläufigem Wachstum. Spontan fragte sich Hieronymus , was die verbliebenen Marktteilnehmer wohl geraucht haben, daraus eine derartige Preisreaktion zu zaubern.

EZB-Bilanz schrumpft

Im Vorfeld des Zinsentscheids veröffentlichte die EZB ein Update ihrer QE-Anleihenbestände. Allein in der abgelaufenen Woche wurden Anleihen im Gegenwert von 18,6 Mrd. € fällig. Diese liefen aus und wurden nicht in der Bilanz ersetzt. Die Bilanzsumme beträgt immer noch 7,188 Trillionen Euro, mehr als die Hälfte des Bruttosozialprodukts der Eurozone. Der Gegenwert der Bilanzsumme kursiert als Liquidität im Gemeinsamen Markt. Dies ist offenbar immer noch ausreichend.

Die Volkwirtschaften verkraften nicht nur die Abschreibung der gestrandeten Assets in Russland, die Zusatzaufwendungen zur Finanzierung der Verteidigung der Ukraine und derzeit wenig produktive Investments in den Klimaschutz. Auch die schnellste und umfassendste Periode steigender Leitzinsen vermag die Konjunktur nicht auszubremsen.

Zinsbelastungen der Unternehmen

Ein Grund für die erstaunliche Widerstandskraft ist die außergewöhnlich lange Phase negativer Marktzinsen. Unternehmen nutzten dies, um sich langfristig zu verschulden. Trotz steigender Marktzinsen sinkt die durchschnittliche Zinsbelastung der Unternehmen!

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Abbildung 2: Entwicklung der Zinsaufwendungen von US-Unternehmen (als Anteil des Nachsteuergewinns)

Ein genauer Blick in die Abb. 2 zeigt auch in der Vergangenheit ähnlich verzögerte Reaktionen. Auch 2007 sank die Zinsbelastung der Unternehmen parallel zu den Zinsanhebungen. Erst als das Zinsplateau erreicht war, explodierten die Zinsbelastungen (und triggerten eine Rezession). Auch bis 1996 sank die Zinsbelastung mit steigenden Leitzinsen. Als dann Zinserhöhungen ausgesetzt wurden, genügten wenige Zinsschritte um die Finanzierungskonditionen dramatisch zu verschlechtern und die Dot.Com-Blase zu entladen.

Die Entwicklung der Zinsaufwendungen ist eine nichtlineare Funktion. Die Dynamik der Zinsbelastungsentwicklung im Vorfeld der letzten beiden großen Marktkorrekturen (2000 + 2007) zeigt eine tickende Zeitbombe an!

Wenn Unternehmen in einem inflationären Umfeld ihre Preismacht erfolgreich durchsetzen und gleichzeitig auf Kreditkonditionen aus der Nullzinsphase zuükgreifen können, muss die Marktkapitalisierung steigen. Wie Nachhaltig diese Anpassung der Bewertung ist, sei dahingestellt.

Im Ergebnis sind Aktien so teuer, wie zuletzt 2008 (und davor 2001). Anleihen sind demgegenüber spot-billig.

Wegen der stark gestiegenen Leitzinsen in allen Industrieländern, außer Japan, ist eine Korrektur der Marktwerte von Aktien nur eine Frage der Zeit. Dies ist weiterhin das stärkste Argument gegen weiter steigende Aktienpreise.

Das charttechnische Kaufsignal beim EuroStoxx Index hat taktischen Charakter. Es könnte als Sommerrallye bis in den Herbst weitere Akteure in den Aktienmarkt ziehen.

Schaut man sich die Verteilung der Preisveränderungen am Aktienmarkt im August seit 1990 an, dann fallen neben großen Marktkorrekturen (-13,8 % in 2022, -10 % in 1997, -14,4 % in 1998 und -9,2 % in 2015 ) auch Jahre mit substanziellen Sommerrallyes ins Auge: +6,9 % in 1993, 4,9 % in 2012 und 5,2 % in 2009. Die Durchschnittsperformance im August beträgt -0,8 %.

Stillhalterstrategie profitiert

In der vergangenen Woche konnten vier Stillhalterpositionen vorzeitig geschlossen werden. Die Sociecte-Generale-Position wurde mit einem Ertrag von 14,8 % pa, der Fresenius-Put mit einem Ertrag von 16,2 % planmäßig beendet. Die TUI und Vonovia-Stillhalter erlösten selbst im aktuellen Marktumfeld noch Erträge oberhalb von 30 Prozent, jeweils gemessen am Kapitalbedarf einer entsprechenden Aktienposition. Die hohen Erträge sind Ergebnis der deutlich verkürzten Haltedauer. Alle Positionen wurden etwa zur Hälfte der planmäßigen Anlagedauer geschlossen.

Im Ergebnis verbleiben drei Positionen mit einer Fälligkeit im August: Salzgitter, Sims und die bereits mehrfach besprochene Lenzing.

Seit März hat der Handelsansatz eine Rendite von 20 % bezogen auf die benötigte Margin erwirtschaftet.

Wie in der letzten Woche angekündigt, sind wir nur gemäßigt offensiv im Sommerhandel unterwegs. Es ist geplant, eine Short-Call-Position mit der Commerzbank als Basiswert zu eröffnen. Bei der Vonovia gefällt uns das Chance-Risiko-Profil. Hier wollen wir einen Put und zusätzlich einen Call eröffnen. Wegen der aktuell niedrigen Volatilität erweitern wir die Laufzeiten der eröffneten Positionen. Ferner stellen wir die Orders zu uns attraktiv erscheinenden Konditionen in den Markt und warten geduldig, dass jemand zugreift.


Ressourcen

  • Syz Private Banking, Charts der Woche