Die Rückkehr der Bond Vigilantes

Alan Greenspan vertrieb sie eigenhändig aus den Handelssäalen. Nun sind Anleihe-Wächter zurück. Sie treiben Marktzinsen solange hoch, bis die Fiskalpolitik sich den Finanzmärkten unterordnet.

Wochenbericht 38/23 Stuttgart, 30. Sep. 2023

Seit dem 22. Oktober 2022 regiert die postfaschistische Frontfrau Giorgia Meloni in Rom. Wer der These anhängt, eine rechte Regierung sei gut für die Eliten eines Landes, der findet in Italien einen ganzen Strauß praktischer Beispiele.

Die Preis- oder Renditedifferenz zwischen deutschen Staatsanleihen und ihren italienischen Entsprechungen sank kontinuierlich. Die Finanzmärkte belohnten die italienische Regierung mit vergleichsweise guten Konditionen für die Refinanzierung des Staatsdefizits.

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Abbildung 1: Preisentwicklung italienischer und deutscher (blau) Staatsanleihefutures im Vergleich

Das änderte sich mit der mißglückten Einführung einer Steuer zur Abschöpfung von Windfall-Erträgen bei italienischen Banken. Die Kapitalmärkte interpretierten dies (zurecht) als deutlichen Fingerzeig auf tieferliegende Probleme der Finanzierung des Staats.

Am Donnerstag ließ Frau Meloni die Katze aus dem Sack:

  • Haushaltsdefizit 2023: 5,3 % (anstatt, wie geplant 4,5 %)
  • Haushaltsdefizit 2024: 4,3 % (bisherige Planung: 3,7 %)
  • Die Defizite finanzieren planmäßig ein Wirtschaftswachstum von 0,8% in 2023 und 1,2% in 2024

Daraufhin sanken die Preise für Staatsanleihen in ganz Europa drastisch. Der BTP (Future italienischer Staatsanleihen) ging innerhalb weniger Stunden von 109,5 auf 108.25 zurück. Auch wenn die Preisfluktuationen zuletzt größer geworden sind, ein Preisverfall um 1,25 Basispunkte an einem Tag ist ein absolutes Krisensignal.

Bond Vigilantes (Anleihe-Wächter)

Über die Preise von Anleihen geben die Finanzmärkte den Regierungen ein Feedback ihrer Fiskalpolitik. Eine Regierung, die ihre Ausgaben nicht durch Steuereinnahmen finanzieren kann, muss Schuldtitel ausgeben und Gläubiger überzeugen. Eine schlechte Kommunikation der Sinnhaftigkeit geplanter Ausgaben verschlechtert die Kreditkonditionen. Im Extrem kann ein Staat seine Maßnahmen nicht umsetzen.

Zuletzt musste die damalige britische Primierministerin Liz Truss ihren Hut nehmen, nachdem die Marktzinsen nach der Vorstellung ihres »Mini Budgets« in die Höhe schnellten. Seitdem bemüht sich die britische Regierung um Haushaltsdisziplin.

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Abbildung 2: Angriff der Bond Vigilantes nach Veröffentlichung des Mini Budges durch Liz Truss im Sept. 2022. Die Rendite verdoppelte sich, Anleihepreise sanken entsprechend.

Bond Vigilantes hatten in den 1980er und 1990ern ihre große Zeit. 1991 zwangen Sie den japanischen Staat zu einer (kurzzeitigen) Änderung seiner Fiskalpolitik. Das »Bond Market Massacre of 1994« ging sogar in die Lehrbücher ein, traf es doch den größten Anleihemarkt in den USA.

Der FED-Vorsitzende hieß damals Alan Greenspan. Die Attacken begründeten eine signifikante Stärkung der Autorität der Notenbanken in den Industriestaaten. Bond Vigilantes sind Geschichte, dachte man. Wie zur Bestätigung wurde der Versuch der Rentenmarkthändler, im Zuge der Staatsschuldenkrise 2011 durch die Ausweitung der Spreads zwischen den Staatsanleihen der Eurozonenstaaten die Gemeinschaftswährung zu Fall zu bringen, mit einem einzigen, geschickt platzierten Satz von Mario Draghi im Keim erstickt.

Im Jahr 2022 deutete sich eine Renaissance der Bond Vigilantes an. Die Ereignisse der vergangenen Wochen bestätigen dies.

  • Diverse Notenbanken signalisierten das Ende ihres Zinserhöhungszyklus.
  • Die Inflationsraten in den USA und in Europa gehen zurück.
  • Seit der letzten EZB-Sitzung ist der Bund-Future um 5 Basispunkte gefallen
  • Seit dem letzten FED-Zinsentscheid ist der ZN-Future (US-Treasuries, 10 J) um 3 Basispunkte gesunken.

Die Notenbanken kontrollieren über ihre Zinspolitik die Preise kurzlaufender Anleihen. Längerlaufende Anleihen bepreisen zusätzlich Markt- und Durationsrisiken. Der kontinuierliche Preisverfall deutet auf eine «Bestrafung« der ausgabenfreudigen Regierungen diesseits und jenseits des Atlantik hin — Bond Vigilantes @ work.

Bond Vigilantes haben nach starken Zinserhöhungsphasen Hochkonjunktur. Die Notenbanken erhöhen die Leitzinsen, um die Wirtschaft abzukühlen und den Preisdruck zu brechen. Die Regierungen greifen zu fiskalpolitischen Maßnahmen, um die Effekte abzupuffern. Überproportional steigende Marktzinsen begrenzen den fiskalpolitischen Rahmen und fordern Austerität. Die Regierungen können sich entscheiden: Hohe Zinsen, steigende Inflation und Abwertung der Währung oder Austerität, bis die Finanzmärkte von der Haushaltsdisziplin überzeugt sind.

Die Bank of Japan hat dem Treiben der Bond Vigilantes durch eine effektive Kontrolle der gesamten Zinsstrukturkurve Einhalt geboten. Dort trägt die Währung die gesamte Anpassungslast.

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Abbildung 3: Anstatt Zinserhöhungen – Abwertung des Yen gegenüber dem US-Dollar

Soft Landing?

Alle Augen sind aktuell auf Anzeichen für wieder sinkende Marktzinsen gerichtet. In der letzten Woche verglich Hieronymus diese Phase mit dem unfallträchtigen Abstieg nach einer Bergwanderung. Quasi als Bestätigung ging die folgende Graphik viral:

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Abbildung 4: Jeder Zyklus mit steigenden Markrenditen endete in einer Disruption

Jeder markante Zinsanstieg seit 1985 endete in einer disruptiven Entwicklung. Am Ende zerbrach irgend etwas. Vor diesem Hintergrund erscheint der feste Glaube der meisten Marktteilnehmer an ein orchestriertes »Soft Landing« fehlplatziert.

Handelssysteme im Hochzinsumfeld

Die öffentlichen Handelssysteme auf den Eurostoxx und den ASX sind im Kern kontinuierliche Strangle-Verkäufe. Ein Strangle ist ein Optionspaar (Put + Call) mit gleicher Laufzeit und verschiedenen Strikes.

Steigende Marktzinsen beeinflussen Optionspreise. Call-Optionen werden teurer, Put-Optionen preiswerter. Die Effekte sollten sich beim Strangle ausgleichen.

Die Praxis zeigt aber etwas anderes.

Die Abb. 5 + 6 zeigen die isolierte Wertentwicklung des Estx-Strangles mit Fälligkeit im November und die Preisentwicklung des Index.

Abbildung 5: Ertragskurve des ESTX-Optionpaares mit Fälligkeit im November 2023 (100 k€-Konto, Stand: 20.Sept. 2023)
Abbildung 6: Preisentwicklung des Eurostoxx-Index in dem Zeitraum. Die Profitabilitätsgrenzen sind eingezeichnet.

Die Abb. 6 zeigt die Profitabilitätsgrenzen. Der Index schwankt in der Mitte des aufgespannten Pofitabilitätsbereichs. Die Optionen verlieren Zeitwert. Die in der November-Fälligkeit tatsächlich eingenommenen Prämien sind höher, als in den Vormonaten. Da die Volatilitäten zurückgekommen sind und gleichzeitig die Marktzinsen gestiegen sind, erwartete Hieronymus einen Rückgang der erzielbaren Prämieneinnahmen. Das Gegenteil ist der Fall.

Die wahrscheinlichste Ursache hierfür ist das höhere Zinsniveau.

Bestätigt wird diese Hypothese mit dem Preisverlauf des passiven ASX-Spread-Trading.

Abbildung 7: Ertragskurve des ASX-Optionpaares mit Fälligkeit im Dezember 2023 (50 kAUD-Konto)
Abbildung 8: Preisentwicklung des ASX-Index in dem Zeitraum mit Profitabilitäsgrenzen.

Der Indexpreis kam der unteren Begrenzung der Profitabilitätszone recht nahe. Dort wird der Preis des Spreads volatil. Obwohl sich der ASX-Index kaum von den Tiefständen gelöst hat, stabilisierte sich der Wert des ASX-Strangles. Der Index hat in einem Monat 300 Punkte (ca. 4.3 %) abgegeben. Trotzdem weist der Spread einen, abgesehen von einem kurzen Ausrutscher, stabil positiven Buchwert aus. Für dieses Scenario wurde ein Schwanken um den Einstandspreis erwartet. Die Optionsposition profitiert vom Hochzinsumfeld. Sie kann damit mit höherer Wahrscheinlichkeit vorzeitig mit dem Zielertrag geschlossen werden – die Rendite steigt also.

Fazit

Steigende Marktzinsen wirken sich positiv auf die Wertentwicklung der veräußerten Optionspaare aus. Optionen mit längerer Laufzeit bauen die Prämie schneller ab, als im Niedrigzinsumfeld. Die vorab vereinnahmte Optionsprämie wirft zusätzlich Zinserträge ab. Strangle-Strategien profitieren doppelt vom aktuellen Zinsumfeld.

Im Rahmen der passiven ASX-Strategie wurde der Strangle mit Fälligkeit im Januar wieder marktneutral aufgesetzt. Die Gesamtstrategie verkraftet nun weitere Abgaben und auch eine Rückkehr zur Ausgangsnotierung bei 7300.