Warten auf Godot

In den USA setzte sich zum Wochenschluß die Erkenntnis durch, dass Inflation nicht so schlimm sei, wenn Trump erstmal wieder Präsident ist. Das will gefeiert werden.
China hat es dagegen schwer. Die Proklamation guter Wachstumsraten und eine Bekenntnis zum Freihandel wird in Zweifel gezogen, Kapital massiv abgezogen. Spiele nicht mit den Schmuddelkindern, sang Degenhard einstmals. Der Zeitpunkt scheint nicht mehr weit, wo genau dies nötig sein wird.

Wochenbericht 3/24 Stuttgart, 20. Jan. 2024

Warten auf Trump

Zum Wochenschluß legten die US-Technologiebörse wie auch die Standardwerte quasi aus dem Nichts eine veritable Rallye aufs Parkett. S&P 500 und Nasdaq beendeten die Woche auf neuen AllTimeHigh’s. Anderswo (insbesondere in Europa) sorgten wieder aufkeimende Inflationsbefürchtungen für eine gedämpfte Stimmung und sinkende Marktpreise. In den USA keimt die Hoffnung auf eine »gute Inflation« im Bereich drei bis vier Prozent auf. Hinzu kommt in gewissen Kreisen die stetig wachsende Gewissheit einer zweiten Amtszeit Trump. Es genügt, wenn dieser vage andeutet, alle derzeitigen geopolitischen Konflikte mit starker Hand zum Vorteil der USA zu beenden, um alle Zweifel zu beseitigen. Das zugrundeleigende Dilemma ist im Beckett Klassiker »Warten auf Godot« bereits angelegt und sollte allen rechtsnationalen Protagonisten eine Warnung sein.

Baisse in Hongkong

Der Hongkong-Dollar ist fest an den US-Dollar gekoppelt. Die Hongkong Money Authority vollzieht die Geldpolitik der FED 1:1 nach, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen entsprechen somit denen in den USA. Trotzdem entkoppelt sich der Hang Seng immer mehr von den Preisregimen der Industrieländer.

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Abbildung 1: Der Verlauf des Hang Seng Index in den letzten drei Jahrzehnten
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Abbildung 2: Performance der Aktienindizes in den USA und Hongkong im Vergleich

Bis etwa 2018 war die Kursentwicklung zwar unterdurchschnittlich, der Verlauf der Marktpreise entsprach aber weitgehend dem in den USA und Europa. Die geringe Kursentwicklung in Hongkong war auch der höheren Dividendenrendite geschuldet. Mit dem Einsetzen der Corona-Epidemie entkoppelten sich die Marktpreise jedoch gänzlich. Die Regierungen der demokratischen Staaten stützten ihre Ökonomien mit viel Geld, China sperrte seine Bürger ein.

Die Konsequenz: Seit 2018 hat der Hang Seng die Hälfte seiner Marktkapitalisierung verloren.

Investment Opportunität oder Bullenfalle?

Bereits in den Jahresausblicken der Investmentbanken wurde das Thema China kontrovers diskutiert. Die aktuellen Preisrückgänge werden rückblickend mit

  • der stetigen Entkopplung des chinesischen vom US-Markt,
  • stetig sinkenden Wachstumsraten in China,
  • der dramatischen demographischen Entwicklung in Kombination mit absurd hohen Sparquoten (25 - 32 %) und
  • dem Platzen der Immobilienblase in Verbindung gebracht.

Nachdem chinesische Aktien 2023 entgegen dem allgemeinen Trend zweistellig preiswerter geworden sind, prognostizierten z.B. Goldman Sachs und JP Morgan für 2024 eine deutliche Outperformance chinesischer Aktien. In nicht allzu ferner Zukunft, so die Hoffnung der Analysten, wird die chinesische Parteiführung die Notenbank instruieren, die Kapitalmärkte mit Liquidität zu fluten und eine ökonomische Initialzündung zu orchestrieren.

Das passiert jedoch nicht. Statt dessen beschränkt die chinesische Finanzaufsicht die Bedienung von Rückgaben von Fondsanteilen durch Retailinvestoren. Jede temporäre »Erlaubnis«, den Rückgabewünschen zu entsprechen, triggert einen weiteren Preisrutsch. Retailinvestoren, die ihr Kapital in frei handelbare Finanzprodukte investierten, stehen genauso vor einem Scherbenhaufen, wie diejenigen, die für ihre Altersvorsorge auf Immobilien setzten.

Dabei moderiert die chinesische kommunistische Partei die Kapitalmärkte immer professioneller. Dies wird bei einem Vergleich der Performance des Hang Senk (in HKD) mit dem chinesischen BlueChipIndex CSI300 (in CHY) deutlich.

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Abbildung 3: Moderation des Preisverfalls von Aktien in China

Chinesische Retailinvestoren, die langfristig investiert sind, müssen seit 2019 »nur« eine Nullrendite verkraften. Internationales Kapital muss aufgrund der massiven Abwertung des Yuan fast die Hälfte des Werts abschreiben. Entsprechend massiv war der Kapitalabfluß im Jahr 2023.

Die Kombination der stark abgewerteten Landeswährung, sehr niedrigen Bewertungen von börsennotierten Unternehmen und einer massiven Unterinvestierung institutioneller Adressen ist die Basis für die optimistischen Prognosen in den Jahresausblicken der Investmentbanken.

Mittelfristig mag dies zutreffen. Kurzfristig ist ein Regimewechsel an den Finanzmärkten aufgrund geopolitischer Gegenwinde wenig wahrscheinlich. Im Gegenteil. Der Wahlausgang in Taiwan illustriert dies.

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Abbildung 4: Preisverfall des Hang Seng Index nach der Parlamentswahl in Taiwan

Bemerkenswert ist, dass der Verkaufsdruck an den chinesischen Aktienmärkten trotz einem ausdrücklichen Bekenntnis zum Freihandel durch den chinesischen Ministerpräsidenten bei einem Auftritt in Davos und einer scheinbaren Übererfüllung des Wachstumsziels der chinesischen Volkswirtschaft in der Handelswoche nicht nachließ.

Chin. Technologiewerte als Basiswerte für Stillhalter

Vergleicht man international operierende chinesische Blue-Chips mit ihren US-amerikanischen Konkurrenten, dann wird die absurde Bewertung der US-Titel deutlich.

Tencent beispielsweise ist auf Jahressicht ein Drittel preiswerter geworden. Das Unternehmen wies noch 2020 ein KGV von 40 auf. Aktuell wird Tencent mit einem KGV von 14 bewertet. In Hongkong existiert ein liquider Optionsmarkt. Die niederländische Prosus ist immer noch ein Tencent-Proxy. Auch hier existiert ein nutzbarer Optionsmarkt für den Aufbau einer Stillhalterposition.

Baidu ist ein weiterer Kandidat. Obwohl die Suchmaschine technologisch mit Google gleichauf ist und in China eine ähnliche Marktdominanz aufweist wird die Aktie immer preiswerter.

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Abbildung 5: Preisverlauf der Baidu-Aktie im Vergleich zu den US-Technologiewerten
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Abbildung 6: Baidu – vom überbewerteten Technologiemerktführer zum Underdog

Die Abb. 6 zeigt, wie sich die Marktstimmung insbesondere bei Baidu gedreht hat. Bis 2015 war der Wert chronisch überbewertet, dann mit Google gleichauf und seit 2018 bestimmen Molltöne das Bild. Dabei weist das Unternehmen deutlich höhere Wachstumsraten auf, als Alphabet. Zuletzt drückte die Spekulation den Aktienkurs, dass sich das chinesische Militär eines vielversprechenden KI-Modells bemächtigt hätte und das Baidu deshalb mit harten Sanktionen rechnen muss. Ungeachtet dieser Risiken rechtfertigt der Bewertungsabschlag mindestens ein minimales spekulatives mittelfristiges Engagement.

Neben australischen Bluechips (Fortesque + BHP) werden ausgewählte chinesische Bluechips ins Stillhalterdepot aufgenommen. Hieronymus setzt auf die Moderation des Aktienmarktes durch die KP-China und darauf, dass der Yuan genügend abgewertet ist.