Zinsen runter, Kurse rauf

Streng genommen ist es ein Dreiklang aus sinkender Inflation, steigenden Löhnen und der Erwartung sinkender Marktzinsen, der die Kapitalmärkte zum Jahresende anheizt. Geringe Liquidität und der bevorstehende Hexensabbat tun ihr übriges. Geht es nach den Finanzmärkten, wird 2024 ein fulminantes Boomjahr.

Wochenbericht 48/23 Stuttgart, 09. Dec. 2023

Für die Eurozone ist inzwischen eine Zinsenkung um ein Prozent bis zum Sommeranfang 2024 eingepreist. Die EZB wird spätestens im März die Leitzinsen senken. (Punkt!) Europa begibt sich aus der Inflation direkt in die Disinflation. Das muss gefeiert werden.

Aktuell nimmt die wirtschaftliche Dynamik stetig ab. Es lässt sich trefflich darüber streiten, was Ursache und was Wirkung ist: Ist es die Unfähigkeit für Unternehmen, Preise weiter anzuheben, was die Ökonomie ausbremst oder bremst das geopolitische Umfeld die Ökonomie aus und entwickelt sich hieraus Deflation/Disinflation.

Fakt ist: Seit einem Jahr geht die Geldentwertung in ganz Europa kontinuierlich zurück. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass das aktuelle Zinsniveau von vier Prozent einem positiven Wirtschaftswachstum entgegen steht. Kurz nachdem dieses Zinsniveau erreicht wurde, kippte nämlich der Konjunkturzyklus.

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Abbildung 1: Konjunkturzyklen in Europa.

Über die Sommermonate entwickelte sich ein rezessives Szenario, Nick Andrew von Gavekal nennt dies Disflationärer Burst: Vorlaufindikatoren sind in der Kontraktion (Abb.1: Einkaufsmanager-Indizes), die Konsumstimmung ist am Boden, Spielräume für Preiserhöhungen existieren nicht.

Überraschung: Der Aktienmarkt liebt diese Entwicklung. Frei nach dem Motto: Schlimmer gehts nimmer, spekulieren viele munter drauf los und schaffen sich so in Teilen ihre Realität selbst.

State of the Markets

Die folgende Graphik wurde diese Woche auf LinkedIn herumgereicht.

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Abbildung 1: Durchschnittspreisentwicklungen vor und nach den ersten Zinssenkungen in den USA. Quelle: MacroVisor.

Sie ist bemerkenswert. Unabhängig davon, ob eine Rezession oder ein Soft-Landing stattfindet, steigen die Marktpreise etwa ein halbes Jahr vor der tatsächlichen Zinssenkung. Danach ist eine (volatile) Seitwärtsphase angesagt, die etwa zwei Monate nach der ersten Zinssenkung endet. Erst danach gehen die Marktpreise je nach konjunkturellem Szenario getrennte Wege.

Seit Ende Oktober sind die Marktpreise in Europa und den USA um etwa zwölf Prozent gestiegen.

Inzwischen haben nicht nur Hedge-Funds ihre Shortpositionen aus dem Sommer glatt gestellt. Aktive Fonds haben überdurchschnittliche Investmentquoten aufgebaut, viele Indizes haben zudem seit November ihre normale Jahresperformance »hingegelegt«.

Die aktuellen Aktienmarktpreistrends entsprechen weitgehend der Durchschnittsperformance etwa ein halbes Jahr vor einer Zinsumkehr in der Abb. 1,

Outperformer ist (erneut) der EuroStoxx 50. Der Index hat selbst in der vergangenen Woche jeden Tag ein neues Jahreshoch ausgebildet. Die Indexstände der übrigen Aktienmärkte (Kanada, Australien, USA) stagnierten, China und Japan gaben sogar deutlich nach.

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Abbildung 2: Preisentwicklung des EuroStoxx 50 .

Der jüngste Preisimpuls ist der bislang größte. Netto durchmaßen die Marktpreise ohne Korrektur eine Spanne von 500 Punkten. In der kommenden Woche ist wieder »Hexensabbat«, traditionell eine Zäsurmarke. Es ist unwahrscheinlich, dass die Preisdynamik anhält.

Der Optionsmarkt preist bis zum Verfallstag am Freitag mit einer etwa 90 %igen Wahrscheinlichkeit eine Preisspanne von 4400 bis 4600. Eine Wiederholung der Preisdynamik der abgelaufenen Woche hat eine Wahrscheinlichkeit von deutlich weniger als 10 Prozent.

Bleiben wir beim Optionsmarkt. Beim EuroStoxx haben die an der Eurex aktiven Marktteilnehmer eine recht klare Marktmeinung: Die implizite Volatilität ist mit 11% (Januar-Verfall) bis 12.5% (März-Verfall) auf einem historischen Tiefpunkt. Optionen sind Ladenhüter. Es ist nicht notwendig, bestehende Engagements abzusichern. Weil sie so preiswert sind, sind spekulative Call-Käufe recht beliebt.

  • Bis Mitte Januar erwarten Optionshändler eine Fortsetzung der Rallye bis über 4600 Punkten ( 110.000 offene Kontrakte. )
  • Das Maximum eröffneter Call-Optionen mit der Fälligkeit Februar ( 25.000 Stk. ) trägt den Strike 4750. Die Positionen rentieren sich nur bei einer dynamischen Fortsetzung der Rallye.
  • Im März-Kontrakt werden selbst Strikes über 5.000 Punkte rege nachgefragt.

Der Optionsmarkt strahlt eine gehörige Portion Optimismus aus. An der Eurex tätige Händler haben in ungewöhnlich großer Anzahl spekulative Long-Call-Optionen aufgebaut. Offenbar möchte niemand im Falle weiter steigender Marktpreise auf der Seitenline stehen.

Handelssysteme

Im Estx-Handelssystem mussten gleich zwei Adjustierungen vorgenommen werden, nachdem Call-Optionen ins Risiko liefen. Damit wurden Buchverluste realisiert; die Kapitalkurve knickt leicht ein. Dies ist die normale Reaktion des Handelansatzes auf einen Trendmarkt.

Das System hat den Preisanstieg bislang planmäßig begleitet. Es profitiert von einem Übergang in einen Seitwärtsmarkt. Im Zuge der Trendentwicklung konnten zwei Put.Optionen mit dem Zielertrag geschlossen werden. Die Erträge kompensieren die Verluste der erzwungenen Glattstellungen (hier und hier) inzwischen nicht mehr. Die verbliebene Call-Option weist ebenfalls ein sehr großes Delta auf. Der Preis der Option schwankt entsprechend.

Es ist zwar wahrscheinlich, dass die Call-Option im Februar wertlos verfällt. Schließlich steht der Übergang in einen Seitwärtsmarkt auf der Agenda. Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Option im System verbleibt. Sie wird vielmehr im Zuge einer kleinen Korrektur gegen eine weniger aggressive Option ausgewechselt. Das kostet auf den ersten Blick zwar Rendite, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit, dass das System im Seitwärtsmarkt die gewünschte Performance tatsächlich erzielt.

Die aktuelle Marktstimmung kann nicht anders als mit »Euphorie« bezeichnet werden. Absicherungen sind sinnlos, Spekulationen auf stark steigende Preise in sehr naher Zukunft Mainstream.

Wie wahrscheinlich in diesem Umfeld weiter steigende Marktpreise sind, lässt sich an fünf Fingern abzählen. Dennoch: Übertreibungen enden niemals, wenn es logisch erscheint. Anschlußkäufe im Januar können einen weiteren Preisschub triggern. In diesem Fall soll das Handelssystem möglichst wenige Verluste anhäufeln und geduldig auf einen Regimewechsel warten.

Abbildung 5: Wertentwicklung des Estx-Portfolios in Euro (4 Kontrakte; Empfohlene Kontogröße: 100.000 €; Stichtag: 8.12.2023)