Geopolitik vs. Berichtssaison

Israel treibt gerade die Einwohner des Gaza-Streifens ins Meer – und die Welt schaut zu. Die Finanzmärkte reagieren kaum. Liegt es an der Unfähigkeit, geopolitische Risiken adäquat zu bewerten, an dem Fokus auf die Q3-Berichtssaison oder steckt man kollektiv einfach den Kopf in den (Wüsten-)Sand?

Wochenbericht 40/23 Stuttgart, 14. Oct. 2023

Krieg im Nahen Osten

Dieser Wochenbericht kommt nicht umhin, die Konsequenzen der (erneuten) israelischen Inversion des Gaza-Streifens einzuordnen. Zuviel steht auf dem Spiel, auch ökonomisch.

Zuerst die Perspektive des Finanzmarktes der einen Kriegspartei.

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Abbildung 1: Preisverlauf des israelischen Leitindex (in lokaler Währung)

Die Preise für lokale Aktiengesellschaften sind zwar gesunken. Von Panik ist aber keine Spur. Das dürfte sich erst ändern, wenn Israel in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt wird. Dann besteht die Gefahr einer Eskalation inklusive dem Eingreifen westlicher Schutzmächte auf der Seite Israels. Die Auswirkungen auf die Aktienmärkte der (westlichen) Industriestaaten dürften dann der Preisreaktion auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine ähneln.

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Abbildung 2: Preisverlauf des EuroStoxx 50 mit Preiseinbrüchen zur Corona-Pandemie und der Insasion in die Ukraine

Für den EuroStoxx 50 impliziert dies ein Kriegsrisiko von ca. 1.000 Punkten, mit 3.500 als realistischem Preisziel.

Ohne eine derartige Eskalation ist der Nahost-Konflikt für die Finanzmärkte ein Non-Event, ebenso wie die (erfolglosen) früheren Versuche Israels, die Hamas mit militärischen Mitteln zu eliminieren (2008, 2012, 2014 und 2021).

Im Falle einer Eskalation des Nahost-Konflikts könnte der Eurotoxx 50 ca. 3.500 sinken. Das wäre ein Preisniveau, wo »Kaufen wenn die Kanonen donnern« greift.

US-Berichtssaison

Fast zeitgleich mit dem Angriff der Hamas auf Israel begann in den USA die Berichtssaison. Traditionell öffnen die Großbanken als erstes ihre Bücher. Kurzum – die Banken verdienen im aktuellen Hochzinsumfeld hervorragend. Die Banken bieten immer noch nur geringe Guthabenzinsen auf Sichteinlagen, können das Geld aber zu Marktkonditionen verleihen. Die hohen Buchwertverluste der Anleihenbestände aus der Nullzinsphase sind durch eine Facilität der FED abgesichert. Sie tauchen nicht in den Bilanzen auf.

Die gute Wochenperformance der Großbanken steht in einem krassen Gegensatz zur Bewertung des Bankensektors allgemein. Der KBW-Bankindex konnte sich bislang nicht von dem Abgaben im Zuge der Pleite der drei Regionalbanken im Frühjahr erholen. Das Mißtrauen der Investoren sitzt offenbar tief.

Interessant wird, ob die weiteren Zahlenwerke die Befürchtungen des Marktes zerstreuen können, dass der US-Konsum inzwischen sehr negativ auf die hohen Marktzinsen reagiert. Insbesondere Konsumwerte stehen unter Beobachtung.

Allgemein sind die Erwartungen an die Berichtssaison eher gedämpft. Das zieht ein gewisses Sicherheitsnetz in die Aktienmärkte ein und eröffnet Chancen auf positive Überraschungen. Hieronymus sieht das Theater um die 3-Monats-Zahlenwerke als kurzweiligen Zeitvertreib der Spekulantenzunft und als Beschäftigungstherapie der Sellside-Abteilungen der Banken an. Markttrends werden hier weder ausgebildet noch gebrochen.

Bond Vigilantes zeigen USA gelbe Karte

Am Mittwoch beeinflussten zwei Events die Preise an den Finanzmärkten.

  • Die neuesten Erhebungen zum Verlauf der Inflation wurden veröffentlicht
  • Die US-Treasury veranstaltete eine Anleihe-Auktion.

Die Inflationsdaten überraschten auf der Oberseite, die Chancen für weitere Leitzinserhöhungen der FED sind gestiegen. Aktien und Anleihen reagierten mit moderaten Preissenkungen. Eine Stunde später wurde bekannt, dass die angebotenen Schuldtitel der US-Treasury kaum nachgefragt wurden. Prompt stiegen die Renditen für US-Staatsanleihen, insbesondere Kurzläufer, schlagartig, die Preise verhielten sich spiegelverkehrt. US-Small-Caps (Russell 2000) sind besonders Zinssensitiv. Der Index wurde überproportional abverkauft und beendete die Woche mit einem neuen trendfolgenden Verkaufssignal.

Üblicherweise reagieren sichere Staatsanleihen mit Preiserhöhungen (fallenden Renditen) auf geopolitische Spannungen. In der Berichtswoche egalisierte das Mißtrauen gegenüber der Höhe der Anleiheemissionen der USA diesen Effekt.

Das ist genau das Preisverhalten, dass man erwartet, wenn Bond Vigilantes (Wochenbericht 38) die Fähigkeit zur Schuldenaufnahme einzelner Staaten in Frage stellen. Passend dazu veröffentlichte die CFTC (Commodity Futures Trading Commission) aktuelle Positionierungsdaten für den US-Rentenmarkt: Institutionelle Marktteilnehmer und Hedge-Fonds haben die leichte Preiserhöhung bei Renten am Montag und Dienstag zum Aufstocken ihrer Short-Positionen genutzt. Positiv ist zu vermelden: Retail-Investoren werfen inzwischen das Handtuch. Im September verzeichneten Investmentgrade Bond-ETF’s einen Kapitalabfluß von fast 5 Mrd. $.

Realzinsen

Die Differenz zwischen Marktzins und Inflationsrate wird als Realzins bezeichnet und ist eine Kenngröße für die Restriktivität der Geldpolitik. Dieser Zins ist in der Eurozone immer noch negativ. In den USA kletterte er in der Berichtswoche auf 2,4 Prozent.

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Abbildung 3: Entwicklung des Realzinsniveaus in den USA

Als Referenz: Die Dot.Com-Blase platzte 2001 bei einem Realzins von vier Prozent. Die Finanzkrise entsprang einem Anstieg auf drei Prozent. Bei hohen Realzinsen genügt ein kleiner Funke und eine krisenhafte Entwicklung nimmt ihren Lauf. Das macht die aktuelle geopolitische Gemengelage für die Finanzmärkte problematisch.

Handelssysteme

Nachdem die Spreads mit dem Unterschreiten der Risikoniveaus in der letzten Woche neu adjustiert wurden, stabilisierte sich die Ertagskurve. Die Spread-Strategien sind moderat baerisch aufgestellt. Das machte sich insbesondere beim Preisrutsch zum Wochenende positiv bemerkbar.

Abbildung 4: Performance des Eurostoxx-Handelssystems (100 k€-Konto)

Auf Monatssicht toleriert die aktuelle Positionierung weitere Abgaben bis 3.900 und Preissteigerungen bis 4.300 Punkten, dies entspricht einem Sicherheitsnetz von plus-minus fünf Prozent.

Setzt man dies in den Kontext der Preisentwicklung in den vergangenen sechs Monaten, dann ist der Handelsansatz gut auf »normale« Preisfluktuationen eingestellt.

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Abbildung 5: Preisverlauf des EuroStoxx 50(Kerzen) mit gleitendem Durchschnitt(blau), Volatilitätsentwicklung(violett) und Trendkanälen(rot)

Prolongiert man den aktuellen Trendkanal, erreicht der Index die untere Profitabilitätsbegrenzung Anfang Dezember.

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Abbildung 6: Projektion der Wertentwicklung des ausgebauten Speads bis zum 15. Dezember (rot, 4 Kontrakte)

Das bedeutet aber nicht, dass weiteren Preisrückgängen einfach zugeschaut werden kann. Der Verlauf der violetten Linie gibt einen Eindruck von der erwartbaren Buchwertentwicklung bei zügig fallenden Notierungen. Phasen mit steigender Volatilität und zurückgehenden Marktpreisen können nur mit einem aktiven Management der Spreads mit akzeptablen Buchwertschwankungen durchschritten werden. Leider weiß niemand, wann solche Marktphasen beginnen und wann sie enden. Man kann raten, welche Preisentwicklung eintreten wird und die Handelsstrategie in vermeintlich kritischen Phasen aussetzen. Das kann Erfolgreich sein, oder auch nicht. Es wird weder zum Aus- noch zum Einstieg geklingelt.