Kein Turkey nach dem Truthahn

Es ist die wichtigste Woche in der kapitalistischen Gegenwart: Thanksgiving bis CyberMonday. Die Wirtschaftssubjekte gehen ihrer Hauptbeschäftigung nach, dem Konsum. Die Finanzmärkte nehmen eine Auszeit. Die Volatilität zerbröselt. Interessant, wer sich dem Einheitsbrei entzieht: Australien. Kündigt sich hier bereits ein Thema des Jahres 2024 an?

Wochenbericht 46/23 Stuttgart, 25. Nov. 2023

Die Palastrevolution bei OpenAI ist beendet. Sam Altman geht als klarer Gewinner aus dem Machtpoker hervor. Der Aufsichtsrat hat seine Kompetenzen überschritten, heißt es nun. Ohne Altman geht zukünftig nichts mehr. Kaum wieder in Amt und Würden, kündigt er den nächsten Coup an: OpenAI-Chips: Deutlich preiswerter, als die Konkurrenz aus dem Hause Nvidia und speziell abgestimmt auf die Algorithmen von OpenAI.

Trotzdem: Die Krise bei OpenAI markierte höchstwahrscheinlich den Zenit des AI-Hypes. Am Mittwoch veröffentlichte Nvidia fantastische Q3-Geschäftszahlen. Die Finanzmärkte nahmen dies achselzuckend zur Kenntnis und wandten sich wieder der Spekulation um höhere Konsumausgaben und fallenden Marktzinsen zu.

State of the Markets

Vor fast genau einem Monat, am 26. Oktober, schloß der S&P 500 bei 4137 Punkten. Der aktuelle Wochenschlußkurs: 4567; 430 Punkte höher. Im gleichen Zeitraum halbierte sich die Volatilität beinah (von 21 Prozent auf jetzt 12.5 %).

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Abbildung 1: Preisentwicklung des S&P 500 (blau) und Volatiltiät (VIX, Kerzen).

Als Ursache für diese Trendwende wird allgemein der Rentenmarkt benannt. Die Renditen für US-Staatsanleihen sanken im Verlauf des November volatil aber letztlich kontinuierlich, die Marktpreise der Anleihen erholten sich.

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Abbildung 2: Preisentwicklung des TLT-Renten ETF (20 Jahre).

Auch am Währungsmarkt ist ein »Wind of Change« spürbar. Der US-Dollar wertete parallel zu steigenden Aktien- und Anleihepreisen gegen die meisten Währungen ab. Selbst der japanische Yen wertete etwas auf. Unterproportional partizipierten rohstofflastige Währungen, wie der kanadische und der Australdollar.

Im Ergebnis partizipierten nicht währungsgehedgte ausländische Kapitalanleger unterproportional von den Preisveränderungen in den USA. Die Währungsentwicklung deutet ferner – trotz steigender Marktpreise – auf einen Kapitaltransfer aus den USA heraus nach Europa und Asien hin.

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Abbildung 3: Verlauf des Währungspaares AUD/USD. Auch hier markiert der November eine Trendwende.

Der Aktienmarkt in Down-Under notiert weiterhin deutlich unterhalb der Notierungen im Sommer. Seit dem Jahrestief Ende Oktober hat sich der ASX nur wenig mehr als fünf Prozent erholt, gegenüber etwa zehn Prozent in den USA und in Europa.

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Abbildung 4: Preisverlauf des australischen Leitindex ASX.

Kupfer: Terminkontrakte massiv in Contango

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Abbildung 5: Differenz zwischen Kupfer-Spot und Future (Quelle: London Metal Exchange).

Das die Futures-Notierungen moderat unterhalb derer am Spotmarkt sind, ist der Tatsache geschuldet, dass am Terminmarkt Lagerkosten abgezinst werden. Ein gewisser Preisabschlag am Terminmarkt kennzeichnet einen ausbalancierten Kupfermarkt.

Was allerdings aktuell an der London Metal Exchange beobachtet wird, deutet auf eine massive Überversorgung der Welt mit neuem Kupfer hin. Das steht in einem eklatanten Widerspruch zu Industrie-Charts, die noch im Sommer wegen der klimaneutralen Transformation ein Kupferdefizit von 20 Prozent binnen eines Jahrzehnts prognostizierten.

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Abbildung 6: Prognose der Welt-Kupfer-Balance (AllianceBernstein, Sept. 2023).

Mit solchen Charts begründete Barrick Gold im Sommer seine Entscheidung, für insgesamt 7 Mrd. $ im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet den Kupfertagebau Reko Diq erschließen zu wollen. Was weiss Barrick Gold, was den globalen Terminhändlern entgangen ist?

Fakt ist: Kupfer-Aktien sind bereits das ganze Jahr Underperformer. Die US-amerikanische Freeport McMoran kostet aktuell genauso viel, wie zu Jahresbeginn. Der indirekt vom Kupferabbau abhängige MSCI Chile ist von Juli bis Oktober 2023 um 22 % preiswerter geworden. Und Barrick Gold? – notiert auf dem Preisniveau des Januar 2022. Die Entscheidung, neben Gold auch Kupfer abzubauen, wird von den Spekulanten (bisher) nicht honoriert. Einzig Rio Tinto kann sich positiv absetzen. Der Wert des Kupfer- + Kohlegiganten (Betreiber von Oyu Tolgoi in der Mongolei) entwickelt sich zuletzt analog zum Gesamtmarkt.

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Abbildung 7: Preisverlauf der Rio Tinto (Kerzen, in USD) und Freeport McMoran(blau) sowie Barrick Gold(magenta) im Direktvergleich.

Das sich ausweitende Contango am Kupfermarkt bleibt rätselhaft. Auffällig ist, dass Kupferwerte allgemein Underperformer sind. Zusammen mit dem Preisabschlag am Terminmarkt erhärtet sich der Eindruck, dass die Welt überversorgt ist. Möglicherweise antizipieren die Rohstoffhändler das Zurückfahren fiskalischer Stimulie in den Industriestaaten im Jahr 2024. Dann laufen sowohl der Inflation Reduction Act wie auch diverse europäische fiskalpolitische Maßnahmen aus.

Black-Friday Rallye (Fortsetzung)

Am Mittwoch berichtete die Financial Times exklusiv über »Erkenntnisse« über die Natur der Marktrallye der vergangenen vier Wochen:

Hedge fund short sellers suffer $43bn of losses in market rally

Danach wurden etliche Hedgefonds von der vermeintlichen »Zinswende« auf dem falschen Fuß erwischt. Diese hatten insbesondere zinssensitive Titel aus der zweiten und dritten Reihe geshortet und die Medien immer wieder mit Nachrichten über »Zombie-Unternehmen«, hochverschuldete Firmen ohne Zugang zu Refinazierungen, etc, auf ihre Linie eingestimmt.

Den Hedge-Funds gelang es, die Marktpreise ab dem Spätsommer zu drücken. Der Abschluß des Trades glückte mindestens nicht allen, so die FT.

Ein Gutteil der Marktperformance der letzten vier Wochen geht demnach auf erzwungene Eindeckungen zurück. Das erklärt die kaum durch echte Nachrichten gestützte starke Dynamik der jüngsten Rallye.

Als »Beweis« für die These, dass die Preisentwicklung im November größtenteils Eindeckungen von HedgeFunds geschuldet ist, legen die Journalisten die Outperformance von Themen-Indizes vor, die öffentlich geshortete Aktien zusammenführen., namentlich den Goldman Sachs very important Shorts Index für die USA und den Barclay’s most shorted stocks in Europe Index.

Das hätte Konsequenzen für den kurzfristigen Marktausblick. In der letzten Ausgabe ging Hieronymus von einem Preistop um oder in der BlackFriday/CyberMonday-Woche aus, gefolgt von einer Marktkorrektur in der ersten Dezemberwoche.

Wenn die HedgeFunds ihre Schieflagen vor dem Monatswechsel in den Dezember (= Jahresabschluß) geschlossen haben, gibt es wenig Anlass, die Preise im Dezember nochmals zu drücken. Ob es weiterhin Nachfrage nach den nun sehr teuren Markttiteln gibt, entscheidet über die weitere Preisentwicklung.

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Abbildung 8: Preisverlauf des EuroStoxx ab Oktober 2020 (Kerzen) und Volatilität (Blau)

Auch im November 2020 sank die Volatilität innerhalb von vier Wochen um 50 Prozent. Die Marktpreise erholten sich ebenfalls dynamisch. Es folgte eine wenig dynamische stabile Marktphase ohne größere Korrekturen.

Obwohl immer noch einiges für eine saisonal typische Ausbildung eines PreisTops vor dem Monatswechsel November/Dezember spricht, die einen wechselhaften Dezember einleitet, sprechen die fehlenden Schieflagen von HedgeFunds und die nun sehr weit zurückgekommene Volatilität eher für eine dynamikarme Fortsetzung der Rallye.