Wie an einer Perlenschnur aufgereiht, erklimmen die Aktienmärkte jede Woche neue Höchststände, in dieser Woche fiel zusätzlich die 5.000er Marke beim S&P 500. Die Dynamik der Rallye ist gering. Möglicherweise zog allein die runde Zahl die Notierungen magisch in immer höhere Sphären. Die Berichtssaison ebbt nun ab, ein idealer Zeitpunkt, Korrelationen in Frage zu stellen und die Würfel neu zu werfen.
Hypo Real Estate – zum Zweiten
Wer erinnert sich noch an die Eskapaden der Hypo Real Estate anno 2008?
Damals wurde die Bank durch Milliarden-Sicherheiten
des Staats gerettet. Die Bank hatte sich massiv mit verbriefen US-Immoilienderivaten (ABS, … ) verspekuliert und auf der
Suche nach hohen Renditen sämtliche Grundsätze der ordentlichen Buchhaltung über Board geworfen.
Die Bank wurde 2009 zur Deutschen Pfandbriefbank AG, die laut Wikipedia zu den ältesten existierenden Banken in
Deutschland gehört. Seit 2015 ist die Bank unter dem Kürzel PBB in Frankfurt gelistet und seit 2016 auch Bestandteil des SDAX.
Am Freitag meldet Reuters:
Deutsche Pfandbriefbank’s (PBB) shares continued their decline on Friday, dropping more than 3%, and its bonds remained under pressure amid concerns over its exposure to the U.S. commercial real estate market.
Das liest sich wie ein Déjà-vu. Hat das Management irgend etwas aus den Erfahrungen aus der Finanzkrise gelernt?
Fakt ist: Die Aktien sind seit Jahresbeginn etwa ein Viertel preiswerter geworden und Anleihenpreise kollabieren gerade. Eine 2027 fällige Anleihe ist innerhalb einer Woche von 70,4 % auf 46,7 % gefallen.
Etwas anderes erinnert an 2007. Am Donnerstag veröffentlichte das Management eine AdHoc-Meldung, wonach die Liquidität der Bank doppelt so hoch ist, wie gesetzlich gefordert, dass man jeden Stresstest bestehen würde. Gleichzeitig beschreibt man die gegenwärtige Situation am US-Immobilienmarkt als “die größte Immobilienkrise seit 2008.” Freitag gab die RAG-Holding bekannt, ihre Beteiligung von 4,5 auf 2,94% reduziert zu haben. Die RAG war eine Ankerinvestorin der neuen Hypo Real Estate.
Auch das passt leider in das Muster der Finanzkrise. Im Mai und Oktober 2007, also nachdem Bear Stearns im März 2007 vom JP-Morgan »gerettet« wurde, markierte der US-Aktienmarkt sein Jahres- und Zyklus-Top. Hohe Aktienpreise stehen nicht im Widerspruch zu massiven strukturellen Problemen.
Nach einer langen Phase der Leugnung der Marktbedingungen scheint der Handel mit Immobilen in den USA nun wieder statt zu finden. In der vergangenen Woche meldeten die Agenturen den Verkauf eines zu 80 Prozent belegten Bürokomplexes in Los Angeles (1640 Sepulveda Blvd.). Goldman Sachs hatte das Gebäude 2018 für 92 Mio. $ erworben. Die neuen Eigentümer (Harbor Associates und F&F Capital Group) zahlten mit 44,7 Mio $ etwa die Hälfte des Kaufpreises aus 2018. Mit einem ähnlichen Preisabschlag ging das Aon Center (ebenfalls Los Angeles) zu 148 Mio $ an neue Eigentümer, das war Abschlag von 46 % gegenüber dem Kaufpreis von 2014!
Das führt unweigerlich zu massiven Wertberichtigungen in diversen Immobilienportfolien und hat dramatische Auswirkungen auf den Verschuldungsgrad von Immobilienunternehmen. Der US-Immobilien Markt war längere Zeit quasi eingefroren war und es wurden kaum Transaktionen abgewickelt. Es gab keinen Grund die ausstehenden Kredite an die Realität anzupassen. Das passiert jetzt. Aber auch in anderen Segmenten des Kreditgeschäfts rumort es.
Die hohen Marktzinsen in den USA belasten den gesamten Kreditmarkt. Wohl auch deshalb setzt die FED trotz einer Wachstumsprognose von 2,6 % für 2024 auf mehrere Zinssenkungen. Höhere Inflationsraten für längere Zeit sind so aber kaum vermeidbar.
Und dennoch gelang es der US-Treasury in der vergangenen Woche, die rekordverdächtige Summe von von 25 Milliarden US-Dollar für US-Staatsanleihen mit einem Zinssatz von 4,36 % abzusetzen. Die Auktion war trotz ihres Umfangs 2,5-fach überzeichnet. Damit verschaffte sich der Markt eine Zusatzliquidität von 25 Mrd. $, die sogleich in den Aktienmarkt floss und die Marktpreise trieb.
USA: The Full Bull
Die Rallye in den USA (S&P 500 und Nasdaq) geht in die 16. Woche. In 14 zurückliegenden Wochen kletterten die US-Märkte auf Wochensicht, einmal verbuchten die Aktienmärkte einen moderaten Preisrückgang. Das ist die kontinuierlichste Börsenrallye der letzten 50 Jahre (seit März 1972).
In der vergangenen Woche hievte die Rallye den S&P 500-Index über die 5.000 Punkte Marke, der Nasdaq touchierte am Freitag erstmals 18.000 Punkte. Zur Orientierung: Die Nasdaq startete die Aufwärtsbewegung bei 14.400 Punkten, die Rallye im S&P 500 begann am 26. Oktober 2023 bei 4.200 Punkten. Damit hat der S&P 500 in kaum mehr als drei Monaten 20 % an Wert gewonnen.
Nur während der Dot.com-Blase vor 2000 war der Wertzuwachs auf noch weniger Werte verteilt. Damals war genau dies – wie heute – ein stets präsentes Thema. Final war es ein zentrales Element der Blasenbildung ab 1996. Aber auch hier wiederholt sich die Geschichte: Erst als die Story allen aus den Ohren herauskam und sie niemanden mehr interessierte, war die Rallye zu Ende.
Eine aufschlußreiche Einordnung des aktuellen Marktgeschehens veröffentlichte John Authers am Donnerstag via Bloomberg. Entfernt man den Technologiesektor aus dem S&P 500 und setzt dazu die Marktpreise des Technologiesektors in Beziehung, dann notiert der US-Markt auf dem Niveau des Jahres 2000, dem Höhepunkt der Dot.Com-Blase.
Der US-Aktienmarkt ist also genauso technologielastig, wie vor dem Preisrutsch 2001 – 2003. Falls die Märkte eine substanzielle Korrektur ausbilden würden, wären Blue-Chips aus den anderen Sektoren ausgeprägte Outperformer.
Diese Betrachtung kann man auch auf andere Märkte ausdehnen: Europa, Asien und China(!) wären in diesem Falle ebenfalls klare Kaufkandidaten, insbesondere wenn man die US-Technologiewerte shortet.
Der Reiz runder Zahlen
Die derzeitigen Preisaufschläge sind fundamental kaum begründbar. Marktpsychologie spielt hingegen eine große Rolle. Mit dem Überschreiten der 5.000 Punkte-Marke auf Wochenschlußkursbasis wurden vermutlich einige strategische Stop-Orders abgeräumt. Auf dem Weg dorthin wurden reihenweise baerische Positionen liquidiert. Als Konsequenz ist das Put-Call-Verhältnis mit 0,57 nun historisch niedrig. Es gibt vermutlich wenige, die nach einem derart langen Preisanstieg unbedingt weitere strategische Positionen aufbauen müssen. Die vielen offenen Calls stellen wegen des zunehmenden Zeitwertverfalls eine Last für die Rallye dar.
Im letzten Wochenbericht progostizierte
Dies ist eine Blaupause für den weiteren Preisverlauf des Gesamtindex nach dem Erreichen dieser runden Marke. Analog zu Meta hat sich nun der Gesamtmarkt in eine Patt-Situation manövriert.
- Nach 16 Wochen kontinuierlicher Preisaufschläge in Verbindung mit dem Ende der Berichtssaison ist die Nachfrageseite leergeräumt.
- Die lange Rallye hat aber auch die Angebotsseite leergefegt. Über 16 Wochen wurden sämtliche Versuche, sich gegen fallende Marktpreise abzusichern, mit Verlusten bestraft. Irgendwann geben auch hartnäckige Perma-Bären auf.
Derartige Pattsituationen sind prädestiniert für eine »Max-Pain« Marktphase. In solchen Marktphasen werden die »zittrigen Hände« aus dem Markt getrieben. Das geschieht durch kurze Ausflüge zu höheren Preisen und auch schnelle Abverkäufe inklusive der temporären Verletzung wichtiger charttechnischer Marken.
Die Aussage der beiden letzten Wochenberichte bleiben damit gültig: Diesseits und jenseits des Atlantiks stützen wenige Aktien die Indizes. Bestenfalls stagnieren die Indexnotierungen.
Hinzufügen müssen wir heute: Charttechnische Marken bieten sich für antizyklische Positionsaufbauten an, in fallende Notierungen werden long-Positionen aufgebaut, bei steigenden Notierungen wird der Markt geshortet. Hört sich einfach an, ist aber tricky.
Das Estx-Handelssystem wird auf dieses Szenario angepasst.