Im Westen nichts Neues

In Europa werden die Konjunkturprognosen ein ums andere Mal zur Unterseite angepasst. Die Aktienmärkte hangeln sich gleichzeitig von einem Allzeithoch zum Nächsten. In den USA ist es umgekehrt. Die Konjunktur läuft besser, als prognostiziert, dafür bröckeln die Notierungen. Als Begründung für dieses Paradoxum müssen die Zinserwartungen herhalten.

Wochenbericht 10/24 Stuttgart, 09. Mar. 2024

Der heutige Titel ist Programm. In den USA läuft sich der Wahlkampf langsam warm. Die Kontrahenten streiten um die Deutungshoheit eingehender ökonomischer Wasserstandsmeldungen. Das ist jedesmal vor den Wahlen so. In der Vergangenheit traten die Marktpreise meist auf der Stelle.

Auch in Europa sind Wahlen. Deren Ausgang scheint aber bereits fest zu stehen (Durchmarsch rechter Kräfte). Das mag progressive Kräfte beunruhigen. Die Kapitalseite jubelt aber. Trotz schlechter Konkunkturdaten klettern die Marktpreise an den Finanzmärkten.

Insiderparadies Europa

Aktien und Derivate werden an öffentlichen Handelsplätzen (Börsen), bilateral per Telefonhandel (OTC-Geschäfte) und in Dark-Pools gehandelt. Letztere werden von großen Banken betrieben. Sie bieten Hedge-Funds und institutionellen Marktteilnehmern die Möglichkeit, im Verborgenen größere Long- und Shortpositionen auch bei marktengen Stücken auf- und abzubauen.

Falls zu viel Handelsvolumen in den Dark-Pools stattfindet, funktioniert die Preisfindung nicht mehr richtig. Deshalb unterliegen Dark-Pools in den Industrieländern einer strikten Regulierung.

Seit dem Brexit befindet sich der größte europäische Handelsplatz außerhalb der EU. . Dark-Pools für europäischen Aktienwerten sind weiterhin in Großbritannien, außerhalb der Regulierung der EU. Die Marktplatzbetreiber behaupten, die bisherige strikte Regulierung macht den Handel innerhalb der Staatengemeinschaft uninteressant.

Die EU ist bestrebt, den Handel mit europäischen Titeln innerhalb der EU zu konzentrieren. Rechtzeitig vor den EU-Wahlen hat die Kommission eine Reform der Regulierung von Dark-Pools als Bestandteil der Bankenregulierung (Mifir) veröffentlicht. Zukünftig dürfen maximal sieben Prozent des Aktienhandels eines Titels an Dark-Pools stattfinden. Die alten (komplexeren) Regeln werden aufgehoben.

Die FT notiert in ihrer Freitagsausgabe: Absicht oder Fehler: Bis die neuen Regeln im Rahmen der Mifir-Regulierung im Jahr 2025 in Kraft treten, ist der Handel in Dark-Pools in Europa völlig unreguliert. Hedge-Funds und institutionelle Marktteilnehmer haben alle Freiheiten, über die Nutzung von Dark-Pools die Marktpreise zu manipulieren. Falls bis Mitte April keine Änderungen mehr einfließen, ist der europäische Kapitalmarkt auf das Niveau eines Schwellenlandes zurückgefallen.

Das ist möglicherweise ein Vorgeschmack auf die Veränderungen innerhalb der EU im Falle veränderter Mehrheiten im EU-Parlament und den Gremien.

Der norwegische Staatsfonds investiert in Private Equity

Nun ist es offiziell: Der größte Staatsfonds der Welt, gibt seine passive Anlagestrategie auf. Das norwegische Parlament hat den Weg freigemacht für Investments abseits öffentlicher Börsenplätze und in nicht börsengelisteten Unternehmen. Nun könnte der Fonds beispielsweise direkt in Open AI investieren. Temasek, der Staatsfonds aus Singapore, hat dies in der letzten Woche angekündigt. Hieronymus würde zu gern einmal Mäuschen spielen, bei Investorenterminen beim Management von OpenAI um zu erfahren, welche Entwicklungsperspektiven dort verhandelt werden..

Höchstwahrscheinlich wird der Fonds nun primär sein Infrastruktur-Investment ausbauen und direkt in Verkehrs- oder Energieprojekte investieren.

Im Nachbarland Schweden ist mit der EQT die Private-Equity-Gesellschaft der Wallenberg-Dynastie beheimatet. Das Unternehmen ist vergleichsweise winzig, profitiert aber von der Aufmerksamkeit für skandinavische Private-Equity-Geschäfte. Der Aktienkurs ist in den letzten Wochen deutlich gestiegen. Spekulationen, dass EQT den norwegischen Staatsfonds im neuen Anlageschwerpunkt berät, werden natürlich weder bestätigt noch dementiert.

Nvidia bricht nachrichtenlos ein

nothing
Abbildung 1: Preisverlauf der Nvidia-Aktie. Ikarus lässt grüßen.

In einem Vierteljahr verdoppelt sich der Aktienpreis. Die Marktkapitalisierung beträgt 2 Billionen Dollar. Und kein Ende des Booms in Sicht. Das ist die zugespitzt verkürzt die Nvidia-Story.

Am Freitag versuchten einige Händler die Marke von 1.000 $ pro Aktie anzuhandeln, offenbar um Buy-Stops an dieser runden Zahl zu triggern. Unterhalb waren aber offenbar massenhaft Gewinmitnahme-Orders platziert. Tatsächlich fiel die Aktie den gesamten Handelsverlauf wie ein Stein. Auf Wochensicht ist die Aktie per Saldo unverändert, auf Tagesbasis bleibt bei hohem Volumen ein Abschlag von 15 Prozent – nachrichtenlos.

Snowflake tummelt führerlos umher

Bereits vor einer Woche sank der Aktienkurs des Cloud-Spezialisten Snowflake um ein Viertel. Das Wachstum ist nicht ganz so stürmisch, wie es die Spekulanten gern sehen würden. Wichtiger ist die Ablösung des CEO’s. Der inzwischen 65-jährige Frank Slotmann, der den Börsengang orchestriert hatte, wird überraschend von einem Ex-Google Manager abgelöst (Sridhar Ramaswamy).

Seitdem gibt die Aktie fast täglich ein wenig ab. Der Aktienkurs ist innerhalb von 10 Tagen von 235 auf 160 $ gesunken.

nothing
Abbildung 2: Preisverlauf der Snowflake Aktie

Die Abb. 2 zeigt am Tag Eins nach dem Kursrutsch ein sehr hohes Handelsvolumen. Hier waren offenbar Schnäppchenjäger unterwegs. In den Folgetagen gab der Aktienkurs unter weiterhin hohem Volumen weiter nach.

Man kann munter spekulieren, was sich hinter den Handelsvolumina verbirgt. Fakt ist, dass Investments in diese Aktie seit Dezember nun unter Wasser sind, obwohl das Unternehmen mit Cloud-KI-Anwendungen völlig im Zeitgeist liegt und planmäßig wächst. Zur Wahrheit gehört auch: Nvidia und Snowflake sind teuer, Snowflake ist zudem unprofitabel (Gewinn pro Aktie: -2,55 $)

Jeder Boom hat einmal ein Ende. In der abgelaufenen Woche wurden gehypte AI-Titel kollektiv abverkauft. Mit Nvidia hat es am Freitag auch das Flagschiff der Branche erwischt.

Richtig ist: von Gewinnmitnahmen ist noch niemand arm geworden. Aktuell werden die Kursverluste als Gewinnmitnahmen gewertet, die eine gesunde Korrektur einleiten. Das muss nicht so bleiben.

Bayer: Spekulation um Kapitalerhöhung

Der negative Newsflow bei Bayer will einfach nicht abreissen. Nachdem das Management die Dividende gestrichen hat um den Schuldenberg abzutragen, ist der Aktienpreis auf das Niveau des Jahres 2005 zurückgefallen. Der neue CEO (Bill Anderson) macht, was man beim MBA-Studium als Erstes lernt. Gleich nach dem Amtsantritt: Ausmisten und alle Leichen aus dem Keller holen. Die zweite Lektion: In dringenden Fällen selbst als Feuerwehrmann auftreten. Das passierte am Mittwoch. Anderson gab der FT ein Interview, in dem er die nachhaltigen Spekulationen, Bayer müsse eine Kapitalerhöhung durchführen, zu entkräften suchte.

Fakt ist: Vor und nach dem Interview schwankte die Aktie stark. Bären und Schnäppchenjäger ringen um die faire Bewertung der Aktie. Per Saldo ist der Aktienpreis aber konstant.

nothing
Abbildung 2: Preisverlauf der Bayer Aktie

Ist nun die Zeit gekommen, den Wert über eine Stillhalterposition ins Depot zu nehmen? Hieronymus fragt sich das seit der Ankündigung der Gesellschaft, die Dividende zu streichen. Leider ist die implizite Volatilität mit 30 Prozent angesichts der großen Intraday-Preisspannen, sehr niedrig. Das aktuelle Chartmuster deutet auf eine nachlassende Verkaufsbereitschaft hin. Dieser Prozess scheint aber noch am Anfang zu sein.

Der Optionshandel hat die jüngsten Preissenkungen des Aktienpreises nicht nachvollzogen. Die höchsten Open-Interest-Quoten finden sich im Juni-Verfall bei einer Put-Option mit dem Strike 30. Diese wird – Stand heute – mit Sicherheit ausgeübt. Scheinbar triggerte der jüngste Kursrutsch keinen weiteren Absicherungsbedarf. Tollkühn könnte man aus dem Profil des Optionshandels ein Preispotenzial von +10 Prozent bis Juni ableiten.
Im konservativen Stillhalterhandel bauen wir eine Position mit einem Strike bei 20 bis 22 Euro auf. Damit darf die Aktie in den kommenden 100 Tagen um weitere vier bis sechs Euro preiswerter werden, dann erst liefe die Stillhalterposition ins Risiko.