Prinzip Hoffnung

In Europa und Japan steigen die Marktpreise trotz stagnierenden oder sinkenden GDP’s nochmals auf Allzeit- bzw. Jahrtausendhöchststände. Das macht nichts, heisst es, die Märkte preisen gerade die AI-Ökonomie ein.
Passive Investments, genauer: die passive Geldanlage in US-Indizes, stellt die Mehrheit aller Geldanlagen. Vom Verhalten der Lemminge profitiert eine Handvoll Unternehmen. Wie dies die Struktur und Stabilität der Finanzmärkte verändert, wird kontrovers diskutiert.

Wochenbericht 7/24 Stuttgart, 17. Feb. 2024

Stagnation in Europa, Rezession in Japan – Hausse an den Kapitalmärkten

In der abgelaufenen Woche veröffentlichten das japanische, das deutsche und auch das europäische Statistikamt aktuelle ökonomische Kennzahlen. Das Ergebnis: Überall verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum, Deutschland könnte sogar wieder in eine Rezession rutschen, Japan ist mit einen Rückgang des GDP um 0.4% im letzten Quartal 2023 definitiv in einer technischen Rezession.

Und dennoch erklommen die Aktienindizes (im Gegensatz zu denen in den USA) neue Allzeit-Höchststände. Warum? In Europa ist es die Hoffnung auf sinkende Zinsen, schreiben viele. In Japan ist es genau umgekehrt. »Frau Watanabe« profitiert angesichts der Yen-Schwäche von Auslandsinvestments. Dies soll den japanischen Aktienmarkt beflügeln?

Und dann ist da noch die folgende, irritierende statistische Abnormalität:

nothing
Abbildung 1: Zweiwochenperformance seit 1928, heruntergebrochen auf Monatshälften

die vom saisonalen Verlauf der Volatilität bestätigt wird:

nothing
Abbildung 2: Saisonalität der Volatilität

Der Preisverlauf im Februar entspricht bisher dem normalen saisonalen Muster. Wenn dieses Muster hält, stehen mindestens zwei Handelswochen mit steigender Volatilität und sinkenden Marktpreisen ins Haus. Die starke Performance in der vergangenen Woche wäre dem kleinen Optionsverfall am Freitag geschuldet.

Das Jahr des Drachen

China feiert den Beginn des »Jahres des Drachen«. Zuletzt war 2012 ein »Jahr des Drachen«, davor 2000. Auch wenn das Symbol selbst für Stärke und Selbstbewußtsein steht, waren zumindest die letzen beiden »Jahre des Drachen« an den Finanzmärkten durchwachsen und volatil. Immer folgten die Trends in China denen in den Industrieländern.

nothing
Abbildung 3: Preisverläufe der Blue-Chips aus Europa (FTSE Eurofirst 300) und Hongkong(Hang Seng) im Direktvergleich (Quelle:FT)

Seit fast vier Jahren ist die Korrelation gebrochen.
Zwar weiss niemand, ob, wann und vor allem in welcher Richtung sich die derzeitige divergente Preisentwicklung auflöst. Ein Blick auf die Kenndaten (Abb. 4) verrät: Divergierende Preisentwicklungen in den USA und China sind nachvollziehbar – zwischen Europa und China dagegen nicht.

Es gibt mannigfache Gründe für den Liebesentzug internationaler Investoren. Je länger die Hausse in Europa aber andauert ohne dass die Marktpreise auch in China steigen, desto fragiler ist die Preisentwicklung in Europa.

nothing
Abbildung 4: Kennzahlenvergleich USA, China, Europa

In China ist die Arbeitslosigkeit trotz hohem Außenhandelsüberschuß (Current Account) und moderater Verschuldung (Dept/GDP) hoch, die Marktpreise sind rückläufig. Das Haushaltsdefizit ist mit -7.4 % des GDP bereits jetzt so hoch, wie im Zenit früherer monetärer Markteingriffe des Finanzministeriums.

Im Wochenbericht 3 ging Hieronymus zuletzt auf Chancen und Risiken bei chinesischen Werten ein. Seitdem haben sich die Marktpreise in Hongkong stabilisiert. Der HangSeng notiert in Schlagdistanz zur oberen Begrenzung des Trendkanals. Weiter steigende Marktpreise triggern ein Kaufsignal.

Angesichts der großen Bewertungsunterschiede zwischen chinesischen Aktien und denen der übrigen Industriestaaten, dürfte dies trotz aller Skepsis Folgekäufe nach sich ziehen.

Die chinesischen Finanzmärkte waren in der vergangenen Woche geschlossen. Sie konnten nicht auf die auf die Wahlkampf-Drohung von Donald Trump reagieren, der seinen Wählern die Erhöhung der Einfuhrzölle für Importe aus China auf 60 Prozent versprach. Das würde den US-Pazifikhandel faktisch zum Erliegen bringen. Das derzeitige Handelsvolumen der USA mit China beträgt 575 Mrd. $ im Jahr. Ob er auch dort mit dieser Steinzeitrhetorik die Politik vor sich hertreiben kann?

Selbst wenn die Märkte in den USA und Europa in eine Korrekturphase eintreten, ist das Preisrückschlagpotenzial beim HangSeng überschaubar.
Wir nehmen den MSCI HongKong ETF als Basiswert in die Stillhalterstrategie auf. Die Liquidität ist nicht üppig. Per Put-Verkauf kann der Index u.U. mit einem Discount erworben werden.

Microsoft und passive Investments

Es war eine der Top-Meldungen aus Deutschland: Microsoft errichtet im Ruhrgebiet einen KI-Cluster. Die Begründung war lustig: Weil man Großkunden, wie Bayer und BASF, bessere Antwortzeiten bieten möchte. Wahrscheinlicher ist, dass der US-Multi dort leicht Arbeitskräfte findet, die »großkonzernerfahren« sind.

Microsoft machte auch in anderer Hinsicht Schlagzeilen.

Man verabschiedet sich bei Spielekonsolen vom Konzept Anwendungen für nur eine (die eigene) Konsole zu vermarkten. Zukünftig laufen XBox-Spiele auch anderswo und umgekehrt. Das – sagt Microsoft – stärkt die Nachfrage nach beidem. Vor allem schützt es das Investment in die Übernahme von Activision Blizzard.

Die Profitabilität der Beteiligung an OpenAI ist die Unbekannte in der Bewertung der Microsoft-Aktie. Eingepreist ist die Wertentwicklung der Beteiligung an sich. OpenAI war im Oktober etwa 90 Mrd. $ wert. Das Investment Microsofts aus dem Januar 2023 (10 Mrd. $) hat sich vermutlich bereits vervierfacht.

Satya Nadella (Microsoft CIO): “This is . . . about intelligence, expertise at your fingertips . . . that’s the era we are in. Twenty twenty-four is the year all of this will scale.”

Inzwischen sind offenbar 94 Prozent aller S&P 500 Unternehmen Kunden bei OpenAI (genauso also wie bei Microsoft). Das wird unterschiedlich bewertet. Einerseits spricht dies für eine gewisse Marktsättigung. Die Geschäftsbeziehungen sind aber rudimentär. Die US-Unternehmen experimentieren noch mit AI-Produkten. Die FT berichtet, dass monatliche Kosten von unter 1.000 $ in den Managementabteilungen die Regel sein. Hier rechnet Nadella mit raschen »scaling Erträgen«.

Der Ansturm auf KI-Unterstützung bei MS-Office-Produkten hält sich derzeit ebenfalls in Grenzen. Microsoft gibt an, dass 18.000 Abo’s abgeschlossen wurden. Was muss passieren, dass die Massen dort zugreifen?

Das ist Bärenfutter. Der Aktienpreis ist von seinem Allzeithoch bei 420 $ Anfang Februar bereits 5 Prozent zurück gekommen. MSFT schließt die Woche bei 403 $.

OpenAI konzentriert sich auf Leuchtturmprojekte. Öffentlich bekannt wurden größere Projekte bei Salesforce(Einstein GPT) und Rakuten(das erste KI-fokussierte Online-Warenhaus). Von Außen wirkt Open_AI derzeit wie SAP in den 1990ern. R3 wurde gerade eingeführt und der DAX wartete. Bei Open_AI ist alles mehrere Zehnerpotenzen größer.

Passive Investments

nothing
Abbildung 5: Passive Geldanlagen dominieren

Aktuell wird die Abb. 5 vielfach herumgereicht und diskutiert. Erstmals ist mehr Kapital in passiven Anlageformen gebunden, als in aktiven Mandaten. Das meiste Kapital ist im S&P 500 investiert.

Wie mehrfach dargelegt, ist der S&P 500 inzwischen ein S&P 5. Die Performance der übrigen 495 Werte ist irrelevant. Das destabilisiert die Kapitalmärkte, meinen die Einen. Kein Problem – sagen andere, je weniger Kapital individuell am Markt platziert wird, desto höhere Erträge winken beim aktiven Stock-Picking. Erst wenn diese Fraktion auf unter 10 Prozent sinkt, ist danach eine ökonomisch sinnvolle Preisbildung nicht mehr gewährleistet. Das wiederum passiere nicht, weil es ja immer interessanter wird, Stock-Picking zu betreiben. Wieviel an dieser Interpretation Wunschdenken ist, wird sich zeigen.

Es ist unklar, welchen Beitrag der Trend zu passiven Investments an der Outperformance der »Magnificent Seven« hat. Signifikant ist der Beitrag zur Dominanz der USA für die Kapitalanlage: 70 Prozent des MSCI World wird von US-Werten repräsentiert.

nothing
Abbildung 6: Entwicklung der Dominanz der USA bei der Geldanlage

Vergleicht man die Verläufe der Abbildungen 5 + 6 seit 2011 ist der Effekt der passiven Geldanlagen kaum zu übersehen – dies obwohl die »Magnificent Seven« in diesem Index hinsichtlich ihrer Marktkapitalisierung untergewichtet sind.

Fazit: Entgegen der Rhetorik der Wahlkämpfer in den USA dominieren die USA die Kapitalmärktei immer mehr. Der Siegeszug passiver Anlageformen erhöht kollektiv das Klumpenrisiko. Grob vereinfacht ist die halbe (Finanz-.)Welt massiv in den »Magnificent Seven« übergewichtet, egal wie diversifiziert das Portfolio auf dem Papier ausschaut. Die zurückliegende Phase mit geringen Preisschwankungen passt nicht in dieses Muster. Hieronymus erwartet einen Übergang hin zu stärkeren Preisveränderungen.

Als logische Investmentstrategie leitet sich eine Überinvestierung außerhalb der USA ab. Das reduziert die Risiken. Die Phase der Outperformance der USA endet vermutlich erst wenn die Risiken der aktuellen passiven Geldanlage vom Mainstream erkannt werden.