Europäische Blue-Chips riefen auch in der Berichtswoche immer höhere Preise auf. Unternehmen, die mit Nachhaltigkeit werben, kümmern »nachhaltig« vor sich hin. Die Botschaft der Finanzmärkte ist eindeutig: Investments in Energieerzeugung lohnen sich nicht, außer man macht es mit Kohle, Gas oder Öl.
Ziel der Outperformance in Europa?
Am gestrigen Freitag war wieder einmal »großer Verfallstag«, Optionen und Futures mit Verfall März wurden abgerechnet. Die US-Aktienindizes treten bereits seit zwei Wochen auf der Stelle. Der EuroStoxx 50 markierte auch in der vergangenen Woche beinah jeden Tag ein weiteres Alltime-High.
Das Ausmaß und die Dynamik der aktuellen Rallye wird im 10-Jahres Chart deutlich.
Die Rallye hat den Index seit Oktober 2013 um 1.000 Punkte in die Höhe katapultiert und ist vergleichbar mit der Rallye de Jahres 2021. Damals wurde der Bereich 3.000 bis 4.000 Punkten binnen 6 Monaten durchhandelt. Auch 2009, 2015 und 2022 trug eine ähnlich dynamische Rallye den Index etwa 1.000 Punkte. Dies ist mit den gelben Trendunterstützungen im Chart hervorgehoben.
2009, 2021 und auch 2022 mündeten ähnliche Rallyephasen in volatile Seitwärtsmärkte. 2015 schloss sich direkt eine Korrekturphase an.
Der Blick in die Preishistorie favorisiert einen Übergang in ein Seitwärtsregime. Dieses hatte nach 2009 fast drei Jahre Bestand, trug nach 2021 immerhin 9 Monate und hielt nach 2022 fast das ganze Jahr. Kennzeichen des Seitwärtsregimes sind große Preisausschläge zur Ober- und zur Unterseite. Hohe Marktpreise (verbunden mit großem Optimismus) sind Anlässe zum Positionsabbau, niedrige Notierungen laden zum Positionsaufbau ein; zumindest theoretisch.
Möglicherweise markiert der große Verfall am vergangenen Freitag bereits den Übergang in dieses Regime. Es wäre zumindest nicht ungewöhnlich, wenn Futures bei etwa 5.000 Punkten abgerechnet werden (genau: 4986) und danach mangels Perspektiven von Spekulanten fallen gelassen werden. Hinzu kommt die Dividenden-Saison: Die ausgeschütteten Dividenden werden von den Aktienpreisen und den Indexnotierungen abgeschlagen. Der Index »fällt« bis in den Mai hinein auf ganz natürliche Weise.
Die Eurostoxx Optionshandelsstrategie favorisiert bis dato Optionskontrakte mit zwei bis drei Monaten Laufzeit. Angesichts der niedrigen Volatilitäten sind auch andere Zeitfenster interessant, insbesondere sticht eine passive Strangle-Strategie mit einer maximalen Fälligkeit von einem Monat ins Auge. Der Clue dabei: Die Optionen werden bis zur Fälligkeit gehalten, verfallen in aller Regel wertlos und erzielen hierdurch systematische Zusatzerträge.
ESG Schmuddelkinder
Die europäischen Energiesysteme werden dekarbonisiert. Wer heute als Privatkunde einen Stromliefervertrag abschließt, muss sich schon bemühen, um »dreckigen« Strom zu bekommen. Alle Energiekonzerne (mit der Ausnahme der französischen EDF) investieren massiv in Wind- und Solarkraftwerke. Dennoch gibt es erhebliche Unterschiede in der Performance der Aktien. Die gute Nachricht: Die Übertreibungen des Jahres 2021 sind abgebaut. Die schlechte: Die ausgesprochene Zinssensitivität macht viele Werte zu ESG-Schmuddelkindern.
In der vergangenen Woche veröffentlichte der RWE-Konzern sein Jahresergebnis
- Der Aktienkurs ist von 42 € zum Jahreswechsel auf 31 Euro zurückgekommen. Man könnte nun vermuten, der Konzern würde Probleme haben.
Lässt man sich die Ergebnisse der Präsentation von einer KI zusammenfassen, verstärken sich die Fragezeichen.
- Der Gesamtumsatz stieg im Vergleich zum Vorjahr um 10 %.
- Das EBITDA erreichte einen Rekordwert, angetrieben durch das Wachstum im Bereich der erneuerbaren Energien.
- Das Unternehmen setzte seine Investitionen in den Ausbau des Portfolios erneuerbarer Energien fort.
- Der Nettogewinn verbesserte sich deutlich, was auf operative Effizienz hinweist.
- Die Dividende pro Aktie stieg um 15 %.
- RWE reduzierte die Verschuldung.
Wo sieht der Markt das Problem? Bei zu üppigen Dividenden? Ist die Adaption erneuerbarer Energieträger zu langsam oder zu kapitalintensiv?
Ein Vergleich mit der E.ON liefert einen Hinweis:
Die E.ON hat das Kraftwerksgeschäft als Uniper ausgelagert. Der Rumpfkonzern investiert in regenerative Energien. Das Kerngeschäft sind Energiedienstleistungen. Das belohnt der Markt. Die Performance ist zwar nicht berauschend, das Unternehmen generiert aber eine gesundes Ergebnis. Aktionäre erfreuen sich an stetig steigenden Dividenden. Die aktuelle Dividendenrendite: 4 Prozent. Ob die Höhe der Ausschüttungen das Aktienpreisrisiko rechtfertigt (immerhin schwankte der Aktienpreis auf Jahresbasis um 30%), steht auf einem anderen Blatt. Ohne in die Zahlenwerke einzusteigen lässt sich ableiten, dass dem kapitalextensive Dienstleistungsgeschäft (Stromlieferung, Abrechnungen, Mieterstrommodelle etc.) mehr zugetraut wird, als dem kapitalintensiven Netz- und Kraftwerksbetrieb.
Das wird beim Vergleich mit einem reinrassigen Errichter und Betreiber von Solar- und Windparks bestätigt.
Die Neoen SA betreibt weltweit regenerative Energieerzeugungsanlagen. Die Projekte sind Fremdkapialfinanziert; das Eigenkapital der Gesellschaft dient als Sicherheit. Die Dividendenrendite ist mit 0,6 Prozent keine Kompensation für den stagnierenden Aktienpreis.
Im Energiesektor sind immer noch die Auswirkungen der starken Zinsen sichtbar. Kaptialintensive
Geschäftsmodelle werden abgestraft. Serviceorientierte Geschäftsmodelle florieren auch am
Aktienmarkt. Die eklatante Performancedifferenz zwischen E.ON und RWE überrascht. Die IR-Abteilung
von RWE bemüht sich redlich, die Börsennotierung mit immer neuen Erfolgsmeldungen zu pushen.
Der Erfolg lässt aber zu Wünschen übrig.
E.ON ist als CDAX-Unternehmen zwangsläufig
viel leiser unterwegs. Das ist kein Nachteil.
Neoen schiebt einen riesigen Schuldenberg vor sich
her. Hier droht permanent eine erzwungene Kapitalerhöhung. Die Aktienmarktperformance ist entsprechend.
Gemessen an der Marktkapitalisierung wurden sowohl bei der RWE als auch bei der Neoen seit 2020 keine nachhaltigen Werte geschaffen. Die Botschaft: Investments in eine nachhaltige Zukunft stellen nicht einmal Kapitalerhalt sicher. Zeitgleich weisen fossile Geschäftsmodelle Rekorderträge aus.
Ganz Hoffnungslos ist die Situation nicht. Am Anleihemarkt gibt es immer wieder attraktive Emissionen. So emittiert Reconcept aktuell die dritte Auflage des Solarbonds mit einer Verzinsung von 6,75%. Aber aufgepasst: Auch wenn die Anleihe börsennotiert ist, wird es bei Problemen mit Projekten schwierig, das Investment zu liquidieren. Die Vorgängeranleihe gab unmittelbar nach der Emission bis fast 90 Prozent nach. Die Zinsen werden nicht stressfrei eingenommen. Einige erinnern sich vielleicht noch an den Prokon-Skandal. Auch Prokon bot über viele Jahre überdurschnittliche Renditen (auf Graumarktprodukte), bevor klar wurde, dass es sich um ein Schneeballsystem handelte. Die Diskrepanz zwischen den Ertragsperspektiven für Eigenkapitalinvestments (Aktien) und der Reconcept-Anleihe ist ein Risikoindikator. Die Anleihe ist zudem opak; die zu finanzierenden nachhaltigen Kraftwerke sind im Prospekt nicht aufgeführt. Das ist bei den drei hier betrachteten Aktiengesellschaften ganz anders. Für die langfristige nachhaltige Kapitalanlage bietet sich aktuell deshalb eher eine Kombination der drei vorgestellten Aktien an, als die Gewährung eines Kredits an einen kleinen Projektentwickler aus Hamburg.