Je mehr Eigenleben die Finanzmärkte zeigen, desto wichtiger werden Narrative, die Komplexität reduzieren. Die Geldpolitik mit einem Ausflug auf den Tafelberg zu vergleichen, das ist einfach genial.
Die Ehre gebührt Huw Pill, dem Chefökonomen der Bank of England (BoE). Er verglich die Perspektiven der Geldpolitik in Großbritannien mit der Silhouette eines Tafelbergs. Die Allegorie geht wie folgt: Der Anstieg ist steil und anstrengend. Die Bergwanderer sind aber frisch und die Perspektiven günstig. Dann erreicht die Gruppe das Gipfelplateau. Dort weht ihnen eine kräftige Brise entgegen. Der weitere Weg ist zwar deutlich sichtbar, aber viel mühsamer als gedacht. Dann kommt der Abstieg. Man sucht einen einfachen Weg. Den gibt es aber nicht. Alle sind müde, es schleichen sich Fehler ein. Niemand weiss, wer überhaupt gesund vom Berg heimkehrt.
Sowohl die schweizer SNB, die BoE als auch die FED drehten in der Berichtswoche nicht an der Zinsschraube. Die Message: Wir sind auf dem Zinsplateau angekommen. Das Signal an die Spekulanten: Wir erwarten nun stärkere Turbulenzen. Je näher wir dem Abstieg kommen, desto stärker können diese ausfallen. Die Rückkehr zu niedrigen Zinsen könnte turbulent werden.
Aktienmärkte testen Unterstützungen
Zeitgleich zur Ankündigung, dass die Phase der Zinsanhebungen vorüber ist, kommunizierten die Notenbanken unisono ihre Absicht, die Leitzinsen nicht so bald wieder zu senken – es sei denn, Gefahr ist in Verzug.
Das induzierte einen kleinen Abverkauf, der die großen Indizes unisono an die unteren Begrenzungen ihrer Tradingranges führte.
Im Chart des S&P 500 ist per Wochenschlußkurs sowohl der Aufwärtstrend seit Mai 2023 als auch die Tradingrange des Sommers gebrochen. Die nächste charttechnische Unterstützung ist bei 4250, das Korrekturpotenzial fällt mit den Tiefständen des Frühjahrs zusammen: 3950. Das wären etwa zehn Prozent. Dieses Szenario würde den EuroStoxx das Preisniveau des Frühjahrs bei 3.800 Punkten zurückführen. Das wäre Konsistent mit der ökonomischen Realität.
Charttechnisch steht der US-Aktienmarkt in der kommenden Woche vor einer make or break Entscheidung.
USA: Charttechnisches Verkaufssignal
In der Abb. 4 ist die Tageskerze vom vergangenen Donnerstag klar als größte der letzten 6 Monate
identifizierbar. Tatsächlich hat der Index das erste Mal seit mehr als 100 Tagen mehr als 1,5 %
an einem Tag abgegeben. Das ist statistisch relevant: Durchschnittlich werden Aktien dann in den beiden
Folgewochen um jeweils zwei Prozent billiger (1950 – 2023). Andererseits: Falls der S&P 500 bis zum
Monatswechsel
trotzdem eine positive Performance zeigt, stehen die Börsenampeln erstmal auf dunkelgrün.
Die negativen Preisimplikationen fallen ideal in das saisonale Zeitfenster für einen markanten Anstieg der Volatilität (Siehe Abb. 4 , WB 33/23). In der vergangenen Woche ist die Volatilität bereits markant angesprungen. Der aktuelle Preisrutsch des breiten US-Marktes passt grundsätzlich in das saisonale Preismuster (siehe Abb. 4, WB 20/23 ).
Die negative Saisonalität ist mit dem aktuellen Wochenminus allerdings weitgehend »abgearbeitet«. Sollten die Aktienpreise in der kommenden Woche nochmals abgeben, entfiele dieser Belastungsfaktor vollends. Das Zeitfenster für eine erhöhte Volatilität schließt sich erst im November. Selbst wenn die aktuellen Preisrückgänge eine Marktkorrektur sind und keinen Abwärtstrend begründen, werden die Marktpreise in den kommenden Wochen deutlich stärker schwanken, als in den Sommermonaten.
Rest der Welt: Seitwärtsregime intakt
Die Abb. 1 - 3 zeigen ein anderes Bild: Die Indizes mit europäischen, japanischen und australischen Aktien sind an die untere Begrenzung der Tradingrange herangelaufen. Ein Trendbruch steht aus. Seit April sind die unteren und die oberen Begrenzungen der Tradingranges mehrfach angehandelt und sogar mehrere Tage über. bzw. unterschritten worden. Die Risiken liegen hier woanders. Der Aktienmarkt Australiens wird von Rohstoff- und Finanztiteln geprägt, die auf internationalen Märkten aktiv sind. Der Markt wird eine starke Korrelation zu sinkenden Notierungen in den USA aufbauen. In Japan moderiert die BoJ über den Aufkauf von Aktien-ETF’s auch das Preisniveau am Aktienmarkt. Wie lange diese Stütze noch aufrechterhalten wird, ist unbekannt. Die Aktienpreise in Europa haben sich sehr von der ökonomischen Realität entfernt. Ganz aktuell: Der Einkaufmanagerindex für das produzierende Gewerbe in Frankreich ist auf das Niveau der Eurostaatsschuldenkrise 2012 gesunken. Er folgt damit seinem deutschen Pandant.
Ein Preisrutsch am Aktienmarkt ist fundamental absolut gerechtfertigt. Wie in den vergangenen Wochen ausgeführt, wird die Bewertung des europäischen Aktienmarkts ganz wesentlich durch die niedrige Bewertung im Vergleich zu den übrigen Industriestaaten begründet. Das macht die hiesigen Aktienpreise zu Sklaven der Marktentwicklungen anderswo.
Fazit
Der US-Aktienmarkt ist angezählt. Anderswo haben die etablierten Seitwärtsmärkte weiterhin Bestand. Die hohen Renditen an den Anleihemärkten ziehen immer mehr Kaptial aus den wenig-spekulativen Marktsegmenten ab. Das erhöht die Schwankungen an den Aktienmärkten.
Perspektivisch könnte die Volatilität am Aktienmarkt noch weiter steigen. Angesichts geopolitischem Gegenwind und weiterhin hoher Inflation sind die Perspektiven für Aktienengagments aktuell extrem verhalten.
Handelssysteme
Das EuroStoxx-Handelssystem konnte die leichten Wellenbewegungen am europäischen Aktienmarkt bislang profitabel begleiten. In der letzten Woche sank der Buchertrag der Handelsstrategie aufgrund der anziehenden Volatilität marginal.
In der Handelshistorie, ist der Überhang an erfolgreich geschlossenen Call-Optionen im Oktober- und November-Verfall als Performance-Quelle identifizierbar. Auch aktuell weist die Strategie einen Überhang an Call-Optionen auf, die bei sinkenden Notierungen positive Erträge erwirtschaften. Die anziehende Volatilität wirkt dagegen. Deshalb sind aktuell maximal stagnierende Buchwerte realistisch.
Der passive ASX-Spread-Handel konnte den Preisrückgang nicht abfedern. Am Donnerstag sank der ASX um 2,9 Prozent. Das kostete die gesamte bisherige Buchwertperformance. Zum Wochenschluß gleicht die Performance des veräußerten Calls die Preissteigerungen beim veräußerten Put exakt aus. Sollte sich der Abwärtstrend fortsetzen, wird ein Straddle (Put + Call mit Strike 7000) aufgebaut. Das System toleriert größere Preisbewegungen des Index. Damit sollen, auf Kosten einer höheren Volatilität, Fehlsignale vermieden werden.
Das Stillhalter-Handelsystem ist aktuell wenig zielführend. Die Versuche, Call-Optionen zu angemessenen Konditionen zu veräußern, waren nicht erfolgreich. Put-Optionen von interessanten Titeln sind in der aktuellen Marktphase volatil. Das Portfolio ist entsprechend ausgedünnt. Der Schwerpunkt des Stillhalterdepots verschiebt sich nach Australien. Dort passen die aufgerufenen Marktpreise besser zum allgemeinen Marktumfeld.