Christmas Edition

Die Vorweihnachtswoche unterstrich den Aufstieg des Daytradings durch Retail-Spekulanten in den USA. Dünner Handel begünstigt starke, wenig nachhaltige Preisbewegungen. Die Hasadeure ergehen sich in wilden 0-DTE-Orgien.

Wochenbericht 50/23 Stuttgart, 24. Dec. 2023

Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

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Abbildung 1: Kursverlauf des S&P 500 in der Voeweihnachtswoche.

Passiert ist eigentlich nichts. Per Saldo stieg der Wert des Index um 25 Punkte. Grundsätzlich setzte sich die übergeordnete Rallye fort. Mit der Ausnahme dreier Stunden am Mittwoch war die Kursentwicklung »freundlich«.

Um so dynamischer entwickelte sich die Korrektur.

Die Börsen in Europa vollzogen die Preisaufschläge in den USA bereits seit einigen Tagen nicht mehr nach. Es bildete sich eine Preisdivergenz aus.

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Abbildung 2: Preisentwicklung in Europa, gleiche Skalierung wie Abb.1

Das wurde mit dem Abverkauf in den USA korrigiert.

In den USA gaben sämtliche Indizes im dortigen Nachmittagshandel nach, der S&P 500 um 90 Punkte nach. Zuletzt verzeichnete dieser Index am 20. September einen solchen Preisrutsch. Innerhalb zweier Handelstage egalisierte der Index den Kursrutsch.

Ursache hierfür ist die Spielsucht vieler US-Amerikaner. Seit der Corona-Epidemie wächst der Anteili von Tageswetten auf den Verlauf von Aktienindizes (und auch ausgewählten Einzeltiteln) exponentiell. Seit 2016 ermöglicht die CBOE, die größte Optionsbörse in den USA, jeden Tag den Handel auf abends verfallende Optionen. Seit 2020 weiten die Börsenplätze das Angebot ständig aus: Die notwendigen Wetteinsätze sanken deutlich, als »Micro-Indizes« Underlyings der Optionen wurden. Zuletzt schossen Mobile Apps aus dem Boden, die eine Platzierung der Wetten zu einem Kinderspiel machen. Das bedeutet, dass Jedermann/frau jederzeit eine Wette platzieren kann, zu welchem Kurs der Index den Tag beschließt.

Das allgemeine Optionsvolumen explodiert seit 2020, gleichzeitig steigt der Anteil der Tageswetten. Das Ergebnis ist eine exponentielle Zunahme des Anteils sehr kurzfristiger Optionen am gesamten Handelsgeschehen. Je kürzer das Zeitfenster für den Optionshandel, desto spekulativer ist der Handelsstil, desto größer ist vor allem dessen Suchtpotenzial. Der Vergleich mit Pferdewetten ist wohl am Prägnantesten. Dessen Suchtpotenziale sind gut untersucht. Bei Pferde- oder auch Sportwetten dreht sich alles um ein singuläres Ereignis. Wer den Verlauf des Spiels gut einschätzen kann, ist mit seinen Wetten erfolgreich. Gemeinsames Element ist das Gruppengefühl; man trifft sich, tauscht konspirativ Insiderwissen aus, gewinnt zusammen oder verliert. Wesentlicher Suchttrigger ist die rasche Belohnung durch einen externen Trigger. Die Wetten eint auch die Tatsache, dass jeweils der Glaube vorherrscht, man habe auf magische Weise einen Einfluß auf den Ausgang des Spiels, dass eben nicht nur der Zufall über das Ergebnis bestimmt.

Beim 0DTE-Handel hat sich eine opake Infrastruktur gebildet. Es gibt Marktplätze, an denen spezielle Handelssysteme für die Tageswetten vermarktet werden, umfangreiche Backtests möglicher Handelsansätze, Handelsroboter, die automatisiert die generierten Signale umsetzen und seit Herbst sogar ETF’s die »erfolgreiche« Handelsansätze im Fondsmantel traden.

In der Vorweihnachtzeit bildet sich eine expolsive Mischung: Geringes »ernsthaftes« Handelsvolumen, konstantes Volumen sonstiger Handelsautomaten und mindestens konstantes, höchstwahrscheinlich aber höheres 0DTE-Volumen in Kombination mit einem abnehmenden Nachrichtenstrom.

Das Ergebnis ist eine quasi aus dem Nichts und nachrichtenlos auftauchende kollektive Verkaufswelle.

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Abbildung 3: Anteil des 0DTE-Handels am gesamten Optionshandel (Quelle: CBOE)
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Abbildung 4: Optionshandelsvolumen in den USA
Hieronymus

wünscht allen Leser/innen ein friedvolles Weihnachtsfest und einen entspannten Jahresausklang.