Europa am Kulminationspunkt

Eine Kombination aus saisonaler Schwäche, Abwertung der Gemeinschaftswährung und zur Oberseite korrigierter Inflationserwartungen triggert Kapitalabflüsse Richtung USA. Sind das bereits die Vorboten des Herbstes?

Stuttgart, 19. August 2023.

In der Vorwoche notierten (europäische) Renten und Aktien inmitten kurzfristiger Trading-Ranges. Für Aktien erwartete Hieronymus einen Test der unteren Begrenzung der Tradingrange (4.200) und für Renten eine Fortsetzung des Renditeanstiegs. Beides trat ein.

Die markanteste Entwicklung der Berichtswoche ist aber die Abwertung des Euro!

Innerhalb der letzten fünf Handelstage ist die Gemeinschaftswährung (nachrichtenlos) gegenüber dem US-Dollar um einen Cent gesunken. Das könnte einen neuen Trend begründen. Dafür erweitern wir den Zeithorizont auf ein Jahr.

nothing
Abbildung 1: Preisentwicklung des Eurostoxx (blau) und des Währungspaares EUR/USD (weiss)

In der Abb. 1 ist der Gleichlauf der Notierungen des EuroStoxx und des Währungspaars EUR/USD gut erkennbar. Zwischendurch divergierten die beiden Kurven immer wieder. Aber auf Jahressicht ist die Korrelation eindeutig. Die Preisveränderungen am europäischen Aktienmarkt sind danach wesentlich Zuflüssen aus den USA zuzuschreiben. Dieser Trend schwächt sich immer weiter ab.

Das Top des Eurostoxx bei 4.500 Punkten folgte der bis dato maximalen Bewertung des Euro mit einer Verzögerung von 2 Wochen. In der jüngeren Vergangenheit leitete eine Schwäche des Euro stets eine Underperformance des EuroStoxx ein (siehe die in der Graphik platzierten Pfeile). Aktuell notieren Aktienindex und Währungspaar identisch zur jeweiligen Notierung am 7. Juli. Damals begann unmittelbar darauf in beiden Assets eine taktische Rallye-Phase.

Die Welt hat sich aber seitdem verändert! China steuert auf eine handfeste Wirtschaftskrise zu. Hiervon wäre Europa stärker betroffen, als die USA. Das nährt Zweifel an einer Wiederholung des Preismusters des Hochsommers.

Schwappt die Konjunkturschwäche Chinas auf Europa über?

Das prägnanteste Sommerthema ist die immer deutlichere Schwäche der Ökonomie Chinas. Die chinesische Notenbank (PBoC) senkte in der vergangenen Woche überraschend den Leitzins. Der Immobilienmarkt steht mit der jetzt auch offiziellen Insolvenz von Evergrande (beantragte in den USA Gläubigerschutz nach Chap. 11, das ist ein Konkurs light) erneut im Fadenkreuz. Eine der größten Schattenbanken des Landes, Zhongrong International Trust, stellte die Bedienung von Anleihen (national + international) vorerst ein. Die PBoC verkauft in großem Stil US-Staatsanleihen. Mit den Erlösen interveniert sie am Währungsmarkt. Trotzdem wertet der Yuan gegenüber dem US-Dollar weiter ab. Auf Jahressicht ist der Yuan gegenüber Euro und Dollar um 15 Prozent preiswerter geworden. Chinesische Waren sind entsprechend günstiger. China exportiert wieder Deflation!

Gegenüber dem Euro wertet der Yuan zuletzt nicht mehr ab. Im Gegenteil: Der Wechselkurs zum Yuan ist von 8,1 Euro pro 1 Yuan vor einem Monat auf nunmehr 7,95 Euro pro Yuan zurückgegangen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage,

  • ob internationale Investoren Geld aus dem europäischen Aktienmarkt abziehen und
  • ob die intensiven Handelsbeziehungen Europas mit China die Risikoprämien hierzulande in die Höhe treiben.

Aktuell passen die Preisrückgänge an den europäischen Aktienmärkten noch in die Rubrik »Sommerhandel«.
Sollte der Eurostoxx 50 in der kommenden Woche die Marke von 4200 Punkten unterschreiten, sind weitere Abgaben wahrscheinlich. Dann muss die Assetallokation angepasst werden.

Renten auf Renditeniveau des Frühjahrs

nothing
Abbildung 2: Renditeentwicklung deutscher Staatsanleihen(10 J)

Ein Blick auf die Preisentwicklung des Bund-Futures zeigt für die maßgeblichen Staatsanleihen der Eurozone eine massive charttechnische Unterstützung an. Je nachdem wie man zählt, hat der Future in den vergangenen 12 Monaten drei oder gar viermal auf dem aktuellen Preisniveau gedreht. Der Bruch der Markte von 130 würde vermutlich strategische Abgaben am Rentenmarkt triggern. Zuletzt korrelieren der Aktien- und der Anleihemarkt wieder stark. Dies dürfte deshalb einen Ausverkauf am Aktienmarkt begründen.

Solange die Rentenfutures die charttechnisch wichtige Marke nicht unterschreiten ist das übergeordnete Seitwärtsszenario intakt.

Fazit: Der volumenarme Sommerhandel war bisher unspektakulär. Die Markterwartungen für den weiteren Jahresverlauf sind allgemein negativ. Das stützt die Marktpreise. Falls sich die Euroschwäche fortsetzt, könnte hieraus eine »Story« für den Herbst entstehen, inklusive negativer Implikationen für die Preisentwicklung bei Aktien und Renten.

Erneute Wertverluste konservativer Assets

Seit dem Jahresbeginn ist die Rendite eines Anleihedepots mit sicheren US-Staatsanleihen inzwischen wieder negativ (-1,2 %). Sichere Geldanlagen steuern auf ein drittes Jahr ( 2021: -4,4%, 2022: -17,8%) mit Wertsenkungen zu. Bezieht man die Inflationsentwicklung mit ein, hat sich die Kaufkraft mündelsicher angelegter Vermögen in den vergangenen drei Jahren fast halbiert. Auch die Bewertungen des »sicheren Hafens« Immobilie sehen stark unter Druck. Die Werte konservativ angelegter Vermögenswerte schrumpfen nach Jahren einer »Asset-Preis-Inflation« absolut und nominal deutlich.

Dies erinnert an die Rahmenumstände des Jahres 2007, als aus einer ähnlichen Gemengelage heraus plötzlich eine handfeste Liquiditätskrise erwuchs.