Sommerkorrektur oder Trendwechsel?

Die Herabstufung der Bonität der USA durch Fitch hat keine unmittelbaren Preisreaktionen bei Anleihen oder Renten getriggert. Es gibt aber Hinweise auf eine Versteilerung der Zinsstrukturkurven. Das wäre ein Gamechanger für festverzinste Assets und könnte auch die hohen Aktienpreise nachhaltig in Frage stellen.

Stuttgart, 5. August 2023.

Der vergangene Wochenbericht triefte förmlich vor Sarkasmus. Das die Marktpreise unmittelbar reagieren würden, war allerdings unerwartet. Mitten im Sommerloch kamen Quartalsberichte offenbar wie gerufen. Schlechte Q2-Daten wurden unmittelbar abverkauft, scheinbar positive Zahlenwerke dienten als willkommener Anlass für Gweinnmitnahmen. Im Ergebnis hat sich in den USA das technische Bild deutlich verändert: Noch vor einer Woche handelten mehr als 70 Prozent aller S&P 500-Titel oberhalb ihres gleitenden Durchschnitts (20 Tage), hatten also Aufwärtstrends ausgebildet. Dieser Wert ist auf 42 % zurückgegangen. Damit ist die überkaufte Markttechnnik ein Stückweit abgebaut. Es bedarf allerdings noch einer weiteren Korrektur um acht Prozent, bis der S&P 500_Index selbst die 200-Tagesline erreicht. Solange verbleibt der US-Aktienmarkt formal im Aufwärtstrend und Short-Positionen sind taktischer Natur.
Nicht wenige erwarten im Verlauf der kommenden drei Wochen zumindest ein Anhandeln dieser wichtigen charttechnischen Handelsmarke.

Der S&P 500 handelt aktuell bei 4520 Punkten. Der SMA(200) verläuft bei 4180. Es ist wahrscheinlich, dass der Index bis Ende September dieses Preisniveau anhandelt. Das entspricht einem Preisrutsch von etwa 8 Prozent.

Die Marktpreise in Europa (Stoxx50) sind in der Berichtswoche um mehr als 3 Prozent zurück gegangen, gegenüber 2,3 Prozent beim S&P 500. Der Eurostoxx (Marktpreis 4330) hat gerade noch 100 Punkte »Platz«, bis mit dem Unterschreiten der unteren Begrenzung der Tradingrange ein Verkaufssignal generiert wird. (Siehe Abb. 1 im letzten Wochenbericht.) Der EuroStoxx hätte in diesem Fall »Platz« bis etwa 3900 Punkten. Das aktuelle Preisrisiko beträgt also zehn Prozent.

Mit der Ausbildung eines Preistops in den USA wird die übliche Saisonalität eines Vorwahljahres in den USA zum wahrscheinlichsten Verlaufspfad am Aktienmarkt. Abseits der aktuellen Verkaufsbereitschaft ist strategisch gepflegte Langeweile angesagt!

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Abbildung 1: Preisentwicklung des S&P 500 in Vorwahljahren (orange) und 2023

Wenig Preispotenzial für das Restjahr

Unabhängig hiervon ist der historische Ertrag des zweiten Halbjahres nach einer überdurchschnittlichen Preisentwicklung in den ersten sieben Monaten ( über 10 % ) regelmäßig eher gering. In den Jahren 1964, 67, 75, 76, 83, 86, 88, 89 und 1997 überstieg die Jahresrendite die der ersten sieben Monate um 1 - 4 %. 2021, 19, 17, 13, 03, 1998, 95, 85 und 89 betrug die Rendite des zweiten Halbjahrs allerdings 8 - 12 %. Die Jahre mit der schwachen Preisentwicklung im zweiten Halbjahr liegen mehrheitlich in der letzten Hochzinsphase.

Interessant ist auch: Nach einem überdurchschnittlichen ersten Halbjahr ging der S&P 500 nur 1929 mit einem Abschlag von 12 % aus dem Jahr. Selbst 1987 ( Jan - Jul: +31 % ) schloss der US-Markt mit einem Jahresertrag von zwei Prozent.

Dies erklärt die entspannte Grundhaltung des Marktes. Die jüngsten Abgaben werden als »typische Sommerkorrektur« interpretiert. Man möchte zu niedrigeren Kursen wieder einsteigen und hofft auf eine kräftige Jahresendrallye (wie in Abb. 1 angedeutet).

Überraschung bei Anleihen

In der Vorwoche beließ die japanische Notenbank den Leitzins bei -0.2 %. Sie gab aber einen Teil ihrer Kontrolle der Zinsstrukturkurve auf. Die Rendite von Staatsanleihen (bis 10 Jahre Laufzeit) darf nun auf ein Prozent klettern. Erst dann interveniert die Notenbank. Das hat globale Auswirkungen.

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Abbildung 2: Die inversen Zinsstrukturkurven lösen sich auf

Die Zinsstrukturkurven versteilern sich überall.

Was in Japan nach einer Normalisierung ausschaut ( und die lokale Ökonomie stützt ), hat im Rest der Welt negative Auswirkungen.

Bei einer Versteilerung der Zinsstrukturkurve steigen die Zinsen für Langläufer schneller als die kurzlaufender Anleihen. Das impliziert, dass die Nachfrage nach langlaufenden Krediten höher ist, als das Kapitalangebot. Deshalb wird eine steile Zinstrukturkurve regelmäßig mit einem wirtschaftlichen Aufschwung gleichgesetzt.

Was aber, wenn die Ursache für steigende Zinsen für langlaufende Anleihen die Konkurrenz zu Staatsanleihen ist?

In diesem Fall treiben wenig nachhaltige Staatsfinanzen die Kapitalmärkte in eine Zinsfalle. Zufällig verlor die USA in der letzten Woche ihr “AAA”-Rating bei der Ratingagentur Fitch. Fitch zeigt der Fiskalpolitik der Biden-Administration die Gelbe Karte.

Eine unmittelbare Marktreaktion wurde nicht beobachtet. Die Entwicklung der globalen Zinsstrukturkurven deutet aber eine strukturelle Anpassung des Kapitalmarktes an die neue Realität an. Das Thema Staatsfinanzen dürfte im Herbst die Schlagzeilen bestimmen und könnte – anstatt der Industriepolitik – den Wahlkampf prägen.

In Europa und der USA ist eine steilere Zinsstrukturkurve als zusätzlicher Krisenindikator zu werten. Nachdem in den letzten Monaten nach jeder Zinserhöhung Kurzläufer preiswerter wurden, sind nun die Langläufer an der Reihe. Das ist seine sehr effektive Methode, Liquidität abzuschöpfen. Man könnte es auch als Marktreaktion auf steigende Überschuldungsrisiken bezeichnen. Das ist definitiv ein potenzieller Treibsatz für eine größere Marktkorrektur.


Ressourcen

  • Syz Private Banking, Charts der Woche